Der Streit um Entschädigungen für die staatlich verordnete Schließung von Restaurants und Cafés in der Corona-Pandemie hat den Bundesgerichtshof (BGH) erreicht. Am Mittwoch (26. Januar) wird die Klage eines Gastwirts aus Schleswig-Holstein gegen den Kölner Versicherer AXA verhandelt, bei dem er eine Betriebsschließungsversicherung abgeschlossen hatte. Von der AXA will er den Umsatzausfall für 30 Tage ersetzt bekommen, nachdem er sein Gasthaus nach dem Virus-Ausbruch im März 2020 zeitweise schließen musste und nur einen Lieferdienst anbieten durfte. Es ist das erste von rund 160 Verfahren, die laut BGH in Karlsruhe anhängig sind. Vor dem Landgericht Lübeck und vor dem Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht war der Gastronom abgeblitzt.
Für die Versicherer drohte sich ein Nischenprodukt in der Pandemie plötzlich zum riesigen Verlustbringer zu entwickeln. Gedacht war die Betriebsschließungsversicherung für Fälle, in denen ein Haus auf Anordnung des Gesundheitsamts vorübergehend schließen muss, etwa weil in der Küche Salmonellen festgestellt wurden oder der Koch an einer ansteckenden Krankheit leidet. An eine Pandemie mit flächendeckenden Schließungen dachte bei den Versicherern dabei niemand - und auch die meisten Wirte nicht. Einige Versicherungsmakler hatten allerdings noch Policen mit dem Verweis auf die Pandemie verkauft, als diese schon von Asien nach Europa herüberschwappte, wie zahlreiche Kunden berichteten.
Nur gut zwei Prozent der 3,5 Millionen Betriebe in Deutschland hatten eine solche Police abgeschlossen, für Prämien von wenigen hundert Euro im Jahr. Bei Einnahmen von 26 Millionen Euro aus diesem Produkt zahlten die Versicherer 2020 mehr als 900 Millionen Euro an die Kunden - einige freiwillig, wie der HDI (Talanx), andere nach teilweise kostspieligen Vergleichen, ohne die es aber noch teurer für sie geworden wäre. Schlagzeilen machte der Wirt des Biergartens am Nockherberg in München, der sich mit der Allianz auf eine Millionensumme einigte, als dem Versicherer eine Niederlage vor Gericht drohte.
470 Betriebe zogen nach Daten des Branchenverbandes GDV vor Gericht. Auch wenn die Versicherer dort in erster Instanz in 90 Prozent, in zweiter Instanz sogar in 95 Prozent der Fälle Recht bekamen: In den Verfahren zeigte sich, dass die Klauseln in den Verträgen nicht eindeutig formuliert waren. Einige zählten die meldepflichtigen Krankheiten auf, bei denen gezahlt würde, andere verwiesen pauschal auf das Infektionsschutzgesetz, in den das Covid-19-Virus erst nach dem Ausbruch aufgenommen wurde.
Insofern ist der Fall aus Schleswig-Holstein typisch: In den Versicherungsbedingungen der AXA sind die Krankheiten einzeln aufgezählt. Doch die Anwälte des Gastronomen argumentieren, dass es sich dabei nicht um eine abschließende Liste handeln könne. Das OLG Schleswig ließ sich auf diese Debatte gar nicht ein: Die Versicherung müsse nur zahlen, wenn „eine konkrete, einzelfallbezogene Maßnahme zur Bekämpfung einer gerade aus dem konkreten Betrieb erwachsenden Infektionsgefahr erfolgt“, hieß es in dem Urteil. (Az.: 156 U 25/21) Allgemeinverfügungen zur Eindämmung der Pandemie fielen nicht darunter.
Ob der BGH der Argumentation folgt, wird sich am Mittwoch zeigen. Auch die AXA wartet gespannt darauf: „Wir begrüßen, dass sich der Bundesgerichtshof in einem konkreten Fall mit der Frage des Geltungsbereichs der Betriebsschließungsversicherung auseinandersetzt und damit - unabhängig davon, wie das Verfahren ausgeht - in identischen Fällen Rechtssicherheit für unsere Versicherten und auch uns schafft.“ Ob das Urteil Pilotcharakter hat, hängt von der Begründung ab. Für die Versicherer hält sich das Risiko so oder so in Grenzen. In den neuen Musterbedingungen für die Betriebschließungsversicherung, die der GDV entworfen hat, sind Pandemien ausdrücklich ausgeschlossen.
Die Corona-Folgen für die Gastronomie beschäftigen den BGH aber weiter: Am 3. März wird über die Klage eines Hoteliers und Wirts aus Brandenburg verhandelt. Er will Schadenersatz für die Ausfälle - vom Land.