Weltwirtschaft

EU will Unternehmen verpflichten bei Lieferketten genauer hinzuschauen – und erntet Kritik

Lesezeit: 3 min
22.03.2022 17:06
Neues EU-Lieferkettengesetz: Fluch oder Segen für ärmere Länder?
EU will Unternehmen verpflichten bei Lieferketten genauer hinzuschauen – und erntet Kritik
Zwischen 1,70 und rund 2 Euro Lohn pro Tag verdienen Teepflücker im indischen Bundesstaat Assam. (Foto: dpa)

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Ende Februar erst hatte die Europäische Kommission ihren Entwurf für einen EU-Lieferkettengesetz vorgestellt. Wenige Wochen später hagelt es bereits Kritik, sowohl seitens der Befürworter als auch der Skeptiker. Die einen werfen der EU vor, die „heißen Eisen“ nicht konsequent genug anzufassen, den anderen erscheint das neue Gesetz als nachteilhaft für alle beteiligten Parteien. Dass sich etwas verändern muss, scheint hingegen Konsens zu sein.

Denn Gründe dafür, Lieferketten europäischer Unternehmen stärker zu kontrollieren gäbe es laut der "Initiative Lieferkettegesetz", einem Zusammenschluss von NGOs, Gewerkschaften und Umweltschutzorganisationen, schließlich genug. Auf der Website der Initiative werden zahlreiche Fallbeispiele für Folgen unkontrollierter Lieferketten aufgezeigt. Darunter auch der Fall einer pakistanischen Zulieferfabrik des Textildiscounters KiK, der 2012 weltweit für Aufsehen sorgte: 258 Menschen waren damals aufgrund mangelnden Brandschutzes, vergitterter Fenster und fehlerhafter Notausgänge bei einem Fabrikbrand verstorben.

Hungerlöhne, Regenwaldvernichtung und Gewalt

Auch der Bruch des brasilianischen Brumadhino-Staudamms wird als beispielhafter Fall angeführt. So starben im Januar 2019 mindestens 272 Menschen in Folge eines Dammbruchs. Eine Katastrophe, die eigentlich nicht hätte passieren dürfen. Dafür jedenfalls hatte der brasilianische Bergbaukonzern Vale den TÜV Süd Brasilien verpflichtet. Dabei handelt es sich um eine Tochterfirma der deutschen TÜV-Süd-Gruppe, die den tödlichen Damm knapp ein Jahr zuvor als sicher eingeschätzt und zertifiziert hatte. Auch Mitarbeiter des TÜV Süd in München sollen laut Angaben der Initiative von den Problemen mit dem Damm gewusst haben.

Doch längst nicht alle der von der Initiative aufgezeigten Fälle drängen sich der Weltöffentlichkeit so auf wie die Katastrophen in Indien und Brasilien. So verweist die Initiative auch auf das Schicksal von Teepflückern im indischen Bundesstaat Assam, die oft an Mangelernährung und Löhnen unterhalb der Armutsgrenze leben oder auf die Zerstörung von Regenwäldern für die Palmölproduktion. Andere Fallbeispiel erzählen von Kinderarbeit in Westafrika oder von südafrikanische Minenarbeiter, die man niedergeschossen hatte, weil sie für bessere Arbeitsbedingungen in den Streik gegangen waren. Bei vielen Fällen weist die Initiative darauf hin, dass die beteiligten Unternehmen allzu oft Besserung geloben – aber selten auch entsprechend handeln.

Weniger als 20 Prozent deutscher Unternehmen erfüllten freiwillige Sorgfaltsanforderungen

So sollte der "Nationale Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte" (NAP) deutsche Unternehmen seit 2018 auf freiwilliger Basis zu sorgfältiger Analyse der eigenen Liefer- und Wertschöpfungsketten verpflichten. Eine von der Bundesregierung beauftrage Umfrage ergab 2020 dann, dass bis dahin nur 83 bis 87 Prozent der Unternehmen die im NAP festgehaltenen Sorgfaltsanforderungen erfüllt hatten. Für den Bundestag Grund genug, 2021 ein Gesetz zu verabschiedeten, das heimische Unternehmen künftig zur Sorgfalt verpflichten soll. Am 1. Januar 2023 soll das neue Gesetz in Kraft treten.

Jetzt zieht die EU nach und bringt ihrerseits ein Lieferkettengesetz auf den Weg. In einer Pressemitteilung der EU-Kommission heißt es dazu, dass das neue Gesetz Unternehmen dazu verpflichten soll, „negative Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf die Menschenrechte, wie Kinderarbeit und Ausbeutung von Arbeitnehmern, sowie auf die Umwelt - beispielsweise Umweltverschmutzung und Verlust an biologischer Vielfalt - zu ermitteln und erforderlichenfalls zu verhindern, abzustellen oder zu vermindern.“ Laut der "Initiative Lieferkettengesetz", die von vielen renommierten Ökonomen unterstützt wird, legt der Gesetzesentwurf so „den Grundstein für weniger Ausbeutung und Umweltzerstörung in den Lieferketten europäischer Unternehmen“.

Paradigmenwechsel mit Schwachstellen und Schlupflöchern?

Das Gesetzesvorhaben leite einen echten Paradigmenwechsel ein: Erstmals seien „mit dem Gesetz Unternehmen in Deutschland dazu verpflichtet, Verantwortung für Mensch und Umwelt in ihren Lieferketten zu übernehmen". Gleichsam wird in dem Beitrag der Initiative zum neuen Gesetz nicht mit Kritik gespart. So solle das EU-Lieferkettengesetz nur für „etablierte Geschäftsbedingungen“ gelten. Darum drohe die Gefahr eines Schlupflochs: Unternehmen könnten ihre Geschäftspartner zur Umgehung des Gesetzes einfach immer wieder auswechseln. Darüber hinaus gelte das Gesetz lediglich für Unternehmen im EU-Binnenmarkt mit mehr als 500 Mitarbeitern – beziehungsweise in den Risikosektoren Textil, Landwirtschaft und Bergbau bereits für Unternehmen ab 250 Mitarbeitern und einem Nettoumsatz von 40 Millionen Euro.

Andere Risikosektoren, wie die Bereiche Transport, Bauwesen, Energie und Finanzen würden jedoch fehlen, obwohl dort „die Risiken für Umweltschäden und Menschenrechtsverletzungen oft erheblich sind". Weiter betont die Initiative, dass der Gesetzesentwurf zwar zivilrechtliche Haftungsregelungen enthalte, die es Betroffenen ermöglichen soll, Unternehmen, die ihrer Sorgfaltspflicht nicht nachkommen, zu verklagen. Die Hürden für derartige Klagen seien jedoch weiterhin hoch, weil die Beweislast nach wie vor bei den Betroffenen läge. Deshalb fordert die Initiative eine Beweislastumkehr, mit der „angeklagte Unternehmen nachweise müssten, dass sie ihre Sorgfaltspflichten erfüllt haben".

Lieferkettengesetz könnte gerade ärmere Länder belasten

Für die betroffenen Unternehmen würde das noch mehr Bürokratie bedeuten. Dabei warnen Forscher des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, dass das EU-Lieferschutzgesetz bereits in seiner derzeitigen Form sowohl für europäischen Unternehmen als auch für ihre oftmals strukturschwachen Partnerländer zusätzliche Kosten und Risiken schaffen könnte. Daher könne davon ausgegangen werden, dass deutsche Unternehmen „die Zahl der Zulieferer aus diesen Ländern reduzieren oder sich ganz aus diesen Ländern zurückziehen werden". Ein solches Szenario wiederum würde die „entwicklungsfördernde Einbindung dieser Unternehmen in globale Wertschöpfungsketten“ schwächen und so zu einer Verringerung des Pro-Kopf-Einkommens in ärmeren Ländern führen.

Darum, betonen die Ökonomen, dürfe eine gute Lieferketten-Gesetzgebung die effektiven Handelskosten mit ärmeren Ländern nicht erhöhen. Anstelle europäischer Unternehmen sollten eher jene ausländische Unternehmen, die Menschenrechte missachten, in die Mangel genommen werden. Konkret solle das anhand einer „zentral behördlich geführte Liste“ umgesetzt werden, „die Unternehmen aufführt, die in Lieferketten mit europäischer Beteiligung nicht auftauchen dürfen". Ein solcher „Negativlistenansatz“ sei kostengünstiger und würde mehr zur Stärkung der Menschenrechte vor Ort beitragen als das neue Lieferkettengesetz der EU. Darüber hinaus würde der Ansatz – im Gegensatz zum Gesetzesentwurf der EU – weder die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen untergraben, noch dafür sorgen, dass sich diese vollständig aus ärmeren Ländern zurückziehen.


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