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Energiepreis-Schock und Inflation: Ab jetzt wird es für Deutschland sehr, sehr schwierig

Die Ukraine-Krise wird den deutschen und europäischen Energiesektor belasten und die Inflation weiter verschärfen. Doch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck „hofft“, dass sich der Markt wieder beruhigt. Bei Gas sei Deutschland „versorgungssicher“, behauptet er. Woher Habeck seinen lockeren Optimismus hernimmt, bleibt ungeklärt.
22.02.2022 17:00
Aktualisiert: 22.02.2022 17:00
Lesezeit: 4 min
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Energiepreis-Schock und Inflation: Ab jetzt wird es für Deutschland sehr, sehr schwierig
Robert Habeck (l-r, Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Christian Lindner (FDP), Bundesminister der Finanzen. (Foto: dpa) Foto: Kay Nietfeld

Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine eskaliert und Deutschlands Verbraucher blicken besorgt gen Osten. Denn was sich dort abspielt, hat Auswirkungen auf die heimische Wirtschaft und könnte die ohnehin schon hohen Energiepreise weiter anheizen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sagte am Dienstag: „Ich nehme an, wir werden jetzt kurzfristig ein Ansteigen der Gaspreise erleben, mittelfristig hoffe ich, dass sich der Markt schnell wieder beruhigt.“

Gerät die Erholung der Wirtschaft von der Pandemie ins Stocken? Ausgeschlossen ist das nach Einschätzung von Volkswirten nicht. „Denn die Angst vor einem Krieg in Europa liegt in der Luft - mit möglicherweise deutlichen Auswirkungen unter anderem auf die Energieversorgung und die Energiepreise“, so formuliert es die Chefvolkswirtin der Förderbank KfW, Fritzi Köhler-Geib.

Geht Verbrauchern in Deutschland bald das Gas aus?

„Europa ist von russischem Gas abhängig. Die EU bezieht knapp die Hälfte des Bedarfs aus Russland. Diese Gaslieferungen können nicht vollständig kompensiert werden“, analysiert der Chefvolkswirt der VP Bank, Thomas Gitzel. Das trifft Industrie wie Verbraucher. Der Präsident des Ifo-Instituts, Clemens Fuest, rechnet nicht mit einer Rationierung der privaten Haushalte bei der Gasversorgung. „Die Gaspreise werden aber höher sein als sie es ohne eine Verschärfung der Krise gewesen wären“, prognostiziert Fuest.

Russlands Ex-Premier Dmitri Medwedew hat bereits unverhohlen angekündigt: „Willkommen in der neuen Welt, in der die Europäer 2.000 Euro (pro 1.000 Kubikmeter) für Gas zahlen werden.“

Wie haben Deutschland und Europa für mögliche Engpässe vorgesorgt?

Mit Erdgasspeichern sollen Schwankungen beim Gasverbrauch ausgeglichen werden. Dem Branchenverband INES zufolge gibt es 47 Untertagespeicher in Deutschland. Sollte Russland den Gashahn zudrehen, könnten die Westeuropäer nach Einschätzung von Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer „wohl noch bis zum Herbst durchhalten, weil noch 30 Milliarden Kubikmeter auf Lager sind, mehr Flüssiggas importiert würde und der Verbrauch im Sommerhalbjahr ohnehin vergleichsweise niedrig ist“. Während des Sommers müssten die Vorräte dann aber aufgefüllt werden.

Tobias Federico vom Beratungsunternehmen Energy Brainpool sagt, die Gasspeicher seien voller als zuletzt erwartet: „Wir dachten, dass sie bei einem kalten Winter Mitte oder Ende Februar leer sein würden. Jetzt haben wir eigentlich noch genug.“ Laut Arbeitsgemeinschaft der europäischen Gasspeicherunternehmen lag der Füllstand der deutschen Gasspeicher am Sonntag bei 31 Prozent. Die Hoffnung auf baldige Gaslieferungen aus Russland durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 hat sich zerschlagen: Die Bundesregierung stoppte am Montag vorerst das Genehmigungsverfahren.

Droht ein allgemeiner Preisschub?

„Es ist zu erwarten, dass die Preise für Öl und Gas weiter ansteigen“, sagt Ifo-Präsident Fuest. Bundeswirtschaftsminister Habeck machte am Dienstag nach einem Treffen mit NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) in Düsseldorf deutlich, es könnte kurzfristig ein Ansteigen der Gaspreise geben. Märkte seien „spekulationsanfällig“. Wenn die Zukunft ungewisser sei, sei zu befürchten, dass die Preise nach oben gehen. Die weitere Entwicklung hänge auch davon ab, wie sich das Angebot entwickle. Da der Winter langsam „hoffentlich“ zu Ende gehe, könne es bei einer sinkenden Nachfrage nach Gas insgesamt und einem größeren Angebot auf den Weltmärkten auch zu Entlastungseffekten kommen.

Zugleich sagte Habeck in einem optimistischen Ton, Deutschland sei „versorgungssicher“. Langfristig werde Deutschland große Anstrengungen unternehmen, dass der Gaspreis insgesamt nicht mehr auf dem jetzigen Niveau sei und die deutschen Verbraucher wie die Unternehmen belaste. Das Ziel: Deutschland soll durch einen schnelleren Ausbau des Ökostroms aus Wind und Sonne unabhängiger von fossilen Energieträgern wie russischem Erdgas werden. Doch dieser Ansatz benötigt viel Zeit und viel Geld.

Der Vorstandsvorsitzende des Energieversorgers Eon, Leonhard Birnbaum, warnt davor, dass es bald notwendig sein könnte, ganze Städte bewusst vom Stromnetz zu trennen, um einen Kollaps des gesamten Systems zu vermeiden. Denn im Gegensatz zu herkömmlichen Erzeugern wie Atom-, Kohle- oder Gaskraftwerken sind die Technologien der Wind- und Sonnenkraft natürlichen Schwankungen unterworfen. Weht demnach kein Wind oder scheint die Sonne nicht, liefern diese Anlagen schlichtweg keinen Strom - egal, wie viele man davon aufgebaut hat.

In den vergangenen Monaten hat sich für Verbraucher Tanken und Heizen schon sprunghaft verteuert. Getrieben von weltweiter Nachfrage kletterten die Energiepreise und mit ihnen die allgemeine Teuerung. 5,1 Prozent Inflation im Euroraum im Januar war der höchste Wert seit der Euro-Einführung. In Deutschland hielt sich die Teuerung mit 4,9 Prozent auf hohem Niveau.

Eine höhere Inflation schwächt die Kaufkraft der Verbraucher - ein Ende der Preisspirale ist vorerst nicht in Sicht. Im Januar lagen die Erzeugerpreise für gewerbliche Produkte in Deutschland um 25 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats. Für Konsumenten könnten viele Produkte also noch teurer werden, weil Unternehmen auf höhere Einkaufspreise etwa für Rohstoffe mit einem Preisaufschlag reagieren.

Kann die Geldpolitik gegensteuern?

Da die Inflation sich hartnäckiger hält als erwartet, sind Europas Währungshüter unter Zugzwang. Ökonomen erwarten, dass die Europäische Zentralbank (EZB) bei ihrer nächsten Sitzung am 10. März die Weichen für einen Ausstieg aus der seit Jahren ultralockeren Geldpolitik stellen wird. Doch der eskalierende Konflikt zwischen Russland und der Ukraine ist eine zusätzliche Bürde für die Wirtschaft in Europa, die sich gerade von den Belastungen der Corona-Pandemie erholt. Daher werden die Währungshüter ihre Schritte noch sorgsamer abwägen.

Welche Bedeutung hat Russland für den deutschen Außenhandel?

Verglichen mit Ländern wie China, den USA oder EU-Partnern ist Russlands Bedeutung als Handelspartner für Deutschland eher gering. Zudem sind die Handelsbeziehungen nach Einschätzung von Ifo-Präsident Fuest bereits durch Sanktionen beeinträchtigt, die nach der russischen Annexion der Krim 2014 verhängt wurden.

Im vergangenen Jahr rangierte Russland mit knapp 27 Milliarden Euro auf Rang 14 der wichtigsten Länder für Waren «Made in Germany». Geliefert wurden vor allem Maschinen (5,8 Mrd Euro), Kraftfahrzeuge, (4,4 Mrd Euro) sowie chemische Erzeugnisse (3 Mrd Euro). Sorge bereitet die Abhängigkeit von russischem Gas und Erdöl, die mit gut 19 Milliarden Euro weit mehr als die Hälfte der Einfuhren aus der Russischen Föderation ausmachten (rund 33 Mrd). „Mit Rohöl und Erdgas sowie mit Basismetallen ergibt sich schon ein potenzieller Bremshebel für die deutsche Konjunktur. Insbesondere Erdgas ist pipelinegebunden und daher nicht einfach ersetzbar“, argumentiert Dekabank-Chefvolkswirt Ulrich Kater.

Die Ukraine hat als Handelspartner für Deutschland weniger Gewicht: Als Exportmarkt kam das Land im vergangenen Jahr mit 5,4 Milliarden Euro auf Platz 40. Deutsche Hersteller lieferten vor allem Maschinen, Kraftfahrzeuge und chemische Erzeugnisse. Eingeführt wurden aus der Ukraine vor allem landwirtschaftliche Produkte.

Wie sehen deutsche Firmen den russischen Markt?

Nach Angaben der deutsch-russischen Auslandshandelskammer (AHK) haben deutsche Firmen in den vergangenen fünf Jahren rund 7,6 Milliarden Euro in Russland investiert. Fast die Hälfte der ursprünglich 6300 Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung hat sich seit 2011 allerdings von dem russischen Markt zurückgezogen. Nach Angaben der AHK sind aktuell noch 3651 deutsche Unternehmen vor Ort aktiv.

Groß dabei ist der ostwestfälische Landmaschinenhersteller Claas. 2005 baute Claas als erstes ausländisches Landtechnikunternehmen eine Produktion in Russland auf, im Herbst kündigte Claas an, weitere rund 12,6 Millionen Euro in sein Werk im südrussischen Krasnodar zu investieren. Auch der Milchproduktehersteller DMK, eines der größten deutschen Molkereiunternehmen, sieht Russland als Wachstumsfeld und berichtete Ende vergangenen Jahres über den Ausbau eines zweiten Standorts in Russland.

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