Finanzen

EZB kündigt unbegrenzte Fortsetzung ihrer radikalen Geldpolitik an

Lesezeit: 2 min
08.11.2021 11:00  Aktualisiert: 08.11.2021 11:02
Die Europäische Zentralbank wird ihre extreme Geldpolitik auf unabsehbare Zeit weiterführen. Ein Gegengewicht gegen die erstarkende Inflation ist weit und breit nicht zu sehen.
EZB kündigt unbegrenzte Fortsetzung ihrer radikalen Geldpolitik an
Die EZB-Zentrale in Frankfurt am Main. (Foto: dpa)

Die Europäische Zentralbank erkennt trotz zuletzt stark gestiegener Teuerungsraten keinen Anlass für ein rasches Ende ihrer aggressiven Geldpolitik. Der Euroraum sei "noch lange nicht in einer Situation (...), in der wir die Ankäufe von Vermögenswerten beenden", sagte der Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB), Philip R. Lane, in einem am Montag veröffentlichten Interview mit der spanischen Tageszeitung El País. Lane betonte: "Es sollte kein Zweifel daran bestehen, dass wir dafür sorgen werden, dass Europa einen kräftigen Aufschwung erlebt und dass dieser Aufschwung nicht durch eine unnötige Verschärfung der Finanzierungskosten zum Entgleisen gebracht wird."

Der EZB-Rat will am 16. Dezember entscheiden, wie es mit den milliardenschweren Käufen von Staatsanleihen weitergeht. Nach bisheriger Planung soll das zur Abfederung des Corona-Schocks aufgelegte Kaufprogramm PEPP (Pandemic Emergency Purchase Programme) noch bis mindestens Ende März 2022 laufen. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte nach der jüngsten EZB-Sitzung Ende Oktober gesagt, sie gehe davon aus, dass das PEPP im März enden werde.

Allerdings will die Notenbank Gelder aus auslaufenden Wertpapieren des 1,85 Billionen Euro umfassenden Programms auch danach noch neu anlegen, also Reinvestitionen in Staatsanleihen vornehmen. Zudem gibt es im EZB-Rat Sympathien für die Idee, die Flexibilität des Notkaufprogramms auf andere Anleihenkaufprogramme zu übertragen. Kritiker werfen der EZB hingegen vor, mit der aus dem Nichts geschaffenen Liquidität in Billionenhöhe die Inflation im Euro-Währungsraum anzuheizen, die sie eigentlich im Zaum halten will.

"Die Inflation ist derzeit unerwartet hoch, aber wir glauben, dass sie im nächsten Jahr zurückgehen wird", sagte Lane in dem Interview. "Und wenn wir die Situation mittelfristig betrachten, ist die Inflationsrate immer noch zu niedrig, sie liegt unter unserem Ziel von zwei Prozent, aber nicht zu hoch." Der Verweis Lane's auf die "mittelfristige" Perspektive - also einen mit den vergangenen Jahren willkürlich ermittelten Mittelwert der Inflation - ist ein Trick, um die Finanzierungsbedingungen nicht verschärfen zu müssen, obwohl die Teuerung auf breiter Front seit Monaten stark ausfällt.

EZB in der Sackgasse

Die EZB erklärt den Anstieg der Verbraucherpreise kurzerhand zum Großteil mit Sonderfaktoren wie der Erholung der Ölpreise nach dem Corona-Schock sowie Lieferengpässen infolge der deutlich gestiegenen Nachfrage. Zudem schlage die Rücknahme der temporären Mehrwertsteuersenkung in Europas größter Volkswirtschaft Deutschland inzwischen voll durch. Es gebe daher gewichtige Gründe, die für einen Rückgang der Inflation im nächsten Jahr sprächen, behauptete Lane. Man müsse "genügend Geduld aufbringen (...), um auf einen vorübergehenden Anstieg der Inflation nicht überzureagieren", sagte der EZB-Chefvolkswirt.

Im Umfeld der Bundesbank hingegen hatten sich zuletzt die Stimmen gemehrt, die vor einer anhaltend hohen Teuerung im Euroraum warnen. Neben dem ehemaligen Präsidenten Axel Weber hatte sich auch der inzwischen zurückgetretene Jens Weidmann mehrfach öffentlich in diese Richtung geäußert. Weidmann rechnet mit Blick auf das Jahresende mit einer Inflationsrate von 5 Prozent in Deutschland.

Die EZB befindet sich in einem ernsten Dilemma: Belässt sie die Leitzinsen auf dem Rekordtief von null Prozent, könnte sich die ohnehin robuste Inflation weiter erhöhen und zu ernsten politischen Verwerfungen führen. Leitet sie hingegen eine Normalisierung ihrer Geldpolitik ein (Leitzinsen werden erhöht, Käufe von Staatsanleihen beendet), dürften die Renditen hoch verschuldeter Euro-Staaten wie Frankreich, Griechenland oder Portugal rasch steigen und bald zu ernsten Zahlungsschwierigkeiten in diesen Ländern führen.

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Halbzeit Urlaub bei ROBINSON

Wie wäre es mit einem grandiosen Urlaub im Juni? Zur Halbzeit des Jahres einfach mal durchatmen und an einem Ort sein, wo dich ein...

DWN
Politik
Politik DWN-Kommentar: Eine Welt ohne Europa?
04.05.2024

Der Krieg in der Ukraine und die Spannungen im Nahen Osten gefährden die Zukunftsfähigkeit der EU. Nun steht sie an einem Scheideweg:...

DWN
Politik
Politik Angriff auf SPD-Europapolitiker: Matthias Ecke in Dresden schwer verletzt
04.05.2024

Schockierende Gewalt: SPD-Europaspitzenkandidat Matthias Ecke wurde brutal angegriffen. Politiker verurteilen den Angriff als Attacke auf...

DWN
Finanzen
Finanzen Platzt die ETF-Blase – was dafür, was dagegen spricht
04.05.2024

Kaum eine Investmentform konnte in den zurückliegenden Jahren die Gunst der Anleger derart erlangen wie dies bei Exchange Traded Funds,...

DWN
Immobilien
Immobilien Streikwelle auf Baustellen droht: Gewerkschaft kündigt Massenstreiks an
04.05.2024

Die Bauindustrie steht vor Massenstreiks: Gewerkschaft kündigt flächendeckende Arbeitsniederlegungen mit rund 930.000 Beschäftigten an.

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Chinas Einfluss in Südostasien: Herausforderung für deutsche Firmen
04.05.2024

Deutsche Unternehmen suchen verstärkt nach Alternativen zum chinesischen Markt und richten ihr Augenmerk auf die aufstrebenden...

DWN
Technologie
Technologie CO2-Speicherung: Vom Nischenthema zum Wachstumsmarkt
04.05.2024

Anreize durch die Politik, eine neue Infrastruktur und sinkende Kosten: CO2-Speicherung entwickelt sich zusehends vom regionalen...

DWN
Politik
Politik Wahljahr-Turbulenzen: Biden im Kreuzfeuer der Gaza-Proteste
04.05.2024

Seit Monaten sind bei fast jedem öffentlichen Auftritt von Präsident Joe Biden propalästinensische Demonstrationen zu sehen, die sich im...

DWN
Politik
Politik Mindestlohn: Neues Streitthema köchelt seit dem Tag der Arbeit
04.05.2024

Im Oktober 2022 wurde das gesetzliche Lohn-Minimum auf zwölf Euro die Stunde erhöht. Seit Jahresanfang liegt es bei 12,41 Euro, die von...