Warum funk- und radargesteuerte Autos Besorgnis erregen
Für die Politik hierzulande ist völlig klar: „Deutschland soll eine Führungsrolle beim autonomen Fahren einnehmen. Um das große Potential des autonomen und vernetzten Fahrens optimal zu nutzen, will die Bundesregierung die Forschung und Entwicklung vorantreiben und damit die Mobilität der Zukunft vielseitiger, sicherer, umweltfreundlicher und nutzerorientierter gestalten.“[1] Demgemäß hat das Bundeskabinett am 23. Februar eine Verordnung zum Autonomen Fahren verabschiedet und damit den hierfür erforderlichen Rechtsrahmen vervollständigt – wobei Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) nicht ohne Stolz hervorhob: „Dass autonome Fahrzeuge bei uns künftig im normalen Straßenverkehr teilnehmen können, ist weltweit einmalig…“[2] Kein Wunder also, dass alle großen Autofirmen derzeit unter Hochdruck daran arbeiten, selbstfahrende Autos möglichst zeitnah auf die Straße zu bringen.
Die Ampel-Politik will auch auf diesem Sektor verstärkt „den Fortschritt wagen“ – doch Wagnisse verbinden bekanntlich Chancen mit Risiken. Wer aber Fortschritt unbedingt will, wird bemüht sein, die Risiken kleinzureden. In diesem Sinne wird die Entwicklung von autonomen Autos[3] und E-Autos immer entschiedener vorangetrieben – doch um welchen ökologischen Preis? Dass manche Materialien für die neuen High-Tech-Autos auf die Dauer ein ökologisches Problem darstellen, ist so bekannt, dass es hier nicht eigens ausgeführt werden muss. Das Gleiche gilt für die schwierige Frage, wie denn bitte ein immer mehr auf Stromverbrauch angelegter Autoverkehr mit den knappen Energie-Ressourcen der Zukunft kompatibel sein soll[4]. All diese Dilemmas werden im Interesse einer unbedingt voranzutreibenden „digitalen Transformation“ entweder ignoriert oder auf die lange Bank geschoben.
Dabei ist der Autoverkehr für die meisten Menschen von mehr oder weniger „elementarer“ Bedeutung. Seine zunehmende Digitalisierung muss in der Folge den Alltag und die täglichen Erfahrungen stark verändern. An der Vernetzung möglichst vieler Fahrzeuge wird intensiv gearbeitet. Schon seit einigen Jahren darf hierzulande kein Neuwagen mehr ohne das automatische Notrufsystem eCall verkauft werden. Mit Blick auf das EU- gesteuerte Vernetzungsprojekt smart traffic [5] hatte der Deutsche Bundestag 2013 die Einführung „intelligenter“ Verkehrssysteme im Straßenverkehr und für deren Schnittstellen zu anderen Verkehrsträgern in deutsches Recht umgesetzt. Längst freut sich die Autobranche auf Milliarden-Umsätze durch teilautonome und selbstfahrende Autos. Doch wie tragfähig sind die Argumente für den smarten Straßenverkehr tatsächlich? Diese Frage stellt sich insbesondere auch deswegen, weil er zusätzliche Probleme auf jenem Sektor mit sich bringt, den das deutsche Grundgesetz mit dem Recht auf „körperliche Unversehrtheit“ markiert.
Sicherheit über alles?
Was zunächst die angebliche Sicherheit selbstfahrender Autos betrifft, so sind seit Jahren immer wieder Unfälle auch mit solch computergesteuerten Wägen registriert worden. 2018 konnte man der Zeitschrift für Technikfolgenabschätzung entnehmen, dass sich das „autonome Fahren“ bis dahin noch kaum in verkehrspolitischen Strategien oder Verkehrsentwicklungsplänen niedergeschlagen habe. Anschaulich erklärte damals Christian Wüst im „Spiegel“ (Nr. 13/2018): „Computer am Steuer sind – sofern sie funktionieren – Sonntagsfahrer der schlimmsten Art“: Sie halten so viel Sicherheitsabstand, dass sich die Verkehrsleistung einer Straße im Berufsverkehr glatt halbiert, warten lieber stundenlang an einer Autobahneinfahrt, als sich strebsam in dichten Verkehr einzufädeln, „und richtig zuverlässig fahren sie ohnehin nur bei freundlicher Witterung.“ Aber selbst die „Zuverlässigkeit“ ist namentlich aufgrund von Unfällen mit autonomen Autos zweifelhaft[6]. Und gerade in der bald bevorstehenden Übergangsphase werden laut der EU-Kommission „neue Risiken“ entstehen – wenn nämlich hochautomatisierte Fahrzeuge im gemischten Verkehr auftauchen und die komplexe Interaktion zwischen Fahrer und Fahrzeug erst einmal richtig einzuüben sein wird[7].
An vorderster Stelle steht in der öffentlichen Diskussion eben das Sicherheitsargument, es werde weniger Unfälle und Verkehrstote geben. Den Unfallfaktor „Mensch“ gelte es möglichst auszuschalten.Doch Alexandra Neukum hat als Leiterin des Würzburger Instituts für Verkehrswissenschaften betont: „Ich finde es unseriös, damit zu werben, dass der Mensch der unsichere Faktor ist, den es auszumerzen gilt. Das sind Argumente aus den sechziger Jahren, die einer nicht mehr zeitgemäßen Technikgläubigkeit entstammen.“ [8] Schon frühere Tests hatten gezeigt, dass skeptisches Unbehagen nicht unbegründet war: „Viele neue Fahrzeugmodelle scheitern bei Testfahrten und verursachen Unfälle. Autofahrer plagt deshalb das Gefühl von Kontrollverlust und Unsicherheit.“ Das mag inzwischen besser geworden sein, aber die Frage des Kontrollverlusts bleibt eine sehr grundsätzliche: Von den einen politisch oder philosophisch geradezu gewollt, ist „autonomes“ Fahren anderen unheimlich und zuwider.
Noch 2013 hatte die ADAC-Zeitschrift Motorwelt vor den kritischen Folgen einer Vernetzung des Autofahrens gewarnt. Just die digitalen Bequemlichkeiten am Steuer würden oft zum Leichtsinn verführen: „Vor allem die junge Generation, die im Zustand ständiger Erreichbarkeit groß wird, will ihren digital vernetzten Lebensstil auch auf vier Rädern pflegen. Das Auto als Offline-Zone? Nein danke!“ In der Tat sollte genauer bedacht werden, zu wieviel Verunsicherung und konkreten Schäden „intelligente“ Verkehrssysteme psychologisch bedingt führen könnten. Der gleichsam ins Nichtstun entlassene Fahrer wird vielleicht vor Langeweile ermüden oder sich irgendwelchen anderweitigen Beschäftigungen hingeben, und ist er abgelenkt, da er am Computer tippt oder seine Taschen durchsucht, würde er eine drohende Gefahr womöglich nicht rechtzeitig erkennen. Christian Rauch erläutert die Folgen: „Das Auto muss den Fahrer also erinnern, regelmäßig nach vorne zu schauen. Damit dies nicht nervt, muss der Computer wissen, wann der Fahrer wegschaut. Sensoren werden seine Tastendrücke messen und Kameras seine Bewegungen überwachen.“[9] Eigentlich ein nerviges Szenario – und eine ärgerliche Ausweitung dessen, was Shoshana Zuboff „Überwachungskapitalismus“[10] nennt.
Stichwort „Überwachung“: Mit den beiden Totschlagargumenten „Sicherheit“ und „Digitalisierung“ wird sie praktisch auch auf dem Verkehrssektor legitimiert. Armin Grunwald weiß als Experte für Technikfolgenabschätzung um die aus der Automatisierung des Fahrens resultierende „digitale Vernetzung mit all den Folgen für mögliche systemische Risiken, Verletzlichkeit, Datenschutz und Überwachung. Diese werden sicher wichtige Themen einer gesellschaftlichen Debatte auch zum autonomen Fahren sein.“[11] Datensicherheit und Datenschutz werden aber in der Digitalisierungskultur weithin zu illusorischen Forderungen. Martin Schulz hatte schon als damaliger Präsident des Europäischen Parlaments vor der Gefahr totalitärer Verhältnisse gewarnt, wie sie durch die Digitaltechnik grundsätzlich ermöglicht werde. Der Berliner Philosophieprofessor Byung-Chul Han erklärt: „Das Internet der Dinge vollendet gleichzeitig die Transparenzgesellschaft, die ununterscheidbar geworden ist von einer totalen Überwachungsgesellschaft.“[12] Was die Totalüberwachung des Autoverkehrs betrifft, so mag sie einerseits mit Vorteilen verbunden sein; andererseits sind seit den Offenlegungen Edward Snowdens über die weltweiten Ausspäh-Möglichkeiten und ihre Umsetzung durch Geheimdienste und Firmen die Zeiten naiven Abblendens der Nachteile vorbei. Müssen und dürfen Unbeteiligte wirklich jederzeit abfragen können, ob und wo sich ein Pkw bewegt? Soll das pauschale Sicherheitsargument am Ende das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aufwiegen dürfen? Gilt „Sicherheit um jeden Preis“, oder ist das eben keine vernunftgesteuerte Idee?
Die digitalen Ausspäh-Möglichkeiten betreffen schließlich auch die Hacker-Problematik. Mögliche Angriffe aus dem Cyberspace auf Autos sind heute weniger von der Hand zu weisen denn je. Der ADAC weiß: „Ein Auto, das permanent online ist, kann genauso zum Ziel von Hackern werden wie ein PC, ein Laptop oder ein mobiles Endgerät, das mit dem Internet verbunden ist. Außerdem dürften autonome Fahrzeuge künftig regelmäßig Software-Updates benötigen – auch hier nähern sich Computer und Auto einander an, zugleich entsteht ein neues Einfallstor.“[13] Die erforderliche Kommunikationsbreite zwischen Fahrzeug und Außenwelt hat ihre Risiken: Hacker könnten bis tief in die Fahrzeugelektronik vordringen. Was, wenn ein „geknackter“ Wagen auf freier Strecke bei Tempo 180 eine Vollbremsung hinlegen würde? Wenn Autodiebe den Wagen wie ein zu groß geratenes Modellauto ferngesteuert auf einen Transporter rollen lassen würden? Dass derlei Risiken nicht bloß ins Reich technologischer Fantasie gehören, haben Hacker bereits experimentell demonstriert und publik gemacht. Ihren eigenen Worten nach waren sie selbst verblüfft, welche Optionen ihnen offenstanden: „Kaum noch ein neues Modell, das nicht die Möglichkeit bietet, es als mobilen WLAN-Hotspot zu nutzen oder Telefone und Computer mit ihm zu verbinden, um deren Funktionen über das Infotainmentsystem des Autos bedienen zu können.“[14] Wer wollte ernsthaft garantieren, dass Hacker nicht mit den sich entwickelnden technologischen und legislativen Maßnahmen gegen das Hacken Schritt halten werden?
Zur Sicherheitsproblematik zählt außerdem der Umstand, dass High-tech-Kraftfahrzeuge voller Elektronik sind. Es gibt Berichte über das Versagen durch Interferenzen mit Funk-Störquellen unterschiedlicher Art: Nicht nur in Tunneln droht solche Gefahr, auch die Funktionsfähigkeit von mit Elektronik vollgestopften PKW ist eben nicht nur sicher, sondern immer auch ein Stück weit unsicher! In Neuhausen/Enzkreis wird derzeit ein Labor geplant, das herausfinden soll, ob nicht ein Gerät mit seinen elektromagnetischen Wellen einem anderen in die Quere kommen oder ob es nach außen hin stören könnte: „Jedes Auto steckt voller Elektronik, und man muss prüfen, wie sich ein Teil auf den anderen auswirkt“, erklärt dazu Dirk Moser-Delarami vom TÜV Süd[15].
Elektrosmog im Fahrzeug
Stichwort „elektromagnetische Wellen“: Haben die heute bereits gängigen Assistenz- und Vernetzungssysteme im Wagen, die mit den ermöglichten Bequemlichkeiten auf ihre Weise „digitale Demenz“ (Manfred Spitzer) fördern könnten, ihren gesundheitlichen Preis nicht zuletzt wegen der damit verbundenen Strahlenbelastung? Die Frage nach der biologischen Verträglichkeit drängt sich deutlicher auf, als es Herstellern, Betreibern, Verkäufern, aber auch dem Käuferkreis lieb sein mag. Verlangt nicht namentlich das permanente Versetzen autonomer Autos in lauter E-Smog-Wolken von Mobil- und Kommunikationsfunk sowie Radar doch nach intensiveren gesundheitspolitischen und ärztlichen Debatten? Dabei ergeben sich aus der anhaltenden Mobilfunk-Diskussion[16] viele offene Fragen. Wenn es um stetes Erfassen bewegter Objekte und die Weiterleitung entsprechender Sofort-Informationen geht, sind Funksysteme gewiss unverzichtbar. Schier „grenzenlos“ hohe Grenzwertbestimmungen[17] machen da ungefähr alles möglich – auch den umstrittenen, weil hinsichtlich seiner biologischen Effekte noch gar nicht hinreichend erforschten 5G-Mobilfunk. Für den Verkehrsteilnehmer der künftigen „Gigabit-Gesellschaft“ dürfte es Bedingung sein, dass er hinsichtlich des E-Smogs möglichst keine Vorsorge-Fragen stellt. Und dass er nicht etwa zur Minderheit der Elektrosensiblen[18] gehört oder „hochsensible“ Geräte wie etwa Herzschrittmacher an oder in sich trägt. Der Dachverband für Bürger und Initiativen zum Schutz vor Elektrosmog namens Bürgerwelle aber hat schon vor Jahren gewarnt: „Mit der digitalen Vernetzung des Autos beginnt eine im anvisierten Endzustand massive Mehrbelastung durch Funkwellen. Es ist eine Mehrbelastung nicht nur der Fahrzeuginsassen, sondern auch großer Teile der Bevölkerung durch die Mobilfunksendemasten.“[19]
Für die Personen im Fahrgastraum sollten die Immissionswerte eigentlich minimal sein, sonst könnten Aufmerksamkeit und Gesundheit leiden. Dass mit den entsprechenden Risiken nicht zu spielen ist, zeigte bereits ein Beitrag der RTL-Fernsehsendung „Explosiv“ vom 28. Oktober 2017 über ein wissenschaftliches Experiment mit einem Arzt als Fahrer eines elektronisch bestens ausgestatteten Pkws, überwacht durch Professor Wolfgang Schöllhorn vom Institut für Sportwissenschaft der Universität Mainz. Bei dem gründlich durchgeführten Versuch kam es zu einer überraschend großflächigen Aktivierung über ungefähr alle Hirnareale hinweg, insbesondere unter WLAN-Strahlung. Die zunehmende E-Smog-Belastung des untersuchten Gehirns löste Symptome aus, die normalerweise nur unter hohem Stress vorkommen und sich dann auch aufs Herz auswirken können. Stärkere Abgeschlagenheit, Müdigkeit und mangelnde Konzentrationsfähigkeit gelten als Folgen solcher Zustände. Schöllhorn beschloss auf Grund dieser Resultate jedenfalls, die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu alarmieren[20].
Bei einem zweiten Versuch eine Woche später zeigte sich, dass das im Auto durch allerlei Strahlung erzeugte magnetische Wechselfeld um ein Mehrfaches über der Grenze lag, ab der Krebsgefahr aufkommt. Die Testperson nahm sich vor, künftig ohne eingeschaltetes WLAN zu fahren. Ein Jahr später hat eine große Überblicksstudie zu WLAN den Verdacht auf Gesundheitsschädlichkeit untermauert: Unter der Überschrift „Biologische und pathologische Wirkungen der Strahlung von 2,45 GHz auf Zellen, Kognition und Verhalten“ ist sie in der Zeitschrift umwelt – medizin – gesellschaft (1/2018) erschienen. Indes – zwingt die heraufziehende Technokratie nicht immer mehr zum Funken?
Über die Verträglichkeit speziell von Radar[21] lässt sich bekanntlich streiten. Verbreiteten Verharmlosungen steht die Ansicht gegenüber, eine Dauerbestrahlung durch Radar greife die Gesundheit an und könne Krebs erzeugen[22]. Das bedeutet: Von einer zweifelsfreien biologisch-medizinischen Risikolosigkeit kann schwerlich die Rede sein. Beispielsweise sprach Reiner Gebbensleben in der Bayerischen Staatszeitung (25/2013) von einer „die Gesundheit beeinträchtigenden Abstrahlung von digitaler Leistungselektronik (Radaranlagen, Mobilfunkanlagen u.a.)“. Im Kontext des Auto- und Straßenverkehrs geht es nicht nur um radargestützte Bremsassistenten oder um einen Strahlengürtel rund ums Auto, sondern um noch weit mehr. So arbeiten einige Firmen seit 2015 an einer radarbasierten Erfassung automatisierter Kraftfahrzeuge. Diese sollen mittels einer sogenannten „Radar Road Signature“ jederzeit um ihren jeweiligen Standort wissen. Das Gesamtsystem setzt die Information über die aktuelle Fahrzeugumgebung aus Milliarden einzelner Radar-Reflexpunkte zusammen, die entstehen, sobald Radarsignale etwa auf Verkehrsschilder oder Leitplanken treffen – wetterunabhängig bis zu über 200 Meter weit! Mehreren Radarsensoren pro Wagen entspricht damit eine häufige, womöglich nahezu permanente Radar-Exposition all derer, die künftig auf unseren Straßen unterwegs sein werden oder an vielbefahrenen Straßen wohnen. Autonomes Fahren stellt nicht zuletzt deshalb für viele Menschen eine „Horrorvision“ dar. Armin Grunwald unterstreicht: „Ob und inwieweit Menschen sich, und das heißt im Ernstfall auch ihr Leben und ihre Gesundheit, autonomen Fahrzeugen anvertrauen werden, ist eine offene Frage.“
Hinzu kommt übrigens die prekäre Problematik der niederfrequenten Strahlung von Ladeboxen für E-Autos im direkten Umfeld von Privathäusern[23]. Mit der Inbetriebnahme einer solchen Ladestation in Schlafzimmer-Nähe sollen bei einem Kunden-Ehepaar massive gesundheitliche Beeinträchtigungen aufgetreten sein – Schlafstörungen, Herzrasen, Kopfschmerzen, Konzentrationsschwierigkeiten, Erschöpfungszustände… Auch Bekannte, die in der Wohnung zu Besuch waren, sollen ein Unwohlsein verspürt haben. Erst nach dem Abklemmen eines zentralen Verbindungskabels trat wieder das normale Befinden ein. Dass dies ein Einzelfall sein könnte, lässt sich nicht ausschließen, dürfte aber als unwahrscheinlich gelten.
Utopie als Einbahnstraße?
Selbst wenn die Schädigung biologischer Systeme durch elektromagnetische Felder noch nicht im engeren Sinn „bewiesen“ und anerkannt ist, gebietet die umweltpolitisch verlangte Vorsorge jedenfalls Sorgfalt und Vorsicht angesichts der umstrittenen Strahlung. Zwar gibt es technische Bestrebungen, elektrische Felder im supermodernen Auto zu reduzieren oder abzuschirmen. Doch das ist teuer und keineswegs einfach. Mittlerweile arbeitet die Autoindustrie an weiteren Untersuchungen zur biologischen Verträglichkeit ihrer High-Tech-Autos. Doch dass ungefähr das gesamte Verkehrssystem mit Funk- und Radarwellen überzogen werden soll, ist ein Schlag ins Gesicht aller ernsthaften Vorsorge-Ethik. Bedeutet es nicht ein gigantisches Experiment mit der Gesundheit ungezählter Menschen – von den ungezählten Bäumen ganz zu schweigen, die auch unter Mobilfunk-Strahlung leiden können[24]? Was nutzt am Ende eine eventuell gestiegene Verkehrssicherheit, wenn dafür immer mehr Verkehrsteilnehmer schmerz- und krebsgefährdet oder, sofern sie zur Minderheit der Elektrosensiblen gehören, mehr oder weniger von der Teilnahme am Straßenverkehr ausgeschlossen sein werden?
Der Journalist Götz Hamann prophezeite schon 2011: Was die Netzgesellschaft betrifft, „liegen Utopie und Apokalypse total eng beisammen.“ Gilt das nicht auch gerade mit Blick auf die Rundum-Digitalisierung und ‑Elektrifizierung des Autoverkehrs? Wer bejaht all die genannten Risiken[25] in vollem Verantwortungsbewusstsein? Früher wusste man noch um den ethischen Grundsatz: Der Mensch darf nicht alles, was er kann. Er gilt aber im Grunde auch heute – insbesondere für die weiten Felder der fortschreitenden atomaren, molekularbiologischen und digitalen Technologien. Schließlich betreffen sie alle das Schicksal der Menschheit insgesamt und erfordern deshalb intensive Vorsorge und Technikfolgenabschätzung. Doch offenbar korrumpieren insbesondere wirtschaftliche Gewinnaussichten immer wieder die Vernunft und das Gewissen. Verlernt es der gesunde Menschenverstand im Zuge der Digitalisierung, komplexe, längerfristig zu bedenkende Sachverhalte gründlich, ja weisheitlich abzuwägen? Wird die Ideologie des Transhumanismus[26] – nicht zuletzt aufgrund finanzieller bzw. lobbyistischer Interessen – politisch einfach geschickt durch- und umgesetzt, wobei die Bevölkerung durch suggestives Nudging und raffiniert steuernde Gesetzgebung „mitgenommen“ und weiter infantilisiert wird? Wohin führen die Wege der digitalen Transformation auf die Dauer? Fährt man wirklich gut auf und mit ihnen?
Aufs autonome Fahren bezogen, hat Armin Grunwald zwar betont: „Sorgen und Fragen müssen ernst genommen werden und dürfen nicht a priori als irrational vom Tisch gewischt werden.“ Doch für eine im Prinzip mögliche Umkehr dürfte es faktisch längst zu spät sein; dafür ist der Gesetzgebungsprozess schon zu weit fortgeschritten. Ob sich solcher Fortschritt nicht nur als Einbahnstraße, sondern als Sackgasse erweisen wird?
[1] www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Artikel/DG/gesetz-zum-autonomen-fahren.html (Abruf 28.2.2022).
[2] www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Pressemitteilungen/2022/008-wissing-verordnung-zum-autonomen-fahren.html
[4] Vgl. Werner Thiede: Cloud frisst Erde. Die Illusion einer umweltverträglichen Digitalisierung, in: Salzkorn 4/2020, 34-36 (www.ojc.de/salzkorn/2020/oekologie-schoepfungstheologie-hoffnung/digitalisierung-cloud-umweltvertraeglich/).
[5] Vgl. www.cep.eu/uploads/tx_cpspolitmonitor/KA_Intelligente_Verkehrssysteme.pdf sowie www.forschungsinformationssystem.de/servlet/is/346531/ und eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:52003DC0542:DE:HTML (Abrufe 30.4.2013).
[6] Siehe z.B. www.zeit.de/zustimmung?url=https%3A%2F%2Fwww.zeit.de%2Fmobilitaet%2F2021-11%2Fautonomes-fahren-kuenstliche-intelligenz-verkehrssicherheit-unfall
[8] Interview in: Zeit Wissen Nr. 3/2013, 93.
[9] Christian Rauch: Fahrer? Überflüssig!, in: Münchner Merkur Nr. 196 vom 25.8.2012, 15.
[10] Vgl. Shoshana Zuboff: Zuboff: Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus, Frankfurt 2018; ferner Timo Daum: Das Auto im digitalen Kapitalismus. Wenn Algorithmen und Daten den Verkehr bestimmen, 2020.
[12] Byung-Chul Han: Im digitalen Panoptikum, in: Der Spiegel 2/2014, 106.
[13] www.adac.de/rund-ums-fahrzeug/ausstattung-technik-zubehoer/autonomes-fahren/recht/autonomes-fahren-hacker-angriff/. Die Hersteller neigen „zu einer vor allem wirtschaftlichen Abwägung darüber, wie viel digitale Sicherheit sie ins Auto einbauen. Und die fällt nach Expertenmeinung immer wieder zu Ungunsten der Sicherheit aus“, heißt es ebd.
[14] Thomas Harloff: Der Fahrer ist machtlos, in: Süddeutsche Zeitung, 22.7.2015 (www.sueddeutsche.de/auto/auto-aus-der-ferne-gehackt-der-fahrer-ist-machtlos-1.2577174-2).
[15] Laut Pforzheimer Zeitung vom 29.1.2022, 26.
[16] Hier sei nur pauschal auf das reichhaltige Portal der Verbraucher-Organisation „Diagnose:Funk“ (www.diagnose-funk.org/), auf die Europäische 5G-Bürgerinitiative (signstop5g.eu/sv/supporters/bardocz) sowie auf mein Buch „Mythos Mobilfunk. Kritik der strahlenden Vernunft“ verwiesen – und an meine DWN-Artikel vom 6.6. und 4.7.2021 erinnert.
[17] Dazu z.B. K. Hecht u.a. (Hg.): Warum Grenzwerte schädigen, nicht schützen – aber aufrechterhalten werden. Beweise eines wissenschaftlichen und politischen Skandals, St. Ingbert 2009.
[18] kompetenzinitiative.net/KIT/wp-content/uploads/2018/08/KI_HEFT-11_Elektrohypersensibilit%C3%A4t_2018.pdf
[19] www.buergerwelle.de/de/themen/gesundheit/internet_auf_vier_rdern.html?service=logout (Abruf 8.6.2013).
[21] Der Begriff kürzt ab: Radio Detection and Ranging und meint die Erfassung und Lokalisierung von Objekten mittels Radiowellen. Zum Aspekt des Elektrosmogs bei Radar siehe www.ralf-woelfle.de/elektrosmog/redir.htm?www.ralf-woelfle.de/elektrosmog/technik/radar.htm
[22] Der promovierte Physiker Stefan Spaarmann erklärte mir brieflich, Radar sei eines der gefährlichsten Funkverfahren und Technikwahn, da hier kurze Impulse und niedrige Taktraten verwendet würden: „Niedrige Taktraten bedeuten eine Synchronisation von Gehirnwellen, also einen Eingriff ins Kommunikationssystem des Körpers“ (2013).
[23] Z.B. easee.com/de/zuhause-laden/. Die Information verdanke ich einem Baubiologen.
[24] Vgl. z.B. Werner Thiede: Baumschäden durch Mobilfunk-Strahlung. Forscher entdecken Beunruhigendes, in: Bayerische Staatszeitung Nr. 14 (7.4.2017), 18.
[25] Siehe auch www.next-mobility.de/autonomes-fahren-und-seine-chancen-und-risiken-fuer-die-verkehrswende-a-957913/
[26] Vgl. Werner Thiede: Mensch, Maschine und Gott. Zur Transhumanismus-Debatte (deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/516120/Transhumanismus-Mensch-Maschine-Gott)