Nach Razzien bei Österreichs Kanzlerpartei ÖVP dringen die Oppositionsparteien auf eine Sondersitzung des Parlaments. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) müsse sich neben der Justiz auch vor dem Parlament und der Öffentlichkeit verantworten, wird der stellvertretende SPÖ-Klubchef Jörg Leichtfried am Mittwoch in einer gemeinsamen Mitteilung von SPÖ, FPÖ und Neos zitiert.
"Die Vorwürfe der Justiz gegen Kanzler Kurz, seine engsten Mitarbeiter und die ÖVP sind schwerwiegend und einmalig in der Zweiten Republik. Der Bundeskanzler der Republik steht im Verdacht schwerer Straftaten, so etwas hat es noch nie gegeben", sagte der Politiker von Österreichs größter Oppositionspartei. Die Sondersitzung solle so rasch wie möglich stattfinden.
Kurz ist Medienberichten zufolge erneut ins Visier der Justiz geraten. Am Mittwochmorgen gab es Razzien im Kanzleramt, in der Parteizentrale in Wien und im Finanzministerium, wie die ÖVP gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters bestätigte. Die Betroffenen seien Mitarbeiter aus dem Kabinett des Kanzlers sowie ein Berater. ORF-Radio sowie mehrere Tageszeitungen berichteten auf ihren Internetseiten, dass neben engen Vertrauten des Kanzlers auch Kurz selbst unter den Beschuldigten sei. Zu den Vorwürfen gegen den Kanzler wollte sich zunächst niemand aus der ÖVP äußern.
"Wenn die Regierung und offensichtlich auch der Bundespräsident handlungsunfähig sind, muss das Parlament die Notbremse ziehen. Der Rücktritt des Bundeskanzlers ist angesichts der aktuellen Entwicklungen unausweichlich", sagte FPÖ-Chef Herbert Kickl. Sollte Kurz nicht von sich aus die Konsequenz ziehen, will die FPÖ einen Misstrauensantrag einbringen.
"Die Hausdurchsuchungen und die Vorwürfe zeigen, dass Sebastian Kurz mit unlauteren Mitteln zuerst die Parteiführung an sich gerissen hat und dann den Wahlsieg 2017", sagte der stellvertretende Neo-Klubobmann Nikolaus Scherak. Der Kanzler müsse nun Verantwortung übernehmen, sonst sei die Regierung nicht mehr handlungsfähig.
Warum ermittelt Österreichs Justiz gegen Kanzler Kurz?
Österreichs Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ermittelt gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wegen des Verdachts der Untreue und der Bestechung. Im Zuge dieser Ermittlungen hätten am Mittwoch Hausdurchsuchungen an mehreren Standorten stattgefunden, darunter auch in einzelnen Büros zweier Bundesministerien, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Neben Kurz werde auch gegen neun weitere Beschuldigte ermittelt.
Laut Staatsanwaltschaft wird dem Verdacht nachgegangen, dass zwischen 2016 und zumindest 2018 Gelder des Finanzministeriums zur Finanzierung von parteipolitisch motivierten und mitunter manipulierten Umfragen eines Meinungsforschungsinstituts verwendet wurden. Diese Umfrageergebnisse seien - ohne als Anzeige deklariert worden zu sein - im redaktionellen Teil einer österreichischen Tageszeitung und anderen zu dieser Gruppe gehörenden Medien veröffentlicht worden, erklärte die WKStA den Vorwurf. Laut der Behörde besteht der Verdacht, dass im Gegenzug von den Amtsträgern im Rahmen von Medien- und Inseratekooperationen Zahlungen an das Medienunternehmen geleistet worden seien.
Die im Zuge der Hausdurchsuchungen sichergestellten Beweismittel würden nun gesichtet und ausgewertet, so die WKStA. Weitere Details wurden nicht genannt.