Unternehmen

Gas-Spezialist: CO2-Knappheit in England wird nach Europa überschwappen

Das Industriegase-Unternehmen Nippon Gases erwartet, dass die in Großbritannien bereits spürbare Knappheit an Kohlenstoffdioxid auf den Kontinent übergreifen wird.
22.09.2021 15:06
Aktualisiert: 22.09.2021 15:06
Lesezeit: 3 min
Gas-Spezialist: CO2-Knappheit in England wird nach Europa überschwappen
Eine junge Frau genießt ein Getränk mit Trockeneiswürfeln. Trockeneis ist festes Kohlenstoffdioxid (CO2) und hat eine Temperatur von minus 79 Grad Celsius. (Foto: dpa) Foto: Britta Pedersen

Das Industriegase-Unternehmen Nippon Gases erwartet, dass die in Großbritannien bereits spürbare Kanppheit an Kohlenstoffdioxid bald auf den Kontinent übergreifen wird. Die Lieferungen nach Europa seien zuletzt um rund die Hälfte eigebrochen, zitiert die Financial Times das Unternehmen, welches unter anderem in Deutschland aktiv ist.

Stark steigende Erdgaspreise hatten in den vergangenen Wochen die Schließung mehrerer Düngemittelfabriken in Großbritannien erzwungen. Die Herstellung von Düngemitteln ist eine der Hauptquellen zur Erzeugung des lebenswichtigen Naturgases Kohlenstoffdioxid (CO2). CO2 wird von einer Vielzahl von Branchen benötigt - etwa zur Vakuumierung von Verpackungen, zur Herstellung von Softdrinks oder zur Kühlung von Atomkraftwerken.

Vergangene Woche hatte das norwegische Unternehmen Yara bekanntgegeben, seine Produktionskapazitäten für Ammoniak (einen wichtigen Grundstoff vieler Düngemittel) in Europa um rund 40 Prozent zu stutzen. Als Hauptgrund für die Maßnahme wurden die rasant steigenden Erdgaspreise genannt, welche eine wirtschaftliche Produktion von Ammoniak nicht mehr ermöglichen würden. „Wir haben einen enorm negativen Cashflow“, wird der Vorstandsvorsitzende von Yara von der FT zitiert. „Die Ammoniakproduktion mit den heutigen Erdgaspreisen und den heutigen Spotpreisen für Ammoniak ist in Europa einfach nicht rentabel.“

Die Ankündigung von Yara folgte der Schließung zweier Düngemittelwerken von CF Industries in Großbritannien, wo die steigenden Erdgaspreise bereits eine Reihe von Branchen hart getroffen haben.

Die britische Regierung hat am Dienstag eine Vereinbarung mit CF getroffen, um den Neustart des Werks finanziell zu unterstützen. Umweltminister George Eustice sagte, die Regierung werde CF „nur für ein paar Wochen“ zu einem Preis von „möglicherweise zig Millionen“ Pfund unterstützen.

Einhergehend mit der Welle der Stilllegungen von Düngemittelfabriken stehen auch viele Stromanbieter in Großbritannien kurz vor der Pleite. Zuletzt warnte die britische Lebensmittelbehörde vor einer akuten Knappheit in einigen Lebensmittelbranchen.

Kein Truthahn zu Weihnachten?

Auf den traditionellen Truthahnbraten müssen viele Briten dieses Weihnachten womöglich verzichten. Die massiv gestiegenen Gaspreise bringen Fleischhersteller in Großbritannien zunehmend in Bedrängnis. Die Regierung greift zwar dem Industriezulieferer CF Industries für ein paar Wochen unter die Arme, um die Produktion von Kohlendioxid wieder zum Laufen zu bringen. Die Lebensmittelbranche warnt dennoch vor Engpässen.

„Ein Drei-Wochen-Deal wird Weihnachten nicht retten“, sagte der Geschäftsführer der Supermarktkette Iceland, Richard Walker, am Mittwoch. „Wir brauchen eine permanente Lösung, um die Auslieferung von frischen Nahrungsmitteln sicherzustellen.“ Die Regierung in London hat CF Industries zugesagt, drei Wochen lang einen Teil der Fixkosten des US-Unternehmens zu übernehmen. Dies werde wohl mehrere zehn Millionen Pfund kosten, sei aber nötig, sagte der britische Umweltminister George Eustice dem TV-Sender Sky News. CF Industries stellt etwa 60 Prozent des gesamten CO2-Bedarfs in Großbritannien her.

In Deutschland ist die Lage entspannter. Derzeit gebe es beim CO2 keine Probleme, sagte ein Sprecher des größten deutschen Fleischbetriebs Tönnies. Es könne ausreichend CO2 bezogen werden. Der größte deutsche Geflügelkonzern PHW stieß in das gleiche Horn. Es gebe beim Bezug derzeit keine Schwierigkeiten.

Die britische Regierung geht davon aus, dass auch die Preise für CO2 massiv steigen werden. Für eine Tonne könnten künftig etwa 1000 Pfund fällig werden statt der bisherigen 200 Pfund, sagte Eustice. „Die Lebensmittelbranche muss sich anpassen. Es kommt ein großer Preisanstieg.“

Ohne Einschreiten der Regierung müssten in den kommenden Tagen manche Geflügelfarmen ihre Türen schließen, rechtfertige der Umweltminister die staatlichen Hilfen. „Und dann hätten wir Tierschutzprobleme, weil man viele Hühner auf Farmen hätte, die nicht rechtzeitig geschlachtet werden könnten und die wahrscheinlich auf Farmen eingeschläfert werden müssten.“ Mit Schweinen würde ähnliches drohen. Die Preise für Strom und Gas sind insbesondere durch die Konjunkturerholung nach dem Höhepunkt der Coronakrise stark angestiegen. Auch hierzulande müssen die Strom- und Gaskunden mit höheren Preisen rechnen. Die EU-Kommission will nach Angaben der spanischen Energie- und Umweltministerin Teresa Ribera den betroffenen Ländern in den kommenden Wochen Maßnahmen aufzeigen, um sich gegen die Preisexplosion besser zu wappnen. Eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums sagte, es sei Sache des Marktes auf die Gaspreise zu reagieren. „Wir sehen derzeit keine Notwendigkeit, staatlicherseits einzugreifen.“

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

 

 

DWN
Panorama
Panorama Grillmarkt in der Krise? Holzkohle wird teurer
03.07.2025

Grills verkaufen sich längst nicht mehr von selbst. Nach Jahren des Booms mit Rekordumsätzen schwächelt die Nachfrage. Händler und...

DWN
Finanzen
Finanzen Milliarden für Dänemark – Deutschland geht leer aus
03.07.2025

Dänemark holt 1,7 Milliarden DKK aus Deutschland zurück – ohne die deutsche Seite zu beteiligen. Ein heikler Deal im Skandal um...

DWN
Finanzen
Finanzen Vermögen im Visier: Schweiz plant Enteignung durch Erbschaftssteuer für Superreiche
03.07.2025

Die Schweiz steht vor einem Tabubruch: Kommt die 50-Prozent-Steuer auf große Erbschaften? Die Eidgenossen debattieren über ein riskantes...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Drogeriehandel: Wie dm, Rossmann und Müller den Lebensmittelmarkt verändern
03.07.2025

Drogeriemärkte verkaufen längst nicht mehr nur Shampoo und Zahnpasta. Sie werden für Millionen Deutsche zur Einkaufsquelle für...

DWN
Technologie
Technologie KI-Gesetz: Bundesnetzagentur startet Beratungsservice für Unternehmen
03.07.2025

Die neuen EU-Regeln zur Künstlichen Intelligenz verunsichern viele Firmen. Die Bundesnetzagentur will mit einem Beratungsangebot...

DWN
Panorama
Panorama Sprit ist 40 Cent teurer an der Autobahn
03.07.2025

Tanken an der Autobahn kann teuer werden – und das oft völlig unnötig. Eine aktuelle ADAC-Stichprobe deckt auf, wie groß die...

DWN
Politik
Politik Brüssel kapituliert? Warum die USA bei den Zöllen am längeren Hebel sitzen
03.07.2025

Die EU will bei den anstehenden Zollverhandlungen mit den USA Stärke zeigen – doch hinter den Kulissen bröckelt die Fassade. Experten...

DWN
Finanzen
Finanzen USA dominieren die Börsen
03.07.2025

Die Börsenwelt bleibt fest in US-Hand, angeführt von Tech-Giganten wie Nvidia und Apple. Deutsche Unternehmen spielen nur eine...