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Wie Berliner Start-ups Elon Musk die Inspiration für seine Gigafabrik lieferten

Lesezeit: 5 min
02.08.2021 13:00
Startups sind eine wichtige Größe in Deutschland. Warum das so ist, wieso Berlin die Hochburg der Szene ist und wie die weitere Entwicklung wohl sein wird, erklärt der Geschäftsführer des Bundesverbandes Deutsche Startups, Christoph J. Stresing, im Gespräch mit den DWN.
Wie Berliner Start-ups Elon Musk die Inspiration für seine Gigafabrik lieferten
Die Sonne geht über der Berliner Spree auf. Hier ist das Zentrum der deutschen Startup-Szene. (Foto: dpa)

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Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Startup-Unternehmen sind aktuell ein Thema am Markt. So hat die Beratungsgesellschaft Ernst & Young (EY) errechnet, dass die Firmen im ersten Halbjahr des laufenden Jahres 7,6 Milliarden Euro von Investoren eingesammelt haben. Das waren dreimal so viel wie im Vorjahreszeitraum und mehr als im Gesamtjahr 2020. Berlin sei wieder einmal die Hochburg der Szene gewesen.

Wieso ist Berlin der wichtigste Standort für die Startup-Unternehmen?

Christoph J. Stresing: Ja, das stimmt: Berlin ist nicht nur die politische Hauptstadt Deutschlands, sondern kann wohl momentan auch als die Start-up-Hauptstadt des Landes angesehen werden. Zudem ist Berlin ein wichtiger Startup-Hotspot in Europa. Dafür gibt es einige Gründe: Einerseits gab es in Berlin historisch bedingt viele freie Flächen; Mieten für Büros und Gewerbeflächen waren sehr günstig. Anderseits war und ist Berlin als Stadt hochattraktiv und viele kreative Köpfe haben sich hier angesiedelt. Das hat wiederum weitere Talente angezogen. Eine nicht unwichtige Rolle spielen sicher auch die Hochschulen. Sie sind ein wichtiger Talentpool. - Aus alldem ist eine Dynamik entstanden, die ein vitales Startup-Ökosystem in Berlin hat hereinreifen lassen. Zu diesem Ökosystem zählen neben Startups selbst unter anderem auch Wagniskapitalgeber, wie Business Angels und Venture Capital-Fonds, und Akzeleratoren. Insbesondere in den letzten Jahren hat sich die positive Entwicklung verstärkt - auch wenn freie Büroflächen mittlerweile auch in Berlin eine Herausforderung geworden sind. Diese Dynamik des Startup-Ökosystems ist dabei weitestgehend aus sich selbst, d.h. ohne einen besonderen Startup-Fokus der Berliner Politik, entstanden und befeuert sich im Wesentlichen aus sich selbst heraus. Stark vereinfacht gesagt: Talente ziehen Investitionen an, Investitionen wiederum Talente.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie entwickelt sich aktuell die Szene in Berlin gerade?

Christoph J. Stresing: Wir beobachten, dass das Ökosystem in Berlin einen zunehmenden Reifegrad erreicht und wächst. Aktuell entfällt mehr als die Hälfte des insgesamt in Deutschland investierten Wagniskapitals auf Berlin. Viele der deutschen Unicorns, d.h. nicht börsengelistete Unternehmen mit einer Bewertung von mehr als 1 Milliarde US-Dollar, sitzen in der Hauptstadt. Mit Delivero Hero hat es ein Berliner Unternehmen in den DAX geschafft. Startups sind der Motor für wirtschaftliches Wachstum in Berlin und haben hier in den vergangenen Jahren viele tausend neue Arbeitsplätze geschaffen. Wichtig für die Entwicklung sind übrigens auch Mitarbeitende von Startups: Mithilfe von Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen können sie an dem wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens partizipieren und werden dadurch in die Lage versetzt, selbst ein Startup zu gründen oder in Startups zu investieren. Auch wenn die Rahmenbedingungen für Mitarbeiterbeteiligungen in Deutschland verbessert werden müssen, sind Mitarbeiter*innen auch heute schon wichtiger Treiber der erfolgreichen Entwicklung.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Was ist in Berlin besonders?

Christoph J. Stresing: Mittlerweile haben wir, wie geschildert, in Berlin eine Dynamik, die sich selbst befeuert. Diese Dynamik wird z.B. an der Giga-Fabrik deutlich, die Tesla in der Nähe Berlins baut. Ohne das Berliner Startup-Ökosystem wäre Elon Musk wohl nicht auf die Idee gekommen, sich in Brandenburg anzusiedeln. Und diese Ansiedlung dürfte auch dazu führen, dass Berlin und das Umfeld mehr hochqualifizierte Fachkräfte anziehen. Ähnliches gilt etwa auch für Siemens und die Siemensstadt. Auch durch diese Entwicklungen wird das Startup-Ökosystem insgesamt weiter gepusht.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Was ist eigentlich ein Startup? Der Begriff ist so allgemein und wird sehr oft verwendet. Welche Firmen gehören dazu?

Christoph J. Stresing: Eine ganz scharfe Definition ist tatsächlich schwierig. Im Wesentlichen sind drei Merkmale entscheidend: Das Geschäftsmodell beziehungsweise die zugrunde liegende Technologie muss innovativ sein und das Unternehmen stark skalieren wollen. Das bedeutet, es muss sehr auf Wachstum ausgelegt sein. Zudem spielt auch das Alter eine gewisse Rolle: Hier können fünf, zehn oder auch 15 Jahre als „Grenze“ angesehen werden. Insbesondere die ersten beiden Kriterien grenzen Startups von herkömmlichen Gründungen, wie z.B. Handwerksbetrieben, ab.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie werden die Unternehmungen finanziert?

Christoph J. Stresing: Bankkredite, die bei etablierten Unternehmen eine maßgebliche Rolle zur Unternehmensfinanzierung spielen, stehen Startups meistens nicht zur Verfügung. Denn gerade in der frühen Phase sind Startups nicht in der Lage Zinsen zu zahlen. Zudem verfügen sie selten über erforderliche Sicherheiten. Daher erfolgt die Finanzierung meistens durch Eigenkapital. Scherzhaft ist gelegentlich von den drei „F“ die Rede: „Familie, Friends and Fools“, die Gründerinnen und Gründer finanziell unterstützen. Business Angels kommen als private Geldgeber, insbesondere in der frühen Entwicklungsphase, in Frage: Sie unterstützen Startups oft nicht nur mit Kapital, sondern auch mit Know-How. Wichtig für die Startup-Finanzierung sind zudem Venture Capital-Gesellschaften, die Startups Eigenkapital zur Verfügung stellen, indem sie sich am Unternehmen beteiligen. Anders als Banken, die - sehr vereinfacht gesagt - im Wesentlichen zurückschauen, blicken sie nach vorne. Als Gesellschafter tragen sie das Risiko mit, profitieren dafür aber auch im Erfolgsfall. Im Übrigen können auch vom Bund und den Ländern finanzierte Förderprogramme am Anfang eine unterstützende Rolle bei der Finanzierung spielen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie bewerten sie die Entwicklung der Startups während der Pandemie?

Christoph J. Stresing: Ein einheitliches Bild der Betroffenheit von Startups lässt sich kaum zeichnen, weil sich Betroffenheit stark aus der jeweiligen Branchenzugehörigkeit ergibt. Insofern waren Startups aus dem Reise- und Tourismusbereich besonders negativ betroffen. Umgekehrt waren bzw. sind Dienstleistungen oder Produkte von Startups etwa aus dem Bereich der Informationstechnologie in der Pandemie besonders nachgefragt. Aufgrund der mit der Pandemie verbundenen Ungewissheit war zu deren Beginn die Befürchtung groß, dass Investoren vor Investments zurückschrecken. Es bestand die Gefahr, dass grundsätzlich erfolgreiche Startups aufgrund der Zurückhaltung der Investoren auch Opfer der Pandemie werden. Im zweiten Quartal 2020 sind die Investitionen in Startups drastisch gesunken. Deswegen haben wir uns als Startup-Verband dafür stark gemacht, dass Startups - unter Berücksichtigung der geschilderten besonderen Finanzierungssystematik – gesondert unterstützt werden. Denn die meisten Hilfsprogramme waren und sind kreditbasiert, so dass sie für den ganz überwiegenden Teil der Startups nicht in Frage gekommen sind. In einer Krise aber die etablierte Wirtschaft mit teils überkommenen Geschäftsmodellen staatlicherseits zu unterstützen und junge, innovative Unternehmen außen vor zu lassen, wäre fahrlässig gewesen. Denn es sind ja gerade diese Unternehmen, die einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, erfolgreich aus der Krise zu kommen und sich als Wirtschaftsstandort zukunftsorientiert aufzustellen. Nur so kann das oft bemühte Postulat, „Die Krise als Chance zu nutzen“ auch wirklich umgesetzt werden.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie bewerten Sie die Unterstützungsleistungen für die Startups?

Christoph J. Stresing: Die Bundesregierung hat ein Startup-spezifisches zwei Milliarden Euro umfassendes Hilfspaket aufgelegt. Dass die besonderen Bedürfnisse von Startups berücksichtigt worden sind, beurteilen wir positiv und erkennen das ausdrücklich an! Damit konnte vielen hundert Startups in der Krise geholfen werden.

Gleichwohl hätten wir uns bei der Umsetzung der Maßnahmen sicher mehr Geschwindigkeit gewünscht. Auch hätten die Hilfsprogramme aus unserer Sicht an der einen oder anderen Stelle einfacher ausgestaltet werden können. Wir sollten jedoch bei der Bewertung berücksichtigen, dass es eine absolute Notlage war und alle Beteiligten mit einer völlig neuen, unbekannten Situation konfrontiert waren.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Das Reisestartup HomeToGo generiert Umsätze im zweistelligen Millionen-Bereich, kostet aber eine Milliarde Euro. Das ist nur ein Beispiel von vielen. Warum sind die Bewertungen der Unternehmen oft sehr hoch, obwohl sie noch gar keine so großen Geschäfte gemacht haben?

Christoph J. Stresing: Die Bewertungen von Startups ergeben sich zu einem großen Teil aus den Zukunftserwartungen, die Investoren an das Unternehmen und dessen künftige Entwicklung richten. So kann eine hohe Bewertung auch bei einem momentan niedrigen Umsatz zustande kommen. Die aktuell zu beobachtende generelle Zunahme hoher Finanzierungsrunden sehe ich im Wesentlichen in der beschriebenen fortschreitenden Reife des Startup-Ökosystems begründet. Das ist sehr positiv zu bewerten. Ein Treiber dieser Entwicklung ist sicher auch das niedrige Zinsniveau. Dadurch werden Investitionen in Startups beziehungsweise Venture Capital-Fonds mit teils sehr hohen Renditen für institutionelle Investoren insgesamt attraktiver. Damit steht dem Markt insgesamt mehr Kapital zur Verfügung als noch vor einigen Jahren.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie wird sich das laufende Jahr wohl weiterentwickeln?

Christoph J. Stresing: Entscheidend dafür wird sicher der weitere Verlauf der Pandemie sein. Auch wenn wir uns alle ein Ende herbeisehen, wird es vermutlich noch eine Weile dauern bis die Corona-Krise tatsächlich überwunden ist. Mit mehr als 7,5 Milliarden Euro investiertem Wagniskapital im ersten Halbjahr 2021 wurde ein neuer Rekord erreicht. Auch wenn hier gewisse Nachholeffekte aus dem letzten Jahr einzupreisen sind, gehe ich davon aus, dass sich dieser positive Trend in diesem Jahr weiter fortsetzen wird.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Herr Stresing, danke für das Gespräch.

 


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