Politik

Gewählt um zu bleiben: Keine Partei, die heute im Bundestag sitzt, wird ihn je wieder verlassen

DWN-Chefredakteur Hauke Rudolph zeigt auf, warum sich keine der im Bundestag vertretenen Parteien Sorgen um ihren Verbleib machen muss - und warum bald zwei neue Parteien hinzukommen könnten.
26.09.2021 11:53
Aktualisiert: 26.09.2021 11:53
Lesezeit: 3 min
Gewählt um zu bleiben: Keine Partei, die heute im Bundestag sitzt, wird ihn je wieder verlassen
Die Links-Frankion verlässt den Plenarsaal. Doch doch ist nur eine Momentaufnahme - allgemein gilt: Wenn eine Partei erstmal im Bundestag sitzt, wird sie nicht wieder hinausgewählt. (Foto: dpa)

Die DWN-Redaktion nimmt das Weltgeschehen genauestens unter die Lupe. Sie, liebe Leser, finden bei uns daher Nachrichten und Analysen, nach denen Sie in anderen Medien umsonst suchen würden. Eines wissen allerdings auch wir nicht: Wie die heutige Wahl ausgehen wird …

Etwas gibt es allerdings, das wir zwar auch nicht unumstößlich wissen, das wir allerdings mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit voraussagen können: Dass sich bei dieser Wahl nicht die Zukunft einer der im Bundestag vertretenen Parteien entscheidet. Tatsache ist: Regelmäßig fühlen sich politische Kommentatoren vor einer Wahl dazu bemüßigt, zu behaupten, es gehe um die Existenz dieser oder jener Partei. Vor noch wenigen Monaten hieß es, die SPD habe sich überlebt; die ehemalige Arbeiterpartei mit ihrer 150-jährigen Tradition brauche es nicht mehr. Und jetzt: Stellt sich die Situation auf einmal völlig anders dar, ist es alles andere als unwahrscheinlich, dass heute Abend ein Sozialdemokrat zum Kanzler gewählt wird.

Derzeit ist es vor allem die Zukunft der CDU, die im Fokus journalistischer Spekulationen steht. Ein schwaches Ergebnis, und der Gang in die Opposition würde die Partei zerreißen, heißt es; die der Niederlage folgenden Grabenkämpfe würden die Union implodieren lassen. Ich sage: Nichts dergleichen wird geschehen. Wer eine solche These aufstellt, behauptet im Grunde ja, dass es für die Christdemokraten nur zwei äußerst extreme Alternativen gibt: Entweder bis in alle Ewigkeit den Kanzler zu stellen – oder für immer im politischen Orkus zu verschwinden.

Hier und jetzt möchte ich auch eine These aufstellen – und zwar eine, die das genaue Gegenteil von dem besagt, was die Untergangspropheten behaupten. Ich sage: Wenn eine Partei erst einmal den Einzug in den Bundestag geschafft hat, bleibt sie dort. Meine Aussage stütze ich auf die Parteiengeschichte der Bundesrepublik, und wer einen Blick auf diese Geschichte wirft, wird feststellen: Mein Postulat wird durch die Ergebnisse der bisherigen Bundestagswahlen eindeutig untermauert.

Tatsache ist, dass die Bundestagswahl von 1961 den Beginn der heutigen Parteienlandschaft markiert. Vor 1961 war diese noch äußerst vielfältig; in den vorangegangenen drei Bundestagswahlen (1949, 1953 und 1957) hatten es immer wieder kleine bis mittelgroße Parteien (teilweise durch die Erringung von Direktmandaten) in den Bundestag geschafft, die heute gar nicht mehr existieren, beispielsweise die (1956 verbotene) KPD, die Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung (WAV), die rechtsgerichtete Deutsche Partei (DP) sowie der Gesamtdeutsche Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten. Ab 1961 änderte sich die Situation jedoch, wie schon gesagt, massiv: Es entstand ein von CDU, SPD und FDP gebildetes Drei-Parteien-Parlament, das 22 Jahre währte, bis schließlich 1983 die Grünen die Fünf-Prozent-Hürde übersprangen und zum ersten Mal in den Bundestag einzogen. 1994 gelang das auch der PDS (die sich 2007 in „Die Linke“ umbenannte), 2017 der AfD.

Und hier kommt der entscheidende Punkt: Alle Parteien, die seit 1961 – also innerhalb der vergangenen 60 Jahre - in den Bundestag gewählt wurden, sind auch heute dort noch vertreten. Und wurden nicht ein einziges Mal hinausgewählt, mit zwei Ausnahmen: 1990 „erwischte“ es die Grünen, 2013 die FDP (beide scheiterten mit jeweils 4,8 Prozent an der 5-Prozent-Hürde). Die Apokalyptiker qualifizierten damals die zwei Verlierer-Parteien jeweils als gesellschaftlich und politisch nicht mehr relevant und dem Untergang geweiht ab – und irrten sich gewaltig: Bei der heutigen Bundestagwahl werden beide Parteien mit ziemlicher Sicherheit ein Ergebnis im zweistelligen Bereich erringen und verfügen damit über gute Chancen, an der nächsten Regierungskoalition beteiligt zu sein, wobei der grünen Kandidatin Anna-Lena Baerbock vor ein paar Monaten sogar noch gute Chancen eingeräumt wurden, ins Kanzleramt einzuziehen (was sie nicht schaffen wird, aber 2025 dürften die Grünen einen erneuten Anlauf nehmen, dann wahrscheinlich mit Robert Habeck).

Fazit: Die bei einer Wahlniederlage angeblich drohende Implosion der CDU entpuppt sich als journalistische Sensationshascherei (bei der in einigen Fällen auch der Wunsch Vater des Gedankens sein dürfte).

Was natürlich nicht heißt, dass es keine Veränderungen im Parteiensystem geben wird. Bei den Christdemokraten dürfte ein Neustart anstehen, wobei ich eine Verschiebung nach rechts prognostiziere. Die „Merkelisierung“ der Partei (Ausstieg aus der Atomkraft, Ende der Wehrpflicht, bedingungslose Grenzöffnung in der Flüchtlingskrise, etc.) dürfte beendet und eine Besinnung auf konservative Werte eingeleitet werden. Das dürfte der AfD Stimmen kosten – aber die Partei ist mittlerweile, vor allem in Ostdeutschland, so fest etabliert, dass sie ein Rutschen unter die 5-Prozent-Marke kaum zu befürchten hat, zumal die Christdemokraten nie wieder zur nationalkonservativen Provenienz eines Alfred Dreggers oder einer Erika Steinbach zurückkehren werden.

Was man erwarten darf, ist – im Einklang mit der Ausdifferenzierung der Gesellschaft - eine weitere Fragmentierung des Parteiensystems. Es ist nicht abwegig, dass sich eine Fraktion von den Grünen abspaltet, die ihren Fokus (fast) ausschließlich aufs Thema „Klima“ richtet (ähnlich wie Ende der 70er Jahre, als die Sorge um die Umwelt zur Gründung der Partei führte). Dies wird umso wahrscheinlicher, wenn die Grünen Teil einer Koalitionsregierung werden und Kompromisse eingehen müssen (die im Falle von Rot-Rot-Grün weniger umfangreich ausfallen würden als bei Schwarz-Gelb-Grün).

Platz im parteipolitischen Spektrum gibt es meiner Ansicht nach auch für eine Partei, die eine Gruppe Wähler vertritt, die sich derzeit von keiner einzigen Partei mehr repräsentiert fühlt. Das wäre eine Partei, die sich wie einst die SPD die soziale Frage auf ihre Fahne geschrieben hat (ohne, wie die Linke, die Systemfrage zu stellen, Diktatoren zu umarmen und sich in Identitätspolitik zu verfangen), die wie (einst) die CDU in Fragen der Außenpolitik und inneren Sicherheit Verantwortung zeigt, und die sich in der gesellschaftspolitischen Sphäre von Vernunft und nicht von Ideologie leiten lässt. SKP, Sozialkonservative Partei, wäre ein passender Name.

Das jedoch ist (noch) Zukunftsmusik. Lassen Sie uns heute auf die Gegenwart schauen. Im Laufe dieses Tages entscheidet sich, wer in den nächsten vier Jahren Deutschland regieren und den Kurs, den unser Land nimmt, entscheidend mitbestimmen wird.

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