Finanzen

Europa steuert auf eine schwere Krise zu: Die Inflation ist bereits da - hohe Arbeitslosigkeit und Insolvenzwelle werden folgen

Lesezeit: 7 min
04.09.2021 11:51
Die Aussichten für Europa und Deutschland sind gar nicht gut.
Europa steuert auf eine schwere Krise zu: Die Inflation ist bereits da - hohe Arbeitslosigkeit und Insolvenzwelle werden folgen
Tristesse: Der Berliner Breitscheidplatz. (Foto: dpa)

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Eine nach der anderen explodieren sie nun: Die - mit der Verteilung von Milliarden und Abermilliarden - künstlich verdeckten tickenden Zeitbomben. Die Inflation ist bereits Realität: Die Preissteigerung in der EU gegenüber dem Vorjahr beträgt 3,0 Prozent, in Deutschland sogar 3,8 Prozent. Was Nahrungsmittel angeht: Für sie müssen deutsche Haushalte 4,3 Prozent mehr aufwenden, für Energie sogar 11,6 Prozent. Wobei man absehen kann, dass dies nur der Anfang ist: Baustoffe, Holz, elektronische Elemente und andere Produkte sind äußerst knapp und nur nach langen Wartezeiten erhältlich, das heißt, die Kunden zahlen weltweit Höchstpreise, um doch irgendwie beliefert zu werden – ein weiterer Inflationstreiber. Positiv ist immerhin, dass die Arbeitslosenzahlen EU-weit stabil oder sogar leicht gesunken sind; wobei in Deutschland die Quote im August mit 5,6 Prozent sogar niedriger lag als im August 2020 (6,4 Prozent). Aber: Tatsache ist, dass die Corona-Förderungen für eine Scheinwelt sorgen, die ohne den staatlichen Geldsegen zusammenbrechen würde. Und zusammenbrechen wird, wenn dieser Geldsegen nicht mehr fließt – was früher oder später der Fall sein wird. Und noch ein Problem ist virulent: Europaweit sind noch tausende Firmen aktiv, die unter regulären Umständen schon längst vom Markt verschwunden wären und somit keine Arbeitnehmer beschäftigen könnten. Eine Pleitewelle – sie ist unvermeidlich, und damit auch eine Zunahme der Arbeitslosigkeit.

Die gar nicht so kleine, alltägliche, überall zu beobachtende Preistreiberei

Die Inflation wird von vielen Faktoren getrieben. Ein zentrales Element kann man, ganz banal, im Restaurant beobachten. Die Corona-Krise hat lange für Umsatzausfälle gesorgt und auch jetzt, ohne Lock-Down, blüht das Geschäft nicht besonders. Die erste Reaktion eines Unternehmers in der Flaute ist eine Rabattaktion. Diese bringt aber in der Regel keinen üppigen Erfolg, und so versucht man, von den verbleibenden Kunden durch mehr oder weniger kräftige Preissteigerungen den fehlenden Ertrag zu holen. Das Gleiche ist bei den Nahrungsmitteln im Supermarkt zu beobachten: Während man etwa bei Fleisch mit Schleuderpreisen agiert, verwandelt sich das vermeintlich doch so preiswerte Gemüse in ein Luxusgut.

Die Energiepolitik schlägt Kapriolen - mit dem Effekt, dass alles teurer wird

Der Energiepreis spielt eine entscheidende Rolle. Und da ist das Maß für alle Produkte der Ölpreis, der in den vergangenen zwölf Monaten von 40 auf 75 Dollar je Fass gestiegen ist.

Fakt ist: Die Politik betreibt den Umstieg von Öl auf Sonne und Wind. Was das bedeutet, wissen die deutschen Stromkunden besser als alle anderen Europäer. Die Kilowattstunde kostet durch die im Preis enthaltene Förderung von Sonnen- und Wind-Energie durchschnittlich 31,81 Cent; im EU-Schnitt (in dem die deutschen Werte enthalten sind) nur 21,3 Cent.

Aktuell strebt die EU-Kommission eine Reform der Energie-Besteuerung an. Um den Ausstieg aus Öl, Gas und Kohle zu finanzieren, sollen diese Produkte höher besteuert werden. Was wird man besteuern, wenn der Ausstieg aus den fossilen Energien vollzogen ist? Die Antwort: Derzeit sind der Energie-Verbrauch im Auto und jener im Haushalt noch getrennte Welten, und die Kilowattstunde ist immer noch weit billiger als ein Liter Benzin. Was man offenbar in der EU-Kommission übersieht oder übersehen will, ist eine brutale Perspektive: Derzeit kaufen die E-Auto-Besitzer den Strom zu Haushaltsbedingungen. Oder stellen ihn selbst in einer eigenen Photovoltaik-Anlage auf dem Dach her. Dominieren aber eines Tages die E-Autos, dann werden die Finanzminister die hohen Steuern, die derzeit im Benzin-oder Diesel-Preis enthalten sind, selbstverständlich an der E-Tankstelle kassieren. Oder im Haushalt zwei Stromzähler vorschreiben, einen für den günstigeren Haushaltsstrom, einen für den E-Auto-Strom.

Der Computer-Chip wurde zum bestimmenden Faktor des Weltmarkts

Zu den erfolgreichsten Branchen gehört derzeit die Computer-Industrie. Tüchtige Firmen unternehmen derzeit alles, um die Abläufe mit Hilfe der Computer rationeller zu gestalten und die Kommunikation verstärkt über Video-Konferenzen laufen lassen. Und: Im Privatbereich dominiert im Gefolge der Lock-Downs das Leben zu Hause, und so sind TV-Geräte, Computer, Spielkonsolen und Handys stark nachgefragt. Auch wirkt sich der Umstand aus, dass heute in fast allen anderen Geräten des täglichen Bedarfs elektronische Elemente enthalten sind. Die Nachfrage nach Computer-Chips und anderen elektronischen Bestandteilen ist deshalb explodiert, und die Erzeuger – die meist in Asien ihren Sitz haben – kommen mit den Lieferungen nicht nach. Für sie gar nicht so schlimm, umso mehr für ihre Kunden. Die Marktlage führt nämlich zu ständigen Preissteigerungen.

Ein besonderes Problem belastet die Auto-Industrie. Die Chip-Hersteller haben die Produktion zur Unterhaltungsbranche verlagert und die Produktion für die Auto-Industrie angesichts der Lock-Down-bedingten Flaute im Vorjahr gedrosselt. Mit der wieder stärkeren Verbraucher-Nachfrage nach Kraftfahrzeugen kommt es nun in den Auto-Fabriken zu extremen Engpässen, deren Folge lange Lieferzeiten und extreme Preissprünge sind.

Die Reedereien haben in einer ersten Phase der Corona-Krise Schiffe stillgelegt und durch eine künstliche Verknappung die Tarife in die Höhe geschraubt. Jetzt stehen wieder mehr Schiffe zur Verfügung, aber in den chinesischen Häfen herrscht Chaos, weil man die Menge nicht bewältigen kann, und so wird die Versorgung noch knapper, was die Preise noch mehr in die Höhe treibt.

Von USA bis China – das teure Gerangel um die Versorgung mit Baustoffen

Einen weiteren Preistreiber bildet die Bauwirtschaft. In Europa wird gebaut wie noch nie, wobei nicht nur die tatsächliche Nachfrage nach Wohnraum entscheidend ist. Viele kaufen als Vermögensanlage Wohnungen und zahlen extrem hohe Preise, die naturgemäß auch für jene gelten, die tatsächlich eine Wohnung brauchen. Dies ist eine existenzielle Sorge für die Jungen, aber auch ein großes volkswirtschaftliches Problem. Die Millionen, die in so genannten „Vorsorge-Wohnungen“ fließen, sollten besser in Unternehmen angelegt werden, die mit den Mitteln Investitionen in die Zukunft finanzieren könnten (hier zeigt sich überdeutlich die Schwäche des europäischen Kapitalmarkts, der nicht dafür sorgt, dass vorhandenes Kapital den Weg zu den besten Firmen findet). Doch im Bau-Bereich wirken noch weitere Preistreiber.

Die großen Wirtschaftsmächte USA und China erleben derzeit einen Bauboom und kaufen weltweit zu Spitzenpreisen Baumaterial auf, auch wenn sie beide selbst große Produzenten sind. Das Holz, das aus Europa nach Amerika und China geliefert wird, fehlt in Europa, und so bekommt man hierzulande derzeit so banale Dinge wie Bretter für einen Kücheneinbau oder einen Parkettboden nur zu horrenden Preisen und mit Lieferfristen von sechs bis acht Monaten.

Damit nicht genug: Im Zuge der „Grünen Welle“ ist heute Wohnen in Holz überall modern. Die Nachfrage der Privathaushalte nach Holzhäusern, nach Wandverkleidungen und Möbeln aus Holz ist enorm. Diese Entwicklung ist nicht nur zusammen mit der sonstigen Holznachfrage ein Preistreiber, sondern ein ökologisches Problem – so viel geschlägert wie derzeit, auch in Europa, wurde noch nie.

Nach der Geldschwemme wird die Steuerschraube angezogen

Alle geschilderten Preistreiber sind aktuell wirksam. Allerdings kündigen sich bereits weitere Inflationsschübe an. Die Finanzminister, die seit eineinhalb Jahren kräftig Geld verteilen, kommen in Bedrängnis. Sie werden nicht nur gezwungen sein, die Geldschwemme einzustellen. Nein, sie werden zusätzlich die Steuern erhöhen müssen, um die Staatshaushalte halbwegs in Ordnung zu bringen. Höhere Steuerzahlungen müssen die Unternehmen jedoch über höhere Preise aufbringen. Derzeit hilft noch die Zentralbank, die die Notenpresse (genauer den Notencomputer) heiß laufen lässt. Allerdings ist auch dies nicht unbeschränkt möglich, da auf Dauer die Geldmenge dann doch im Einklang mit der Wirtschaftsleistung gehalten werden muss, um eine – noch massivere - Geldentwertung zu vermeiden.

Doch im Moment wird weniger über die Geldmenge diskutiert, brandaktuell steht das Zinsniveau auf dem Prüfstand. Die von der Zentralbank vorgegebenen Null- bis Minuszinsen sind bei einer Inflationsrate zwischen drei und vier Prozent nicht zu halten. Ohne höhere Verzinsung ist die Entwertung der Spareinlagen noch größer, als sie es ohnehin schon seit Jahren durch die niedrigen Zinsen ist. Außerdem gilt in der Währungspolitik grundsätzlich, dass man gegen eine höhere Inflation mit einer Anhebung der Zinsen ankämpfen muss. Höhere Zinsen freuen zwar die Sparer, bedeuten aber auch höhere Kreditkosten, die wiederum in den Preisen untergebracht werden müssen. Und nicht zuletzt: Höhere Zinsen verteuern auch die Schulden der Staaten und steigern den Druck auf die Finanzminister, die Steuern anzuheben.

In Westeuropa werden derzeit 50.000 Firmen vor dem Konkurs bewahrt

Die europäischen Unternehmen sehen sich einer Preislawine gegenüber, die auf eine Wirtschaft zurollt, die gesund zu sein scheint. Und zwar deshalb, weil eine extrem geringe Anzahl an Pleiten zu verzeichnen ist. In Normaljahren schwankt die Zahl der Insolvenzen in Westeuropa pro Jahr zwischen 160.000 und 170.000, 2020 waren es nur 120.000! Diese Daten beruhen auf einer Untersuchung des Verbands der Vereine Creditreform. Man muss also realistischerweise davon ausgehen, dass letztes Jahr rund 50.000 marode Firmen weiter Arbeitnehmer beschäftigt haben, Lieferungen bezogen und Kunden betreut haben. Die gleiche Zahl gilt derzeit immer noch, denn die Regeln, die Unternehmer zur Anmeldung der Insolvenz bei nicht mehr lösbaren Problemen zwingen, waren und sind zum Teil immer noch ausgesetzt. Das heißt, man muss in absehbarer Zeit mit einer großen Pleitewelle rechnen, die dann – naturgemäß - auch viele gesunde Unternehmen in Mitleidenschaft ziehen wird.

Die Arbeitslosenstatistik lässt sich derzeit leicht schönreden

Die Arbeitslosigkeit schein sich im Widerspruch zu den sich abzeichnenden Krisenerscheinungen zu entwickeln.

  • Die EU-Statistiker schätzen, dass in den 27 Mitgliedstaaten 14,6 Millionen Menschen arbeitslos sind, davon 12,3 Millionen im Euro-Raum.
  • Insgesamt ist gegenüber dem Vorjahr ein Rückgang um 1,5 Millionen, davon 1,3 Millionen im Euro-Raum, zu verzeichnen.
  • In Deutschland waren im August 2,6 Millionen arbeitslos, das sind 377.00 weniger als im Vergleichsmonat des Vorjahres. Im Juni waren bei sinkender Tendenz geschätzt 1,6 Millionen deutsche Arbeitnehmer in Kurzarbeit.

Für die Politik willkommene Daten, die es ihr ermöglichen, einen Aufschwung und die Überwindung der Corona-Krise zu behaupten. Auch kann sie auf diese Weise einen – angeblich - positiven Effekt der Förder-Milliarden betonen.

Tatsache ist jedoch, dass nicht nur die verhinderten Konkurse in absehbarer Zeit schlagend werden, sondern dass auch der enorme Rationalisierungsschub, den die neuen Technologien mit sich bringen – ich sage nur: Internet der Dinge, Digitalisierung, Automatisierung –, immer stärker ihre Wirkung entfalten werden. Die Kombination aus Konkurs-Welle und Technologisierung wird bewirken, dass Abertausende ihren Arbeitsplatz verlieren werden. Zusätzlich zu den 14,6 Millionen in der EU, zusätzlich zu den 2,6 Millionen Arbeitslosen und 1,6 Millionen Kurzarbeitern in Deutschland.

Die moderne Technik ermöglicht eine Epoche starken Wachstums – doch die Politik und die Bürokratie bremsen

Erforderlich wäre eine kluge Wachstums-Strategie. Die enormen Chancen, die die moderne Technik bietet, ermöglichen - wenn man sie denn in die Praxis umgesetzt - eine erfolgreiche Zukunft. Fakt ist: In den meisten Unternehmen steckt enormes Potential. Dieses können die dort arbeitenden Menschen aber nur abrufen, wenn man ihnen die nötigen Spielräume gibt. Dafür bedarf es:

  • Dem Aufbau eines funktionierenden Kapitalmarkts.
  • Einer Steuerbelastung, die so gering wie möglich ist – das heißt, die Politik darf Corona nicht als Entschuldigung nehmen, so hohe Abgaben aus den Menschen und den Unternehmen zu pressen, wie nur irgend möglich.
  • Einer Verschlankung des Staates, des Abbaus von Bürokratie - also das Gegenteil der gegenwärtigen Überregulierung.

Kurzum, Luft zum Atmen, Freiheit für das Abenteuer Wirtschaft. Manche werden einwenden, dass Corona doch Bedingungen schafft, die eine solche Entfesselung nicht zulassen. Doch das stimmt nicht. Mit dem Virus müssen wir zu leben (!) lernen. Jawohl, leben, und nicht erstarren.

                                                                            ***

Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.


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