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IW Köln: "Erwerbsbeteiligung älterer Arbeitnehmer spektakulärster Erfolg"

Die Krise setzt alle unter Druck - und somit auch den Arbeitsmarkt. Ökonom Holger Schäfer vom IW Köln erklärt im Interview, ob die Kurzarbeits-Maßnahmen der Bundesregierung gewirkt haben, wie die älteren Arbeitnehmer in den Markt integriert sind und wie sich der Markt 2021 weiter entwickelt.
06.06.2021 16:41
Aktualisiert: 06.06.2021 16:41
Lesezeit: 4 min
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IW Köln: "Erwerbsbeteiligung älterer Arbeitnehmer spektakulärster Erfolg"
Ältere Arbeitnehmer sind wieder gefragt: Sie verfügen naturgemäß über mehr Erfahrung als Jüngere, sind darüber hinaus meist zuverlässiger und verfügen über mehr Durchhaltevermögen. (Foto: dpa)

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Im Mai lag die Arbeitslosenquote aktuellen Zahlen der Bundesarbeitsagentur zufolge bei 5,9 Prozent. Könnten Sie kurz eine Bewertung der Entwicklung geben?

Holger Schäfer: Der Arbeitsmarkt hat sich im vergangenen Monat gut entwickelt. Die Arbeitslosigkeit ist saisonbereinigt deutlich zurückgegangen. Davor war noch ein kleiner Anstieg zu sehen. Wir beobachten keine Entlassungsproblematik. Unsere Strategie, mit Hilfe von Kurzarbeit Entlassungen zu verhindern, geht auf. Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kehren jetzt wieder zu ihren normalen Arbeitszeiten zurück und sind nicht arbeitslos geworden. Doch gibt es allerdings ein Problem: Die Arbeitslosigkeit ist 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 400.000 bis 500.000 relativ kurzfristig angestiegen. Bisher ist es uns nicht gelungen, diesen Zuwachs wieder abzubauen. Die Unternehmen halten sich bei den Einstellungen derzeit noch zurück.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Sind die Entwicklungen alle auf die Corona-Krise zurückzuführen?

Holger Schäfer: Ja. Dass sich die Betriebe mit Einstellungen zurückhalten, liegt daran, dass sie mit einer starken wirtschaftlichen Unsicherheit konfrontiert sind. Wir wissen immer noch nicht so genau, wann die Pandemie wirklich vorbei ist. Erst wenn es hier Klarheit gibt, wird sich dies wohl ändern. Denn Einstellungen sind grundsätzlich immer mit einem gewissen wirtschaftlichen Risiko verbunden.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Eine Gruppe von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die immer wieder im Fokus steht, sind die Älteren. Hat es hier eine besondere Entwicklung gegeben?

Holger Schäfer: Grundsätzlich haben auch die älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern davon profitiert, dass es keine größeren Entlassungen gegeben hat – wie die anderen Altersgruppen auch. Doch ist die Arbeitslosigkeit bei den Älteren im Gegensatz zum Gesamtmarkt angestiegen. Dies ist zwar noch keine dramatische Entwicklung, doch ist sie zu sehen. Und wir müssen dies weiter beobachten. Die Tatsache, dass sich die Betriebe mit den Einstellungen nach wie vor zurückhalten, trifft die Gruppe der Älteren besonders. Denn wenn sie ihren Job verlieren, wird es für sie schwerer, als für die Jüngeren wieder eine Arbeit zu finden. Allerdings halten die Unternehmen eher an ihren älteren Kolleginnen und Kollegen fest, so dass sie nicht so schnell ihre Arbeit verlieren. Kurz gesagt: Das Risiko für sie, arbeitslos zu werden, ist grundsätzlich geringer. Wenn sie es aber erst einmal werden, dann wird es nicht so leicht, wieder einen Job zu finden.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Woran liegt das, dass sie nicht so schnell ihre Arbeit verlieren?

Holger Schäfer: Zum einen gibt es den gesetzlichen Kündigungsschutz, der das Alter auch als Kriterium definiert. Das bedeutet, wenn der Betrieb eine Personalauswahl trifft, muss er das Alter dabei berücksichtigen. Je älter jemand ist, desto weniger darf er aus rechtlichen Gründen Gefahr laufen, seine Arbeit zu verlieren. Zum anderen verfügen die Älteren oft über sehr viele betriebsspezifische Kenntnisse und Fertigkeiten, die nur schwer zu ersetzen sind. Dies sind Kompetenzen, die man eben nur durch besondere Erfahrungen erlangen kann, die es in diesem Betrieb gibt. Deswegen scheuen sich die Unternehmen, diese Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in schwierigen wirtschaftlichen Zeiten vor die Tür zu setzen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Und warum bekommt ein Älterer nach dem Jobverlust schwerer eine Arbeit?

Holger Schäfer: Es ist schwer, auf diese Frage eine klare Antwort zu finden. Untersuchungen zufolge ist die Produktivität von Älteren nicht geringer als bei den Jüngeren. Das, was ihnen an aktuellem Wissen fehlt, gleichen sie durch Erfahrung aus. Manche Betriebe wollen bei Arbeitsplätzen, die einen hohen Qualifizierungsgrad erfordern, langfristig in das Humankapital investieren. Dann ziehen sie gegebenenfalls den 35jährigen dem 55jährigen vor, weil sie davon noch wesentlich längere Zeit profitieren können.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Ab wann zählt man denn zu den Älteren? Gibt es eine offizielle Definition oder eine Art ungeschriebenen Grundsatz, den der Großteil der Unternehmen üblicherweise anwendet?

Holger Schäfer: Nein. Dafür gibt es keine offizielle Definition. Letztlich bleibt das jedem selbst überlassen, wie er die Altersgruppen kategorisiert. Die Bundesagentur für Arbeit beispielsweise wendet die Kategorien „50plus“ und „55plus“ an.

"Erwerbsbeteiligung älterer Arbeitnehmer spektakulärster Erfolg"

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Hat denn die Gruppe der Älteren im Gegensatz zu den Jüngeren größere Schwierigkeiten im Berufsleben zu bestehen?

Holger Schäfer: Nein. Sie haben zwar größere Schwierigkeiten nach einem Arbeitsplatzverlust wieder in Lohn und Brot zu kommen. Doch laufen sie auch weniger Gefahr, ihre Arbeit zu verlieren. Diese beiden Faktoren halten sich ungefähr die Waage. Die Erwerbsbeteiligung der Älteren ist seit den Agenda-Reformen 2010 enorm angestiegen. Ihr Anteil hat sich mehr als verdoppelt. Dies ist einer der spektakulärsten Erfolge der deutschen Arbeitsmarkt-Entwicklung. Dass nur die Jüngeren am Arbeitsmarkt gefragt sind, kann man nicht sagen. Das alte Schlagwort vom Jugendwahn, dass die Unternehmen angeblich die Älteren nicht beschäftigen wollen, lässt sich nicht verwenden.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Das bedeutet, dass auch ein älterer Arbeitnehmer durchaus noch Karriere machen kann?

Holger Schäfer: Das ist auf gar keinen Fall ausgeschlossen. Natürlich spielen auch persönliche Faktoren eine Rolle, die ein Arbeitnehmer mitbringt – beispielsweise, wenn es um die räumliche Flexibilität geht. Für Jüngere kommt es in der Regel eher in Frage, dass sie umziehen, sollte dies nötig sein. Ein Älterer ist da meistens nicht so flexibel, weil er vielleicht schon über eine Immobilie oder soziale Bindungen verfügt, die er nicht verlassen will.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Haben die älteren Arbeitnehmer denn besonders durch die Pandemie gelitten?

Holger Schäfer: Nein. Das lässt sich so nicht beobachten. Dies sind Trends, die langfristig wirken, die im Grunde nichts mit der aktuellen Krise zu tun haben.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie entwickelt sich der Markt weiter?

Holger Schäfer: Wir gehen für 2021 jahresdurchschnittlich von einer Seitwärtsbewegung aus. Die Erwerbstätigkeit wird wahrscheinlich leicht sinken. Die Arbeitslosigkeit dürfte leicht steigen. Wir hoffen, dass sich der Markt in der zweiten Jahreshälfte weiter erholt. Im kommenden Jahr dürfte dann der Fortschritt deutlich zu spüren sein.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Herr Schäfer, herzlichen Dank für das Gespräch.

ZUM AUTOR: Holger Schäfer ist Senior-Ökonom für Beschäftigung und Arbeitslosigkeit am "IW Institut der deutschen Wirtschaft Köln".

LESEN SIE IN KÜRZE: Wie ein gewerkschaftsnahes Institut die Situation am Arbeitsmarkt einschätzt.

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