Wirtschaft

Drohende globale Hungerkrise wegen niedriger Weizen-Bestände

Russland und Ukraine erbringen bisher 30 Prozent der Weizen-Exporte. Infolge des Kriegs ist Weizen teuer wie nie, in vielen Ländern droht eine Hungerkrise.
04.03.2022 11:46
Aktualisiert: 04.03.2022 11:46
Lesezeit: 2 min

Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine sind die Rohstoffpreise außer Kontrolle geraten. Neben den wichtigen russischen Exportgütern Erdöl und Erdgas steigen vor allem die Preise für Weizen. Schließlich kommen rund 30 Prozent der weltweiten Weizen-Exporte aus Russland und der Ukraine, wie Commerzbank-Analyst Carsten Fritsch betont. Sie seien nun vom Weltmarkt abgeschnitten. Das bereitet vor allem Staaten in Nordafrika und im Nahen Osten Probleme, sie sind Hauptabnehmer für Weizen und subventionieren häufig Brot als Grundnahrungsmittel. Gleichzeitig wächst dort wegen des heißen und trockenen Klimas kaum Weizen.

Verschärft wird die Versorgungskrise durch die niedrigen Lagerbestände. Dem Branchenverband International Grains Council (IGC) zufolge werden die Reserven der großen Exporteure EU, Russland, USA, Canada, Ukraine, Argentinien, Australien und Kasachstan in der aktuellen Erntesaison 2021/2022 auf ein Neun-Jahres-Tief von 57 Millionen Tonnen fallen. Dies reicht gerade einmal aus, um den weltweiten Bedarf für 27 Tage zu decken. Rechnet man die russischen und ukrainischen Lagerbestände heraus, sinkt diese Frist auf weniger als drei Wochen.

Am 18. Dezember 2021 hatten die DWN in einer Analyse mit dem Titel „Risikoanalyse: Große Inflations-Unruhen beginnen im Jahr 2022“ vor genau diesem Ereignis gewarnt. An einer Stelle heißt es: „Immer dann, wenn der „Food Price Index“ massiv steigt, kommt es weltweit in diversen Regionen der Welt zu Unruhen. So spielte beispielsweise beim Ausbruch des Arabischen Frühlings in Tunesien die Nahrungsmittelinflation die Hauptrolle (…) Das Augenmerk ist separat auch auf die Weizenpreise zu richten. Im November 2016 lag der Weizenpreis pro Tonne bei 113.28 Euro. Im April 2021 kostete eine Tonne Weizen 165.43 Euro. Anschließend stieg der Weizenpreis bis zum November 2021 auf 277.77 Euro pro Tonne. Dieser Trend hält an und wird sich verschärfen. Die wichtigsten Exportländer von Weizen nach Ausfuhrwert waren im Jahr 2020 Russland (17,7 Prozent Weltmarktanteil), die USA (14,1 Prozent Weltmarktanteil), Kanada (14,1 Prozent Weltmarktanteil), Frankreich (10,1 Prozent Weltmarktanteil) und die Ukraine (8,0 Prozent Weltmarktanteil).“

WELCHE ROLLE SPIELT CHINA?

Die große Unbekannte in diesem Spiel ist China. Dem IGC zufolge sitzt das Land auf 131 Millionen Tonnen Weizen, knapp der Hälfte der weltweiten Reserven. Diese Zahlen lassen sich aber nur schwer verifizieren, da die Regierung in Peking diese als strategisch wichtig betrachtet. In diesem Zusammenhang hatte das Land in der Saison 2005/2006 Mindest-Abnahmepreise eingeführt, um die chinesischen Bauern zum Weizen-Anbau zu motivieren. China hat in den vergangenen Jahren jeweils etwa eine Million Tonnen Weizen exportiert, unter anderem nach Nordkorea.

"In den vergangenen ein, zwei Jahren ist die Nahrungsmittel-Versorgungssicherheit wieder stärker in den Mittelpunkt gerückt", sagt IGC-Volkswirt Alexander Karavaytsev. Daher habe Peking den Abnahmepreis 2021 zum ersten Mal seit sieben Jahren angehoben. Auch in anderen Staaten steht das Thema Versorgungssicherheit wieder auf der Tagesordnung, da Lieferprobleme durch die Coronavirus-Pandemie und Missernten den Weizenpreis seit längerem nach oben treiben.

In den vergangenen beiden Jahren hat sich der europäische Weizen-Future fast verdoppelt und erreichte zuletzt mit 390,75 Euro je Tonne ein Rekordhoch. US-WeizenWc1 verbuchte ein Plus von knapp 150 Prozent und ist mit 13,40 Dollar je Scheffel ebenfalls so teuer wie nie. Allein seit Kriegsausbruch Ende Februar legten die beiden Terminkontrakte 33 beziehungsweise 53 Prozent zu.

Dan Basse, Manager der Beratungsfirma AgResource, beurteilt die Versorgungslage zurückhaltend. Das Weizen-Angebot sei insgesamt knapp. Wenn ein Produzent ein Problem bekomme, gebe es ein Defizit. Gleichzeitig befürchten Experten, dass der Krieg russische und ukrainische Bauern in diesem Frühling von der Aussaat abhalten wird.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN-Wochenrückblick

Weniger E-Mails, mehr Substanz: Der DWN-Wochenrückblick liefert 1x/Woche die wichtigsten Themen kompakt und Podcast. Für alle, deren Postfach überläuft.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

DWN
Finanzen
Finanzen Finanzmärkte zum Jahresende: Wie sich Anleger zwischen Rallye und Korrekturgefahr absichern
24.12.2025

Zum Jahresende verdichten sich an den globalen Finanzmärkten die Signale für Chancen, Risiken und mögliche Wendepunkte. Stehen Anleger...

DWN
Politik
Politik Cyberangriff auf Aeroflot: Wie Hacker Russlands Luftverkehr störten
24.12.2025

Ein Cyberangriff brachte die IT-Systeme von Aeroflot binnen Stunden zum Stillstand und zwang den Flugbetrieb in den Notmodus. Welche...

DWN
Politik
Politik Putins neue Gegnerin und ihr Appell an Europa
24.12.2025

Europa ringt mit seiner Haltung gegenüber Russland und der Frage nach Konsequenz und Abschreckung. Wie sollte der Westen mit einem Kreml...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Handwerkspräsident: "Demokratie muss nun liefern"
24.12.2025

Die Stimmung im deutschen Handwerk ist angespannt, die Wirtschaft schwächelt seit Jahren. Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbands...

DWN
Politik
Politik DWN-Jahresrückblick 2025: Schulden, Krieg, KI – und Europas Zerreißprobe
24.12.2025

Schulden in Billionenhöhe, neue Kriegsängste, technologische Abhängigkeiten: 2025 hat Gewissheiten zerlegt, die lange als stabil galten....

DWN
Technologie
Technologie The Good City: Die Stadt der Zukunft ist leise, sauber und elektrisch
24.12.2025

Lärm, Abgase, Platzmangel – urbane Probleme kennt jeder. Doch Renault Trucks zeigt: Die Zukunft der Stadt ist elektrisch, leise und...

DWN
Finanzen
Finanzen Ripple XRP: Zwischen ETF-Fantasie und anhaltendem Kursdruck
24.12.2025

Ripple XRP verliert an Boden, während der Kryptomarkt insgesamt vorsichtiger wird. Technische Schwäche, unterschrittene Schlüsselmarken...

DWN
Technologie
Technologie Exponentielles Wachstum durch KI: Chancen und Grenzen für Wirtschaft und Gesellschaft
24.12.2025

Die künstliche Intelligenz entwickelt sich rasant und verändert zunehmend Wirtschaft, Forschung und Gesellschaft. Doch kann dieser...