Der Druck auf Ungeimpfte nimmt seit einigen Wochen spürbar zu. Verständlicherweise, könnte man meinen, denn auch die Inzidenzen steigen wieder; eine vierte Corona-Welle scheint im Anmarsch zu sein oder hat gar schon begonnen. Und die Delta-Variante ist offenbar deutlich ansteckender als die ursprüngliche, weshalb die Notwendigkeit angemessener Vorsorge fast allenthalben einleuchtet. In dieser Stimmungslage ist kürzlich sogar die Debatte um eine Impfpflicht neu aufgeflammt. Dabei konnte man dieses Thema längst als erledigt betrachten – hatte doch Kanzlerin Angela Merkel versichert: „Es wird in dieser Pandemie keine Impfpflicht geben.“[i] Gesundheitsminister Jens Spahn und andere Verantwortungsträger hatten sich in derselben Weise geäußert. Doch das Tabu scheint jetzt gebrochen. „Für alle Zeiten kann ich eine Impfpflicht nicht ausschließen“, ließ beispielsweise Ministerpräsident Winfried Kretschmann vor einigen Wochen verlauten[ii].
Energischer und erstaunlich einseitig präsentierte ein Beitrag in der ARD-Sendung „Report Mainz“ vom 24. August Argumentionen zu Gunsten einer Impfpflicht, um damit gegen „militante Impfgegner“ Front zu machen. Selbstverständlich würden im Falle einer gesetzlichen Impfpflicht jene Menschen ausgenommen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden könnten; ansonsten lege sich eine bürgerliche Solidarpflicht nahe – so der Tenor der Sendung. Als Mitglied des Deutschen Ethikrats wurde Professor Wolfram Henn zitiert: Werkzeuge aus der Hand zu legen, ohne zu wissen, was auf einen zukomme, das halte er für „ein bisschen blauäugig.“ Der erfahrene Rechtswissenschaftler Thomas Fischer kam zu Wort: „Die Impfplicht ist eine verhältnismäßige, erforderliche und auch angemessene Maßnahme.“ Sodann meinte der Vorsitzende des Weltärzterates, Frank Ulrich Montgomery, er halte eine Impfpflicht für sehr vernünftig: „Wir müssen aufhören, vor Minderheiten nur immer wieder den Hut zu ziehen, sondern müssen auch manchmal sagen: Es gibt eine Art gesellschaftlicher Verpflichtung, nicht nur sich, sondern auch andere zu schützen, und das macht man am besten durch die Impfung.“
Die hier laut werdende Forderung nach einem Ende des Respekts vor Minderheiten, konkret also vor der Minderheit der Impfunwilligen, ist bedenklich, wenn man sich die ersten Artikel des Grundgesetzes vor Augen hält. Denn in unserem Rechtsstaat haben die Grundrechte des Individuums einen hohen Rang, sie können von keinen Mehrheiten einfach abgeschafft oder verrechnet werden. Doch ihre Einschränkung aus bestimmten Gründen ist durchaus möglich – etwa um in Pandemiezeiten[iii] die Ausbreitung eines gefährlichen Virus wie COVID-19 zu verhindern. Die rechtliche Grundlage für die bisherigen Maßnahmen in Deutschland bietet vor allem das Infektionsschutzgesetz. Die Maßnahmen dienen dem Zweck, dem
gefährlichen Virus die Stirn zu bieten und damit das Recht bislang nicht infizierter Menschen auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Grundgesetz zu schützen. Es ist also geregelt, wie und in welche Rechte der Staat eingreifen darf. Aber kann die Einschränkung so weit gehen, dass mit staatlich angeordneten Maßnahmen die körperliche Unversehrtheit der Ungeimpften, die invasive medizinische Maßnahmen an ihrem Leib ablehnen, infrage gestellt wird?[iv]
Die Angst der Geimpften vor der ungeimpften Minderheit
Man könnte meinen, hier stehe eine schwierige Abwägung von Grundrechten zweier Gruppen an. Indes – ist es wirklich so schwer, zu einer ethisch verantwortlichen Entscheidung in dieser Frage zu finden? Fakt bleibt schließlich, dass die weitaus größere Gruppe der vollständig Geimpften – sie macht wahrscheinlich nach der Bundestagswahl circa drei Viertel der Bevölkerung aus – ja eben bereits Impfschutz genießt, also nur in geringem Maße gefährdet ist. Das gilt auch, sofern die sogenannte Herden-Immunität noch nicht erreicht sein sollte. Die Angst der geimpften Mehrheit vor der ungeimpften Minderheit ist folglich schlicht irrational. Und sie kann daher eine so drastische Maßnahme wie eine allgemeine Impfpflicht unmöglich begründen. Sind die Motive dafür in Wahrheit vielleicht doch hintergründig eher finanzieller Art, wie angesichts der Riesensummen, die international bekanntlich im Spiel sind[v], oft längst vermutet wird?
Bedenkt man obendrein, dass sich nachweislich auch Geimpfte noch infizieren und durchaus noch ansteckend sein können[vi], wenn auch - wie bereits erwähnt - in weitaus geringerem Maß, dann leuchtet nicht recht ein, warum ein unbedingter Zwang zum Impfen anzustreben sei. Sollten nicht eher – wenn man schon auf einigermaßen „totale“ Sicherheit aus ist – Tests für Ungeimpfte und Geimpfte gleichermaßen vorgeschrieben werden?
Einleuchtend sind indessen manche Argumente der Impfskeptiker. Gemeint sind hier keineswegs irgendwelche verschwörungstheoretischen Behauptungen wie neuerdings diejenige, dass der Impfstoff Graphen bzw. Graphenoxid enthalte[vii] – womöglich um Menschen elektromagnetisch ansteuern und „versklaven“ zu können. Vielmehr geht es um überzeugende Gründe, die mit gesundem Menschenverstand nachvollziehbar sind. Ein Hauptargument besteht im Verweis auf den Umstand, dass gravierende gesundheitliche Spätfolgen bei Impfungen keineswegs völlig auszuschließen sind; sie können prinzipiell noch Jahre danach auftreten. Die Auskunft von Susanne Stöcker, Pressesprecherin des Paul-Ehrlich-Instituts, bei Impfstoffen seien Langzeit-Nebenwirkungen erst nach Jahren generell nicht bekannt[viii], überzeugt kaum. Vor allem in skandinavischen Ländern weiß man wegen des Impfstoffs Pandemrix gegen das Schweinegrippe-Virus H1N1 um gravierende Spätnebenwirkungen[ix]. Und generell sind jahrelange Impf-Schäden der Medizin keineswegs unbekannt[x]. Ob im Falle von COVID-19-Impfungen langfristig auf DNA- oder RNA-Ebene Krebs ausgelöst werden könnte, bleibt angesichts der neuartigen mRNA-Technologie eine spekulative Frage; Ärzte wie Heiko Schöning, Walter Weber, Olaf Müller-Liebenau und andere geben jedenfalls zu bedenken: „Niemand weiß etwas über die Langzeitfolgen.“[xi] Darum gibt es hier auch keine Garantien.
Damit hängt ein weiteres Argument zusammen: Die Impfstoffe gegen COVID-19 haben in Europa lediglich eine Notfallzulassung. Das bedeutet im Grundsatz lediglich eine Ausnahme von der Zulassungspflicht aufgrund der vorliegenden epidemiologischen Notsituation; Hersteller und Inverkehrbringer sind dann aus der administrativen und zivilrechtlichen Haftung ausgenommen[xii]. Kein sehr beruhigender Umstand! Normalerweise brauchen Impfstoffe jahrelange Erforschung und Erprobung bis zur Zulassung. Dass angesichts der erstaunlichen Schnelligkeit der Einführung von COVID-19-Impfungen durchaus ein gerüttelt Maß an Impf-Skepsis – und zwar auch unter Medizinern – vorhanden ist, verdient Respekt. Eine allgemeine Impfpflicht lässt sich schwerlich angesichts einer bloßen Notfallzulassung durchsetzen.
Solidarität ist nichts zu Erzwingendes
In den USA hat allerdings kürzlich als erstes Vakzin das von BioNTech/Pfizer – und zwar für Menschen ab 16 Jahren – eine vollständige Zulassung erhalten. Als Folge erwarten viele Experten dort weitere mögliche Impfpflichten etwa von Stadtverwaltungen, Universitäten oder Gesundheitseinrichtungen, die aus rechtlichen Gründen einen solchen Schritt hatten abwarten wollen. Wird nicht auch in Europa und just in Deutschland im Zuge einer solchen Weiterentwicklung der Sachlage der Druck in Richtung Impfpflicht wachsen? Dabei wächst freilich – je länger, desto mehr – auch der Anteil der geimpften Bevölkerung, so dass die Minderheit der Ungeimpften immer unerheblicher wird[xiii]. Und da es sich bei COVID-19 keineswegs um eine Pestepidemie, sondern eher um eine grippeähnliche Erkrankung handelt, von der viele Experten sagen, dass sie ohnehin nicht mehr völlig von der Bühne des Geschehens verschwinden werde, wäre ein Impfzwang auf jeden Fall eine unverhältnismäßige staatliche Gewaltanwendung.
In bleibender Impf-Skepsis drückt sich nicht zuletzt der Umstand aus, dass weder die allgemeine Bevölkerung noch die Verantwortlichen in der Regierungspolitik tieferes fachliches Wissen über diese neuartige Impfung haben. Insofern geht es hier um Vertrauen und Misstrauen in die Forschenden – wobei wissenschaftstheoretisch in Rechnung zu stellen ist, dass die Forschung immer weitergeht, mitunter missbraucht wird[xiv] und auch schon so manchen Irrweg hat eingestehen müssen. Die Argumente der Impfbefürworter sind gut und stark, aber die der Impfverweigerer haben auch ihr Recht. In der Bibel findet sich im 1. Korintherbrief des Apostels Paulus der Rat an die Meinungsstarken, Rücksicht auf die vermeintlich „Schwachen“ zu nehmen (9,21-22). Die heutige Politik darf sich hieran erinnern lassen: Es ist ein Zeichen von Stärke und Zusammenhalt, die Schwachen nicht auszuschließen und zu diskriminieren oder womöglich gar zu etwas zwingen zu wollen, das ihrer Überzeugung zuwiderläuft.
Wer von den noch Ungeimpften gesellschaftlich eine solidarische Impfbereitschaft und damit auch die Akzeptanz denkbarer Impfschäden, also Neben- und Langzeit-Wirkungen einfordert, sollte bedenken, dass Solidarität dem Wesen nach etwas Freiwilliges ist und von keiner rechtsstaatlich orientierten Regierung erzwungen werden kann. Der Theologe Jörg Zink hat schon 2007 erklärt: „Solange wir eine Solidarität von oben meinen, werden wir der Wirklichkeit immer in einer bestimmten perspektivischen Verzerrung begegnen.“
Umso befremdlicher muten neuerdings Meldungen an, Minister Spahn wolle eine Impfstoff-Dosis für ungefähr jeden Bürger und jede Bürgerin als „Vorrat“ anlegen[xv]. Sollte sich hier eine kommende Impfpflicht in Deutschland ankündigen? Kanzlerkandidat Armin Laschet erklärte diesen Sommer zwar, er halte nichts von einer Impfpflicht, doch „wenn wir dann im Herbst sehen, die Impfquote ist immer noch viel zu niedrig, finde ich, muss man dann weiter nachdenken.“[xvi] Die Mitbewerberin fürs höchste Regierungsamt, Annalena Baerbock, meinte: „Eine Impfpflicht ist in unserem Land gesetzlich, rechtlich, juristisch nicht ganz einfach.“[xvii] Sie erwägt aber zumindest einen Zwang für bestimmte Berufszweige. Ihr Konkurrent Olaf Scholz äußert klarer: „Wir haben jetzt keine Impfpflicht und wollen sie auch nicht einführen.“[xviii] Wen er allerdings mit „Wir … wollen“ meinte, bleibt offen. Man kann nur hoffen, dass die kommende Bundesregierung sich an das Versprechen der Altkanzlerin halten wird.
Sollte es anders kommen, wird an die Parlamentarische Versammlung des Europarates vom 27. Januar 2021 zu erinnern sein, in deren Resolution 2361 eine Richtschnur geschaffen wurde, die unter Punkt 7.3.1 besagt, „dass die Impfung NICHT verpflichtend ist und dass niemand politisch, gesellschaftlich oder anderweitig unter Druck gesetzt wird, sich impfen zu lassen, wenn er dies nicht selbst möchte“. Doch weil diese Entschließung rechtlich nicht bindend ist[xix], lässt sich die Einführung einer Impfpflicht in Deutschland für die Zukunft keineswegs völlig ausschließen. Sicher ist nur zweierlei: dass sie nicht noch vor der Bundestagswahl kommen – und auch unter der neuen Regierung keine Ausrottung des Virus bewirken[xx] wird.
[i] [www.zdf.de] id="edn2">
[ii] [www.swr.de] (alle in diesem Artikel aufgeführten Internet-Zugriffe datieren auf den 29.8.2021)
[iii] Vgl. Werner Thiede: Trotz der Plage keine Umkehr. Die Corona-Krise im Licht theologischer Ethik, in: Informationsbrief der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“ Nr. 322 (2020), 14-16
[iv] Vgl. auch Flo Osrainik: Das Corona-Dossier. Unter falscher Flagge gegen Freiheit, Menschenrechte und Demokratie, Neuenkirchen 2021
[v] [www.tagesschau.de] id="edn6">
[vii] Siehe [nichtimpfen.de] (alle auch im Folgenden aufgeführten Zugriffe datieren auf den 29.8.2021). Hiergegen argumentiert [correctiv.org] id="edn8">
[viii] [www.zdf.de] id="edn9">
[ix] [www.swr.de] [www.deutschlandfunk.de] id="edn10">
[x] Siehe [www.zdf.de] id="edn11">
[xi] [www.youtube.com] [www.netdoktor.de] Clemens G. Arvay: Corona-Impfstoffe – Rettung oder Risiko? Wirkungsweisen, Schutz und Nebenwirkungen der Hoffnungsträger, Berlin 2021
[xii] [www.aerzteblatt.de] id="edn13">
[xiii] Das gilt erst recht, wenn man die Zahl der aus gesundheitlichen Gründen nicht zu Impfenden sowie der Kinder abzieht, bei denen ja nach allen Statistiken kaum eine ernstere Erkrankungs- oder gar Todesgefahr besteht (doch sind sie mitunter auch von Spätfolgen betroffen: [www.br.de])
[xiv] Vgl. Christoph Lütge/Michael Esfeld: Und die Freiheit? Wie die Corona-Politik und der Missbrauch der Wissenschaft unsere offene Gesellschaft bedrohen, München 2021
[xv] [www.tagesschau.de] id="edn16">
[xvi] [www.tagesschau.de] id="edn17">
[xvii] [www.welt.de] id="edn18">
[xviii] [www.sueddeutsche.de] id="edn19">
[xix] [correctiv.org] id="edn20">
[xx] WHO-Nothilfekoordinator Mike Ryan: [www.nachrichten.at] class="fin2box f2b-width-w3 f2b-align-left f2b-type-pic" data-align="left" data-type="pic" data-width="w3">
[i] [www.zdf.de] id="edn2">
[ii] [www.swr.de] (alle in diesem Artikel aufgeführten Internet-Zugriffe datieren auf den 29.8.2021)
[iii] Vgl. Werner Thiede: Trotz der Plage keine Umkehr. Die Corona-Krise im Licht theologischer Ethik, in: Informationsbrief der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“ Nr. 322 (2020), 14-16
[iv] Vgl. auch Flo Osrainik: Das Corona-Dossier. Unter falscher Flagge gegen Freiheit, Menschenrechte und Demokratie, Neuenkirchen 2021
[v] [www.tagesschau.de] id="edn6">
[vii] Siehe [nichtimpfen.de] (alle auch im Folgenden aufgeführten Zugriffe datieren auf den 29.8.2021). Hiergegen argumentiert [correctiv.org] id="edn8">
[viii] [www.zdf.de] id="edn9">
[ix] [www.swr.de] [www.deutschlandfunk.de] id="edn10">
[x] Siehe [www.zdf.de] id="edn11">
[xi] [www.youtube.com] [www.netdoktor.de] Clemens G. Arvay: Corona-Impfstoffe – Rettung oder Risiko? Wirkungsweisen, Schutz und Nebenwirkungen der Hoffnungsträger, Berlin 2021
[xii] [www.aerzteblatt.de] id="edn13">
[xiii] Das gilt erst recht, wenn man die Zahl der aus gesundheitlichen Gründen nicht zu Impfenden sowie der Kinder abzieht, bei denen ja nach allen Statistiken kaum eine ernstere Erkrankungs- oder gar Todesgefahr besteht (doch sind sie mitunter auch von Spätfolgen betroffen: [www.br.de])
[xiv] [www.tagesschau.de] id="edn15">
[xv] [www.tagesschau.de] id="edn16">
[xvi] [www.welt.de] id="edn17">
[xvii] [www.sueddeutsche.de] id="edn18">
[xviii] [correctiv.org] id="edn19">
[xix] WHO-Nothilfekoordinator Mike Ryan: [www.nachrichten.at]