Weltwirtschaft

DWN-Interview zu ungarischer Exportbeschränkung: Braucht es ein Umdenken in der EU-Agrarpolitik?

Lesezeit: 3 min
02.04.2022 09:25
"Grundversorgung der Menschen mit Lebensmitteln ist eine der hehrsten staatliche Aufgaben": Über die ungarische Exportbeschränkung für Getreide, drohende Versorgungsengpässe und vergessene agrarpolitische Tugenden sprachen die Deutschen Wirtschaftsnachrichten mit dem in Ungarn tätigen Landwirt Alexander Ochsenreither.
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Alexander Ochsenreither führt seit mehr als 20 Jahren einen landwirtschaftlichen Familienbetrieb in Ungarn. (Foto: privat)

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Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Herr Ochsenreither, Sie führen seit mehr als 20 Jahren einen landwirtschaftlichen Familienbetrieb in Ungarn. Worauf spezialisiert sich Ihr Betrieb? Und was macht für Sie Ungarn als Agrarstandort aus?

Alexander Ochsenreither: Wir sind ein gewöhnlicher Getreidebaubetrieb, haben Qualitätsweizen, Mais, Raps und Sojabohnen im Anbau. Landwirtschaftlich betrachtet ist Ungarn vielleicht kein EU-Spitzenstandort – dafür ist es zum Beispiel für den Getreideanbau zu heiß. Bei Mais sieht schon besser aus, bei Raps und Soja auch. Vor allem aber ist Westungarn nicht so risikobehaftet – keine Überschwemmgen, keine verheerenden Dürren. Ein relativ harmonischer Standort: weder extrem nass noch extrem trocken mit guten Böden.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: In Ungarn sind Exporte nur noch gegen Anmeldung bei der Nationalen Behörde für Lebensmittelsicherheit (NEBIH) möglich. Was bedeutet diese Exportbeschränkung für Getreide einerseits für Ihr Unternehmen und andererseits für Ihre Branche insgesamt?

Alexander Ochsenreither: Schwierig zu beurteilen, weil es die Beschränkung ja eigentlich nicht gab. Sie wurde verkündet und dann mussten wir alle Verträge, die wir hatten, ans Amt melden. Wir haben dann recht flott Rückmeldungen für alle unsere Exportverträge bekommen. In Ungarn gibt es meines Wissens Ware genug. Vielleicht wollte man einfach schauen, wie viel die Lager Ungarns noch hergeben. An anderen landwirtschaftlichen Problemen, wie dem Tierfuttermangel, ändert das ja nichts.

Andererseits hat die ungarische Regierung schon vor Jahren etwas umgesetzt, da wären meine deutschen Kollegen froh, wenn ihr Bundesland das auch umsetzen würde. Durch das Grundstückverkehrsgesetz hat die ungarische Regierung dafür gesorgt, dass Landwirte sich den Boden, auf dem sie arbeiten, auch leisten können. Nur Menschen, die Ungarn wohnen, eine landwirtschaftliche Ausbildung vorweisen können und ihr Einkommen zu mindestens 50 Prozent aus der Landwirtschaft beziehen, dürfen Land kaufen und pachten.

Das gefällt natürlich nicht jedem, weil das nicht dem Bild des absolut freien Marktes entspricht. Aber es führt dazu, dass wir uns noch Land leisten können. Der beste Eigentümer ist jener, der auf seinen Flächen selbst arbeitet und den Boden Acht gibt. Ackerflächen sind zu wichtig, um sie als Spekulationsobjekt zu missbrauchen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Ist die Wertschätzung für die Landwirtschaft in Ungarn größer als in Deutschland?

Alexander Ochsenreither: Vielleicht kommt das jetzt in Ungarn ein bisschen. Wir Landwirte sind wirtschaftlich wichtig, tragen zu einem großen Anteil zum ungarischen Exportüberschuss bei. Anfeindungen kennen wir fast gar nicht. Kollegen aus Deutschland berichten mir teilweise von Mobbing gegenüber ihren Kindern, wenn sie keine Bio-Landwirte sind oder sogar Vorwürfe von Tierquälerei oder Brunnenvergiftung. Dabei ist Landwirtschaft unheimlich wichtig: wir kümmern uns darum, dass es morgen Brot beim Bäcker gibt.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Apropos Brot beim Bäcker: Steuern wir in Europa auf ernsthafte Versorgungsengpässe im Getreidebereich zu oder kann der traditionelle europäische Getreide-Überschuss Abhilfe leisten?

Alexander Ochsenreither: Nein, in Europa nicht. Vielleicht wird es weniger Sonnenblumenöl und Rapsöl in deutschen Supermärkten zu kaufen geben, aber Versorgungsengpässe sehe ich gar nicht. Wer die Chose ausbaden muss, das sind die Hauptexportländer der Ukraine im nordafrikanischen Raum. Auch das UN-Welternährungsprogramm bezog zum Beispiel bislang einen Großteil seines Weizens aus der Ukraine.

Außerdem kommen die ganzen Handelswege in der Nahrungsversorgung durcheinander. Denn solange wir über 100 Prozent produzieren, drückt der Überschuss den Preis. Jetzt ist es beim Getreide genau umgekehrt. Darum ist da gerade viel Angst, viel Spekulation im Spiel. Keiner von uns Landwirten findet das gut, wenn die Preise so hochgehen und das weltweite Preisgefüge so durcheinandergerät.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Dass es kaum mehr Öl in deutschen Supermärkten gibt, ist vielerorts bereits Realität. Also liegt das Problem vielmehr beim Hamstern als bei der Versorgung selbst?

Alexander Ochsenreither: Nun, das ist die Psychologie des Marktes. Wenn keiner weiß, worauf er sich verlassen kann, beginnt man zu horten. Tatsächlich halte ich es aber für ein Riesenproblem, dass es nur noch in ganz wenigen Ländern in Europa so etwas wie eine staatliche Lagerhaltung gibt. Interventionslager nannte man die früher, als ich noch jung war.

So wollte man im Falle des Falles die Versorgung gewährleisten und konnte darüber hinaus, bei großen Ernten, die Landwirtschaft vom Überschuss entlasten. Macht aber keiner Mensch mehr, weil es vordergründig kein Geld und keinen Nutzen bringt – außer man kommt eben in eine Situation wie die jetzige. Heutzutage hingegen sagt man einfach: Der Markt richtet es schon.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Zugespitzt formuliert: Würde uns weniger Marktgläubigkeit in der Agrarpolitik guttun?

Alexander Ochsenreither: Die Grundversorgung der Menschen mit Lebensmitteln ist eine der hehrsten staatliche Aufgaben – schon die Ägypter hatten Getreidelager für magere Jahre. Das hat man in der EU vergessen. Man war zu beschäftigt mit der Überschussverwaltung, und jetzt stehen wir vor der Situation, dass die weltweiten Getreidevorräte nicht einmal für einen Monat ausreichen, um den Bedarf zu decken.

Sollte es in mehreren wichtigen Anbaugebieten gleichzeitig zu einer schlechten Ernte kommen, könnte das in einigen der ärmeren Ländern zu katastrophalen Auswirkungen führen. Dass man da dann einfach sagt, das überlasse ich den Markt, Bauern sind ja fleißig, wird schon genug da sein – das finde ich, ist wirklich gefährlich.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Herr Ochsenreither, vielen Dank für das Gespräch!


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