Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Die LBBW hat Mitte Juli in einer Studie ausgeschlossen, dass es innerhalb des Mittelstandes eine große Insolvenzwelle geben wird. Die Unternehmen hätten in der Corona-Krise ihre sprichwörtliche Anpassungsfähigkeit unter Beweis gestellt und seien insgesamt gut durch die zurückliegenden eineinhalb Jahre gekommen, schreiben die Fachleute.
Wie schätzen Sie das ein?
Norman Häring: Das eine ist die gefühlte Wahrheit. Wenn ich mit Unternehmen und Unternehmensleitern allerdings persönlich spreche, dann sagen sie, dass eigentlich alles ganz in Ordnung sei. Darüber hinaus ist statistisch zu sehen, dass die Insolvenzwelle ausgeblieben ist. Doch sehe ich auch eine erhebliche Verzerrung des Marktes. Die Corona-Pandemie hat erhebliche Spuren in den Bilanzen hinterlassen. Bei manchen Firmen kann man schon von dramatischen Einschlägen in den Bilanzen sprechen.
Das bedeutet, die Umsätze sind so eingebrochen, dass sich die Firmen nur mit staatlicher Unterstützung halten konnten. Sie haben Rückstellungen gebildet und Schulden aufgenommen. Deswegen ist bei vielen Unternehmen nicht zu erkennen, ob das Geschäftsmodell gesund ist, und ob dies normalerweise am Markt funktionieren würde. Bei ungesunden Firmen dürften jetzt in kleineren Schüben über einen längeren Zeitraum hin verteilt Insolvenzgründe auftauchen und diese dann vom Markt verschwinden. Ein Tsunami einer Insolvenzwelle wird wohl nicht eintreten.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Die Arbeitsmarkt-Experten Holger Schäfer vom Institut für Wirtschaftsforschung in Köln (IfW), das den Arbeitgeber-Verbänden nahesteht, und Professor Alexander Herzog von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, haben das Instrument der Kurzarbeit, das die Bundesregierung eingesetzt hat, sehr gelobt. In seltener Art und Weise haben Arbeitsgeber-Verbände und Arbeitnehmer-Vertreter an einem Strang gezogen.
Wie bewerten Sie das Kurzarbeiter-Geld?
Norman Häring: Ich teile das zeitlich ein. Am Anfang war es wunderbar und richtig, dass die Regierung damit die Unternehmen unterstützt hat. Doch ist die lange Zeitdauer der Hilfen problematisch. Sie hat dazu geführt, dass der Markt verzerrt ist und dass wir überhaupt nicht mehr erkennen können, welche Firmen noch gesund sind. Wenn Sie von der Arbeitnehmer-Seite aus betrachten, für die es darum geht, den Arbeitsplatz zu sichern, dann mag dieses Instrument für den Moment richtig gewesen sein. Doch dürfte es auf lange Sicht nicht so effektiv sein, wenn ganze Firmen in ihren Grundmauern erschüttert werden. Wichtig ist, dass der Fortbestand der gesunden Unternehmen gewährleistet ist. Das ist momentan schwierig, weil man sie von ungesunden Firmen nicht unterscheiden kann.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Warum sind solche Zombie-Unternehmen denn so ungünstig und für wen?
Norman Häring: Die kranken Unternehmen unterwandern den Markt, nisten sich dort ein und sind möglicherweise ein Geschäftspartner der gesunden Firmen. Im ungünstigsten Fall ist es sogar ein Hauptgeschäftspartner, auf den sie sich verlassen. Später, wenn sich die Konjunktur wieder erholt hat, dann kippen diese Firmen hinten runter und sie können Sie, als Geschäftspartner, als gesundes Unternehmen, herunterreißen. Eine solche Geschäftsbeziehung kann auch Ihnen als gesundes Unternehmen den Kopf kosten.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie könnte sich der negative Effekt auf den gesunden Geschäftspartner auswirken?
Norman Häring: Ein Beispiel: Das Unternehmen liefert und produziert an den Großkunden A und definiert Zahlungsziele, also möglicherweise 30 oder 60 Tage. Doch dann wird der Partner unerwartet insolvent, so dass der Lieferant mit seiner Forderung ausfällt. So habe ich als gesundes Unternehmen, welches die Ware geliefert und auch sonst alles richtig gemacht hat, ohne entsprechende vorherige Beratung in Bezug auf die Verträge ein Problem.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Aus welchen Branchen stammen denn die kranken Unternehmen?
Norman Häring: Tourismus, Gastronomie und Firmen aus dem Einzelhandel. Das sind Branchen, die derzeit sehr große Probleme haben. Doch gehört auch der Automotive-Bereich dazu, der ein Dauerbrenner ist. Hier gibt es zwei Thematiken: Zum einen die Auswirkungen der Pandemie und zum anderen die Frage, welcher Hersteller den technologischen Wandel zur E-Technologie am effizientesten erreicht. Zusätzlich ist die zunehmende Rohstoff-Verknappung eine Belastung. Doch lassen sich die kranken Unternehmen nicht auf bestimmte Wirtschaftszweige reduzieren. Es ist eine Art Unterwanderungen in alle Branchen, weil im Prinzip jede Firma in unterschiedlichen Sektoren aktiv ist.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie kann man sich denn als gesundes Unternehmen darauf vorbereiten?
Norman Häring: Ein Unternehmen muss eine effiziente Buchhaltung und ein wirksames Controlling haben. Eine Firma sollte über ein Frühwarnsystem verfügen, das in der Lage ist, festzustellen, ob sich innerhalb der Geschäftsbeziehung plötzlich etwas ändert. Das kann beispielsweise ein auffälliges Zahlungsverhalten beim Partner sein. Man sollte sofort hellhörig werden, wenn er plötzlich später als gewöhnlich zahlt oder vielleicht Skonto nicht mehr in Anspruch nimmt. Vielleicht hat er früher immer die Leistung sogar noch vor dem Termin entrichtet, um einen Abzug zu bekommen. Und auf einmal macht er das nicht mehr, sondern zahlt zum Termin oder noch später. Oder es kann auch sein, dass die Zahlungen über einen Dritten abgewickelt werden. Das Konto des Geschäftspartners ist dann möglicherweise gepfändet, so dass eine weitere Person hinzugezogen werden muss. Es ist absolut notwendig, sich regelmäßig Auskünfte über die Bonität seiner Geschäftspartner zu holen.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Was für Probleme können denn die Zombie-Firmen noch bewirken?
Norman Häring: Ein Problem ist, dass dort Fachkräfte gebunden werden, die für den freien zukunftsgerichteten Markt nicht zur Verfügung stehen. Die Leute fehlen den anderen Unternehmen. Das ist volkswirtschaftlich eine Belastung.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Sie haben vorhin von ungesunden Geschäftsmodellen gesprochen. Was heißt das?
Norman Häring: Das sind Modelle von Firmen, die sich nicht an den Markt und die Veränderungen anpassen und einfach so wie bisher weiter machen. Das sind Unternehmen, die nicht in die Zukunft orientiert denken. Viele Firmen setzen die Digitalisierung nicht effizient oder gar nicht um. Manche Händler haben etwa weiterhin morgens nur ihr Geschäft aufgeschlossen, während der Öffnungszeit auf die Kunden gewartet, um abends ihren Laden wieder zu schließen . Das reicht aber mittlerweile nicht mehr. Die Firmen hätten versuchen müssen, auch über den Onlinehandel ihre Kunden zu finden. In der Automotive-Branche gehören alle diejenigen Unternehmen dazu, die nach wie vor ausschließlich auf den Verbrenner setzen. Dass diese Antriebsform jetzt irgendwann aufgrund des politischen Drucks wegen des Klimawandels verschwinden wird, dürfte klar sein.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie wird wohl die weitere Entwicklung sein?
Norman Häring: Relevante Punkte werden wahrscheinlich die Bundestagswahl und das Jahresende sein. Dann laufen auch die staatlichen Hilfen für die Unternehmen aus, und die Politiker müssen sich nicht mehr so um die Wählerinnen und Wähler kümmern.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Herr Dr. Häring, herzlichen Dank für das Gespräch.