Finanzen

EZB zementiert ihre expansive Politik: Null- und Minuszinsen bleiben auf unabsehbare Zeit bestehen

Lesezeit: 3 min
22.07.2021 15:31  Aktualisiert: 22.07.2021 15:31
Die EZB wird die Leitzinsen auch angesichts steigender Inflationszahlen nicht mehr erhöhen. Die Entscheidung ist ein Offenbarungseid - es geht nicht um geldpolitische Solidität, sondern das Überleben von Schuldenstaaten und Krisenbanken.
EZB zementiert ihre expansive Politik: Null- und Minuszinsen bleiben auf unabsehbare Zeit bestehen
Die EZB in Frankfurt. (Foto: dpa)
Foto: Boris Roessler

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Die Europäische Zentralbank (EZB) will die infolge der Lockdown-Maßnahmen der Staaten geschwächte Wirtschaft der Euro-Zone auch nach der akuten Krisen-Phase weiter mit einer sehr lockeren Geldpolitik stützen. Dies geht aus dem geldpolitischen Ausblick hervor, den die Euro-Wächter um Notenbankchefin Christine Lagarde am Donnerstag auf ihrer Zinssitzung neu formulierten. Die Anpassung insbesondere des Zinsausblicks war notwendig geworden, nachdem sich die Euro-Wächter vor zwei Wochen im Zuge ihres Strategiechecks ein neues Inflationsziel gesetzt hatten. Dieses lautet nun auf zwei Prozent, nachdem es zuvor auf unter, aber nahe zwei Prozent gelautet hatte.

Die EZB wolle mit dem geänderten Ausblick ihr Bekenntnis unterstreichen, eine anhaltend konjunkturstützende Geldpolitik beizubehalten, um ihr Inflationsziel zu erreichen, erklärte die Notenbank. Sie will unter anderem nun ihre Leitzinsen solange auf dem aktuellen oder einem noch tieferen Niveau halten, bis zu sehen ist, ist dass die Inflation zwei Prozent erreicht und dies dann erst einmal beständig so bleibt. Das könnte auch eine Übergangszeit von Inflationsraten über zwei Prozent beinhalten.

Dieser Einschub ist wichtig, denn faktisch hat die Inflationsrate inzwischen das von der EZB jahrelang vorgegebene Ziel von knapp unter 2 Prozent in diesem Sommer erreicht. Dass nun die Spielregeln ausgeweitet werden und eine höhere Geldentwertung für längere Zeit akzeptiert wird, zeigt, dass es wahrscheinlich letzten Endes nicht um die Inflation geht. Vielmehr sind insbesondere die massiv verschuldeten Euro-Staaten für alle Zukunft auf Nullzinsen und Anleihekaufprogramme angewiesen, um ihre Schuldenbedienung erträglich gestalten zu können. Darüber hinaus profitieren die Staaten auch von einer hohen Inflation, welche den "Marktwert" ihrer Schulden im Zeitablauf schmälert.

Nebenbei sei bemerkt, dass die Inflation in der Eurozone wahrscheinlich schon seit Jahren deutlich über 2 Prozent liegt, aber mit den herrschenden Berechnungsmethoden "kleingerechnet" wird, wie DWN-Kolumnist Michael Bernegger mehrfach nachgewiesen hatte. Verlierer der Entwicklung sind insbesondere die Sparer, die weiterhin schleichend enteignet werden, weil sie keine Zinsen mehr auf ihre Guthaben erhalten und sogar inzwischen von den Minuszinsen der EZB betroffen sind.

Der Schuldenstand in der Eurozone ist zu Jahresbeginn erstmals über 100 Prozent der Wirtschaftsleistung gestiegen. Im ersten Quartal sei der öffentliche Schuldenstand auf 100,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) gewachsen, teile das Statistikamt Eurostat am Donnerstag in Luxemburg mit. Eurostat verweist auf die Corona-Krise, die auch zu Jahresbeginn zu einem erhöhten Finanzierungsbedarf geführt habe. Im vierten Quartal 2020 hatte der Schuldenstand noch 97,8 Prozent gelegen und im ersten Quartal 2020 bei 86,1 Prozent.

Zugleich steuert der Euro-Raum im Sommer trotz weiter lauernder Gefahren durch die Corona-Pandemie nach Ansicht der EZB auf kräftiges Wachstum zu. Die Wirtschaft habe sich im Zuge der gelockerten Corona-Auflagen bereits im Frühjahr erholt, sagte Lagarde auf der Pressekonferenz nach der Zinssitzung. Auch die Industrie werde trotz kurzfristiger Lieferengpässe voraussichtlich gut abschneiden. Mit der Wiedereröffnung weiter Teile der Wirtschaft sei zudem der Dienstleistungssektor wieder im Aufschwung. "Doch die Delta-Variante des Corona-Virus könnte diese Erholung im Dienstleistungssektor dämpfen - speziell im Tourismus und im Gastgewerbe."

ZEW-Volkswirt Friedrich Heinemann sieht im neuen Ausblick denn auch eine deutliche Veränderung gegenüber der bisherigen Vorgehensweise. "In der heutigen Entscheidung des EZB-Rats zeigt sich, dass die veränderte geldpolitische Strategie nicht nur eine neue Rhetorik, sondern auch eine Veränderung in der Sache bringt", sagte er. Mit dem überarbeiteten zinspolitischen Ausblick immunisiere die EZB ihre Negativzinsen und die Anleihekäufe auf lange Zeit gegen einen überraschend starken Inflationsanstieg.

Zinswende nicht in Sicht

Auch Alexander Krüger, Chefvolkswirt beim Bankhaus Lampe, rechnet damit, dass die Zeit der Ultratiefzinsen noch länger anhalten wird. "An eine Leitzinswende ist nicht nur noch lange nicht zu denken, sie ist zeitlich sogar noch gestreckt worden", erläuterte er.

Die Inflationsrate im Euro-Raum lag im Juni bei 1,9 Prozent. Für die nächsten Monate erwarten viele Experten einen Anstieg der Teuerungsrate auf Werte über dem neuen EZB-Inflationsziel. Ein Grund ist, dass das Preisniveau in Deutschland, der größten Volkswirtschaft im Euro-Raum, im zweiten Halbjahr 2020 von der vorübergehend gesenkten Mehrwertsteuer im Kampf gegen die Virus-Krise gedämpft wurde. Dieser Effekt dürfte sich nun umkehren. Zudem sorgen die Probleme im Welthandel für einen massiven Preisauftrieb.

Die EZB erachtet den Preisanstieg hingegen als nicht nachhaltig. Für das Jahr 2023 erwartet sie gerade einmal eine Rate von 1,4 Prozent. Damit läge das neue Zwei-Prozent-Ziel der Notenbank noch weit entfernt.

Die EZB beschloss auf ihrer Sitzung außerdem, die Leitzinsen auf ihren aktuellen rekordtiefen Niveaus zu belassen. Der Schlüsselsatz zur Versorgung der Geschäftsbanken mit Geld bleibt damit weiterhin bei 0,0 Prozent. Auf diesem Niveau liegt er bereits seit März 2016. Auch am Einlagesatz von minus 0,5 Prozent rüttelte die EZB nicht. Banken müssen somit weiterhin Strafzinsen zahlen, wenn sie bei der Notenbank überschüssige Gelder parken.

Die Geldpolitiker teilten zudem mit, dass die Ankäufe im Rahmen ihres billionenschweren Krisen-Anleihenkaufprogramms PEPP weiterhin deutlich umfangreicher ausfallen sollen als zu Jahresbeginn. Die EZB hatte das Tempo der Käufe im Frühjahr im Vergleich zum Jahresstart deutlich erhöht. Das Monatsvolumen der Käufe lag zuletzt bei 80 Milliarden Euro. Das im Frühjahr 2020 aufgelegte Programm, das Staatsanleihen, Firmenanleihen und andere Titel umfasst, wurde bereits zweimal aufgestockt. Es hat einen Gesamtrahmen von 1,85 Billionen Euro und die Käufe sollen noch bis Ende März 2022 fortgesetzt werden.


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