Wirtschaft

Exportsanktionen für Öl und Kohle schaden Russland viel weniger als oft behauptet

VWL-Experte: "Selbst wenn sie ab morgen keinen Dollar mehr kriegen – bis sie da an eine Liquiditätsgrenze stoßen, vergeht eine lange Zeit."
10.05.2022 15:14
Lesezeit: 2 min
Exportsanktionen für Öl und Kohle schaden Russland viel weniger als oft behauptet
Aktivisten der Umweltorganisation Greenpeace demonstrieren vor einem Schiff, das russisches Öl auf der Ostsee transportiert, mit einem Plakat mit der Aufschrift "Kein Geld für Krieg!". Auf den Tanker hatte sie zuvor den Schriftzug "OIL IS WAR" gepinselt. Es besteht jedoch Grund zur Annahme, dass es sich dabei um eine ökonomisch verkürzte Perspektive handelt. (Foto: dpa)

Die Exportsanktionen für Öl und Kohle aus Russland schaden Putins Regime viel weniger als in der öffentlichen Debatte oft behauptet. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Forschungsarbeit von Marcel Thum. Er ist Professor für Volkwirtschaftslehre an der TU Dresden und Leiter der Dresdner Niederlassung des ifo Instituts. "Die Härte der Sanktionen über den entgangenen Verkaufserlös zu messen, ist irreführend," sagt Marcel Thum. "Solange Putin fest im Sattel sitzt, kann es ihm recht egal sein, ob sein Regime das Vermögen in Form von internationalen Anlagen oder von Rohstoffen im Boden hält."

Das Narrativ der Sanktionen, die Russland schaden – ein "ökonomisches Missverständnis"?

Als Reaktion auf den russischen Krieg in der Ukraine plant die EU einen Einfuhrstopp für russische Kohle, auch russisches Öl soll möglicherweise gegen Ende des Jahres nicht mehr nach Europa exportiert werden dürfen. Ein Einfuhrstopp für Erdgas ist ebenfalls im Gespräch. Doch wie wirksam ist so ein Embargo auf erschöpfbare Ressourcen überhaupt? "In der aktuellen Diskussion wird die Härte der Sanktionen gemessen über die Erlöse. Das Narrativ lautet immer: ‚Wir zahlen Russland jeden Tag über 700 Millionen Dollar. Wenn wir die Rohstoffe nicht mehr abnehmen, schaden wir Putin in derselben Höhe.‘ Das ist ein ökonomisches Missverständnis."

Dieses Missverständnis war Anlass für Prof. Marcel Thum, sich genauer mit der Wirkung von Sanktionen auf erschöpfbare Ressourcen zu beschäftigen.Er merkt an, dass es im Allgemeinen keinen Druck gibt, Öl oder Gas sofort verkaufen zu müssen. Im Gegensatz zu z.B. verderblichen Erntegütern lassen sich diese Ressourcen relativ problemlos weiter im Boden lagern ohne dabei an Wert zu verlieren. Durch einen verzögerten Abbau entsteht bei gut funktionierenden Rohstoff- und Finanzmärkten kein finanzieller Schaden für die Rohstoffbesitzer. Dies ändert sich erst, wenn der sanktionierte Machthaber es eilig hat, seine Ressourcen zu Geld zu machen, weil er Angst davor hat, künftig nicht mehr auf sie zugreifen zu können, etwa weil er einen Umsturz kommen sieht.

"Selbst wenn sie ab morgen keinen Dollar mehr kriegen – bis sie da an eine Liquiditätsgrenze stoßen, vergeht eine lange Zeit."

Nun sieht es aktuell nicht so aus, als müsste Putin den Machtverlust fürchten. Stattdessen wurden ihm mit anderen Sanktionen, z.B. dem Einfrieren von russischen Konten in der Schweiz, Möglichkeiten entzogen, das durch die Exporte gewonnene Geld sicher für sich und sein Umfeld anzulegen. Laut Prof. Marcel Thum führt das dazu, "dass es für Putin wegen des Einfrierens russischer Konten tendenziell dann doch besser ist, mehr natürliche Rohstoffe für sich zu behalten, auch wenn er nicht einhundert Prozent sicher sein kann, dass er sie morgen noch ausbeuten kann. Die Exportsanktionen und das Einfrieren von Konten beißen sich also, was die Wirksamkeit der Strafe betrifft."

Doch lassen sich Söldner und Kriegsgerät nicht in Öl und Gas bezahlen. Auf den Embargos liegt dementsprechend auch die Hoffnung, Russland damit die liquiden Mittel für die Kriegsführung entziehen zu können. Prof. Marcel Thum zweifelt, dass die fehlenden Einnahmen aus dem Export von Öl und Gas in die EU zu Liquiditätsproblemen in Russland führen und Militärausgaben verhindern würden: "Wir reden momentan über einen dreistelligen Millionenbetrag, der, zumindest bis vor Kurzem, jeden Tag nach Russland als Entschädigung für Rohstoffe ging. Russland hat selbst nach dem Einfrieren der Vermögenswerte international fungible Vermögen in Höhe von 300 bis 400 Milliarden Dollar. Selbst wenn sie ab morgen keinen Dollar mehr kriegen – bis sie da an eine Liquiditätsgrenze stoßen, vergeht eine lange Zeit."

Verzicht auf russische Energie scheint seine Wirkung zu verfehlen

Unter den aktuellen Gegebenheiten scheint der Verzicht auf russisches Öl und Gas also nicht in der Lage zu sein, die erhoffte Wirkung zu erzielen und den Krieg in der Ukraine zu beenden. Gleichzeitig könnte die europäische Wirtschaft massiv unter einem russischen Gas-Exportstopp leiden, sollte Russland die Situation umkehren und die Gaslieferungen einstellen, wie kürzlich in Polen und Bulgarien geschehen. Doch zumindest hier sieht Prof. Marcel Thum einen Lichtblick: "Russland will sein Gas auch verkaufen und bisher haben sie immer gemäß der Verträge geliefert."

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Unternehmen
Unternehmen Trumps Zölle - Warum Hyundai jetzt auf Milliarden-Investitionen in den USA setzt
01.04.2025

Geht sein Plan auf? Trumps Zollerhöhungen erzwingen bereits drastische Reaktionen. Hyundai investiert 21 Milliarden US-Dollar in die USA,...

DWN
Politik
Politik AfD holt in Umfrage auf: Union büßt nach Bundestagswahl stark ein
01.04.2025

Nach der Bundestagswahl verliert die Union in den Umfragen, während die AfD kräftig zulegt. Auch SPD und Grüne verzeichnen Rückgänge,...

DWN
Politik
Politik Bamf-Chef Sommer will radikale Asyl-Wende - Rücktritt gefordert
01.04.2025

Bamf-Chef Hans-Eckhard Sommer fordert eine radikale Wende in der deutschen Asylpolitik. Statt individueller Anträge plädiert er für eine...

DWN
Finanzen
Finanzen Europa-ETF-Vergleich: Wie Sie mit Europa-fokussierten ETFs Geld verdienen - und welche Europa-ETF sinnvoll sind
01.04.2025

Da die Trump-Administration die Unterstützung für die Ukraine zurückfährt, protektionistische Zölle erlässt und sich von der...

DWN
Politik
Politik Reform Arbeitszeitgesetz: 8-Stunden-Tag nicht mehr zeitgemäß?
01.04.2025

Union und SPD schlagen vor, aus der täglichen eine wöchentliche Höchstarbeitszeit zu machen. Von der Wirtschaft gibt es Zuspruch, die...

DWN
Politik
Politik Stephan Weil: Niedersachsens Ministerpräsident (SPD) zieht sich aus Politik zurück
01.04.2025

Stephan Weil beendet nach mehr als zwölf Jahren als Ministerpräsident von Niedersachsen seine politische Karriere. Mit einem klaren Kurs...

DWN
Politik
Politik Fußfessel: Le Pens Partei ruft zu frankreichweitem Protest auf
01.04.2025

Marine Le Pen wurde wegen Veruntreuung öffentlicher EU-Gelder verurteilt. Das Urteil verbietet ihr vorerst die Teilnahme an Wahlen und...

DWN
Politik
Politik Über eine Milliarde Euro für Lobbyarbeit: In welchen Bereichen Konzerne besonders oft Einfluss nehmen
01.04.2025

Lobbyisten gaben 2023 rund eine Milliarde Euro für Einflussnahme auf Bundesebene aus. Eine Gesetzesänderung von 2024 verschärft die...