Deutschland

Kreiß zeigt auf: Besteuerung von Großgrundbesitzern würde 150 Milliarden Euro in die Rentenkasse spülen

Wie lange sollen wir im Alter arbeiten? Bis 68, 69 oder gar bis 70? Nein, sagt Christian Kreiß, das Rentenproblem ließe sich auch ganz anders in den Griff bekommen. Lesen Sie im Folgenden die vier Lösungsansätze des DWN-Kolumnisten.
15.08.2021 10:00
Lesezeit: 5 min
Kreiß zeigt auf: Besteuerung von Großgrundbesitzern würde 150 Milliarden Euro in die Rentenkasse spülen
Arbeiten bis 68, 69 oder gar 70? Nicht jeder ist so fit wie Reetdachdeckermeister Peter Heinrich aus Holste (bei Bremen). (Foto: dpa)

Am 4. August titelte die Bild-Zeitung: „Experten warnen: Renten-Ausgaben werden explodieren!“[1] Nicht nur in der Bild-Zeitung, sondern in sehr vielen Medien gab es seit Juni einige aufgeregte Artikel zur Entwicklung der Renten. Auslöser für die Diskussion war ein Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie vom 4. Mai mit dem Titel „Vorschläge für eine Reform der gesetzlichen Rentenversicherung“.[2] In der Presseerklärung dazu vom 7. Juni hieß es: „Der Beirat prognostiziert schockartig steigende Finanzierungsprobleme in der gesetzlichen Rentenversicherung ab 2025“.[3] Er empfahl daher unter anderem eine Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 68. Der Spiegel betitelte die vorgeschlagenen Maßnahmen mit „Asozialer Oberhammer“[4], und Wirtschaftsminister Altmaier distanzierte sich umgehend von den Vorschlägen seiner Wissenschaftler.[5]

Ein Großteil unserer Altersrenten wird über die gesetzliche Rentenversicherung abgewickelt. Wegen der niedrigen Geburtenrate und der steigenden Lebenserwartung verschiebt sich in Deutschland seit längerem das Verhältnis der Menschen im Alter von 65 und darüber zu denjenigen im arbeitsfähigem Alter (20 bis 64 Jahre). Dieser so genannte Altersquotient lag 2018 noch bei gut 35 Prozent. Er soll bis 2036 auf gut 53 Prozent steigen.[6] Ganz grob heißt das, dass 2018 noch beinahe drei Menschen im arbeitsfähigen Alter für einen Senior aufkommen konnten, in 15 Jahren wird man dafür voraussichtlich nur noch rund zwei haben.

Die gängigen, konventionellen Vorschläge, um mit diesem Alterungsphänomen umzugehen sind:

  1. Renten senken oder unterproportional steigen lassen
  2. Beiträge oder Bundeszuschüsse erhöhen
  3. Länger arbeiten: Renteneintrittsalter auf 68 oder 69 erhöhen
  4. Zuzug von ausländischen Arbeitskräften

Ich halte alle diese vier Ansätze für falsch oder unnötig. Wir könnten das Rentenproblem auch ganz anders lösen. Dafür möchte ich im Folgenden vier Vorschläge machen.[7]

1. Leistungslose Einkommen besteuern

Nach der Methodik und Nomenklatur des Sachverständigenrates der deutschen Wirtschaft (die „fünf Weisen“), gibt es derzeit Nicht-Arbeits-Einkommenszuflüsse (für diejenigen, die arbeiten) und Rentenzahlungen (für diejenigen, die sich bereits in Rente befinden) in Höhe von schätzungsweise 550 Milliarden Euro. Und zwar in Form von Mieten, Pachten, Dividenden, Gewinnentnahmen und Zinsen.[8] Diese Zahlungen sind in jedem Produkt- und Dienstleistungspreis automatisch enthalten. Jede Konsumentin und jeder Konsument zahlt sie täglich. Diese Zahlungen fließen an die Eigentümer von Boden, Immobilien, Aktien, Unternehmensanteilen, Schuld- und Geldpapieren. Die oberen ein Prozent der Bevölkerung besitzen etwa 35 Prozent dieser Vermögen in Deutschland, das wohlhabendste Zehntel etwa 67 Prozent.[9]

Bezogen auf die Konsumausgaben der privaten Haushalte 2019 in Höhe von 1.794 Milliarden Euro[10] entsprechen diese leistungslosen Einkommen einem Kostenanteil von etwa 30 Prozent. Wir alle zahlen also in unserer Funktion als Konsumenten täglich knapp ein Drittel des Kaufpreises an die wohlhabenden Teile der Bevölkerung. Insofern existiert in Deutschland, ebenso wie in praktisch allen anderen Ländern, eine perfekt und still funktionierende „Steuer an die Reichen“. Mit anderen Worten: Alle zahlen ständig eine erhebliche Abgabe an die Wohlhabenden. Diese leistungslosen Transferzahlungen sind zum größten Teil nicht nur asozial, sondern auch gefährlich.[11]

Mein erster Vorschlag lautet daher: Lasst uns diese leistungslosen Zahlungen und Renten-Zahlungen, die heute auf die Girokonten der Wohlhabenden fließen, zur Finanzierung unserer Altersrenten heranziehen. Konkret könnte man eine Abgabe auf nicht selbst genutzten Boden und Immobilien von vielleicht drei Prozent des Marktwertes pro Jahr erheben, nach Berücksichtigung von Freibeträgen in Höhe von möglicherweise ein oder zwei Millionen Euro pro Familienmitglied.

Normale Häuslebauer und Landwirte würden von dieser Abgabe also nicht betroffen, sondern ausschließlich Großeigentümer von Boden oder Immobilien. Beispielsweise sind etwa 60 Prozent des landwirtschaftlich genutzten Bodens in Deutschland derzeit in Händen von Nicht-Landwirten. Die Tagesschau erwähnte in diesem Zusammenhang im Juli 2021 die Aldi-Erben als Erwerber einer riesigen landwirtschaftlichen Nutzfläche und verwies auch auf die USA, wo mittlerweile Bill Gates der größte Eigentümer von Farmland sei.[12] Weit mehr als die Hälfte unserer Landwirte muss also ständig Pacht an Fremde zahlen, die das Land nicht bearbeiten, in der Regel an Multimillionäre. Das halte ich für kontraproduktiv, und das sollten wir ändern. Darüber hinaus ist die Eigenheimquote in Deutschland im internationalen Vergleich extrem niedrig. So schrieb die Bundeszentrale für politische Bildung im Oktober 2020 über Deutschland: „Der Anteil der Besitzer einer selbstgenutzten Immobilie lag im Jahr 2017 bei knapp 39 Prozent.“[13]

Das gesamte Immobilienvermögen in Deutschland betrug 2019 etwa 14.700 Milliarden Euro, davon die reinen Bodenwerte 5.300 Milliarden.[14] Angesichts der niedrigen Eigenheimquote von deutlich unter 50 Prozent sowie der hohen Fremdeigentumsquote von Agrarland, dürften die Einnahmen aus einer solchen Abgabe auf nicht selbst genutzte beziehungsweise bewohnte Immobilien oder Boden leicht 150 Milliarden Euro pro Jahr einbringen.[15] Zum Vergleich: Die Netto-Bodenerträge vor Steuern, also die leistungslosen Bodenrenten, dürften 2019 deutlich über 400 Milliarden Euro betragen haben.[16] Wenn man diese Abgabe von vielleicht 150 Milliarden Euro zur Finanzierung unserer Renten verwenden würde, wären alle Rentenprobleme für die nächsten Generationen gelöst. Mit einer solchen Abgabe auf nicht selbstgenutztem Boden würden wir also gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: eine Reduzierung der asozialen, leistungslosen Bodenrentenflüsse in die Taschen von Multimillionären und eine Sicherung unseres Rentensystems.

2. Steuerliche Abzugsfähigkeit von Werbeeinnahmen abschaffen

Die Werbeausgaben in Deutschland betragen derzeit schätzungsweise 80 Milliarden Euro.[17] Nimmt man die gesamten Marketing-Ausgaben, so sprechen wir von einem Betrag in Höhe von 200 bis 400 Milliarden Euro pro Jahr.[18] Da kommerzielle Werbung zu Gewinnerzielungszwecken die Konsumenten weder informiert noch sonst irgendeinen Nutzen stiftet, im Gegenteil lediglich alle beworbenen Produkte nur unnötig verteuert, gibt es volkswirtschaftlich gesehen keinen Grund für unsere so immens hohen Werbeausgaben. Das sagten bereits Koryphäen der Volkswirtschaftslehre wie Alfred Marshal oder Arthur Pigou vor etwa 100 Jahren. Laut ihnen sind Werbeausgaben für kompetitive Werbung, das sind über 90 Prozent all unserer Werbung, „social waste“[19] und sollte daher abgeschafft oder eingeschränkt werden, beispielsweise über eine Verteuerung. Genau das würde das Wegfallen der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Werbeaufwand bewirken.

Diese simple Steuermaßnahme würde Einnahmen von anfangs vielleicht 15 Milliarden Euro pro Jahr einbringen. Würde man sie für die Rentenfinanzierung einsetzen, wären immerhin knapp fünf Prozent zusätzliche Einnahmen verfügbar. Auch mit dieser Maßnahme würden wir zwei Fliegen mit einer Klappe treffen: Zum einen eine Unterstützung der Rentenkassen, zum anderen würde dies mittelfristig zu einer Reduzierung der unsinnig hohen Werbeausgaben führen und dadurch die Marktwirtschaft und das Funktionieren der Märkte stärken, weil weniger Konsumenten-Irreführung und Ressourcen-Fehllenkung stattfänden.[20]

Zwei weitere Maßnahmen

Zwei weitere Maßnahmen (also die Nr. 3 und 4) zur Sicherung unserer Renten beziehungsweise zur Umschichtung von Arbeit aus unnötigen in dringend benötigte Tätigkeiten wie Altenpflege, die ich hier nur noch skizzieren, aber nicht ausarbeiten will, wären:

3. Erhöhter Mehrwertsteuersatz auf alle Produkte, die nicht dem cradle-to-cradle-Prinzip ( sinngemäß „vom Ursprung zum Ursprung“; ein Ansatz für eine durchgängige und konsequente Kreislaufwirtschaft) folgen.[21] Man kann mit einem Zusatzpunkt Mehrwertsteuer beginnen und diesen nach einem im Vorfeld kommunizierten Plan im Laufe der Jahre langsam auf bis zu zehn Prozentpunkte erhöhen. Dadurch bekommen die Unternehmen Planungssicherheit. Der große Vorteil eines solchen erhöhten Mehrwertsteuersatzes wäre, dass langfristig billige Schund- und Einmalprodukte, Wegwerf-Artikel, ein großer Teil der Plastikerzeugnisse, etc. systematisch verteuert und dadurch langfristig verringert würden. Das würde unserer Umwelt und unserer Gesundheit zu Gute kommen und könnte für die Finanzierung unserer Renten verwendet werden.

4. Haltbarkeits- und Reparierbarkeits-Label auf alle langlebigen Konsumgüter.[22] Dadurch würde die Haltbarkeit vieler langlebiger Konsumgüter steigen, wir würden bessere und günstigere Produkte bekommen und könnten unsere Erwerbsarbeitszeit reduzieren - und das alles ohne jeglichen Verlust an Lebensstandard. Dadurch könnten wir Arbeitszeit freisetzen und hätten unter anderem mehr Personal für Alters-, Senioren- und Pflegeheime.

Fazit

Die hier vorgestellten Maßnahmen könnten, wenn sie zur Finanzierung der Renten eingesetzt würden, unsere Rentenprobleme für die nächsten Generationen lösen. Darüber hinaus würden sie einen Beitrag zu einer sozialeren Wirtschaftsordnung leisten, unsere Umwelt entlasten, unnötige Arbeit reduzieren und unser Leben lebenswerter machen.

[7] Einen kompletten Vortrag von mir zu diesem Thema findet man hier: www.youtube.com/watch?v=OcGNzWWREus

[15] Drei Prozent auf 5000 Milliarden Euro

[17] Kreiß, Christian, Werbung nein danke – Wie wir ohne Werbung viel besser leben könnten, Europa-Verlag Berlin 2016

[18] Gürtler, Detlef und Kreiß, Christian, Der teure Schein, 5.6.2021: www.entrepreneurship.de/artikel/der-teure-schein/

[19] Kreiß, Werbung nein danke

[20] Vgl. Kreiß, Werbung nein danke

[21] Vgl. Braungart, Michael, McDonough, William, Cradle to Cradle: Einfach intelligent produzieren, Piper 2014

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Christian Kreiß

                                                                            ***

Prof. Dr. Christian Kreiß, Jahrgang 1962: Studium und Promotion in Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsgeschichte an der LMU München. Neun Jahre Berufstätigkeit als Bankier, davon sieben Jahre als Investment Banker. Seit 2002 Professor an der Hochschule Aalen für Finanzierung und Volkswirtschaftslehre. Autor von sieben Büchern: Gekaufte Wissenschaft (2020); Das Mephisto-Prinzip in unserer Wirtschaft (2019); BWL Blenden Wuchern Lamentieren (2019, zusammen mit Heinz Siebenbrock); Werbung nein danke (2016); Gekaufte Forschung (2015); Geplanter Verschleiß (2014); Profitwahn (2013). Drei Einladungen in den Deutschen Bundestag als unabhängiger Experte (Grüne, Linke, SPD), Gewerkschaftsmitglied bei ver.di. Zahlreiche Fernseh-, Rundfunk- und Zeitschriften-Interviews, öffentliche Vorträge und Veröffentlichungen. Homepage www.menschengerechtewirtschaft.de

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