Deutschland

Einbruch der Gasströme - Ukraine dreht Deutschland offenbar das Gas ab

Die ukrainische Regierung dreht Deutschland den Gashahn zu. Der Durchfluss durch das Transitland sinkt deutlich. Wirtschaftsminister Habeck behauptet, dass die Lage unter Kontrolle sei.
12.05.2022 10:13
Aktualisiert: 12.05.2022 10:13
Lesezeit: 4 min

Die ukrainische Regierung dreht Deutschland offenbar den Gashahn zu. Dies berichtet der Deutschlandfunk.

Auch in der FAZ beleuchtet ein interessanter Kommentar, dass es die Ukrainer sind, die Deutschland gerade den Gashahn zudrehen:

Wie theoretisch manche politische Diskussion ist, zeigt sich nun, da es zum ersten Mal seit Kriegsbeginn zu größeren Ausfällen bei den russischen Gaslieferungen nach Europa kommt. Es sind nicht die Europäer, die den Gashahn zudrehen, obwohl das hier so viele wollten, und es ist auch nicht Putin, dem das nicht gerade wenige zugetraut haben. Nein, es sind die Ukrainer, welche die Durchleitung Richtung Westen drosseln. Die kamen in dieser Diskussion bisher gar nicht vor.

Die Hintergründe lassen sich aus der Ferne kaum überprüfen. Dass die Russen Gas für die abtrünnigen Gebiete im Donbass abzweigen und den Betrieb stören, wie die ukrainische Seite sagt, ist durchaus möglich.

Man fragt sich allerdings, ob es für die Führung in Kiew nicht eine andere Art gab, mit diesen Problemen fertigzuwerden. Sie riskiert einen Schaden für die Volkswirtschaften ihrer wichtigsten Verbündeten in Europa, auch wenn die Versorgung in Deutschland und anderswo fürs Erste offenbar nicht gefährdet war.

Die Junge Welt berichtet:

Jetzt hat sich die Lage insofern geändert, als Kiew beschlossen hat, den Transit russischen Gases über das eigene Territorium um ein Drittel zu reduzieren. Aufhorchen lässt dabei das Argument: Wegen der Kämpfe in der Region Lugansk sei ein »ordnungsgemäßer Betrieb« einer Pump- und einer Kompressorenstation nicht mehr gewährleistet. Russland hat das bestritten. Tatsächlich spricht die Chronologie der Vorwürfe gegen die ukrainische Version, Moskau habe die Senkung der Transitmenge zu verantworten. Erst hatte Kiew von »höherer Gewalt« in Gestalt der Kämpfe berichtet, welche die Lieferung behindere, Russland hatte dies bestritten und erklärt, die Pumpstation »arbeite ungestört«. Jetzt behauptet die ­Ukraine das glatte Gegenteil: Gasprom habe »den Hahn zugedreht«. Offenbar in der Annahme, dass man heute Moskau für alles verantwortlich machen kann und niemand die eigenen Erklärungen vom Morgen desselben Tages nochmals liest. Dabei wird umgekehrt ein Schuh daraus. Die Ukraine will die Wahrheit verbergen, dass sie den Gaskunden vertraglich zugesicherte Ware entzieht. Und zwar aus einem Grund, der den Abnehmerländern so egal sein kann wie die Farbe, mit der die Kompressoren angestrichen sind: ihrer eigenen Souveränität. Kiew macht die Westeuropäer zur Geisel seiner eigenen politischen Ambitionen.

Sind doch russische Gegensanktionen schuld?

Nach den von Russland verhängten Sanktionen gegen ehemalige Tochtergesellschaften von Gazprom im Ausland ist der Gas-Transit durch die Ukraine nach Europa deutlich gefallen. Das Auftragsvolumen für die Durchleitung russischen Gases lag nach Angaben des ukrainischen Netzbetreibers OGTSU am Donnerstag bei nur noch 53,2 Millionen Kubikmeter.

Laut dem aktuellen Transitvertrag können täglich maximal 110 Millionen Kubikmeter russisches Gas durch die Ukraine nach Europa gepumpt werden. Am Dienstag lag das Auftragsvolumen nach russischen Angaben noch bei 95,8 Millionen Kubikmetern. Am Mittwoch war die Gasmenge auf 72 Millionen Kubikmeter gefallen, weil die Ukraine kriegsbedingt einen Strang durch die schwer umkämpfte Region Luhansk geschlossen hatte. Nun ist sie noch einmal um mehr als ein Viertel gefallen.

Ob der drastische Rückgang mit den Sanktionen zusammenhängt, ist offen. In den vergangenen Wochen wurden mehrfach vergleichbare Mengen durch das ukrainische Pipelinesystem geleitet. Zuletzt war die Transitmenge am 24. April mit 53 Millionen Kubikmetern ähnlich niedrig.

Am Mittwoch hat die russische Regierung Geschäfte mit Gazprom Germania und anderen ehemaligen Tochtergesellschaften des russischen Staatskonzerns Gazprom im Ausland untersagt. Die Regelung betrifft insgesamt 30 Firmen in Europa und eine in den USA und gilt vorerst bis zum 30. September. Gazprom Germania war Anfang April unter staatliche deutsche Kontrolle gestellt worden.

Habeck: Sind auf Sanktionen vorbereitet

Deutschland ist nach den Worten von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck auf die von Russland angekündigten Sanktionen im Energiesektor eingestellt. «Wir haben uns auf die Situation vorbereitet», sagte der Grünen-Politiker am Donnerstag im Bundestag. Zuvor hatte Russland Sanktionen gegen die Firma Gazprom Germania und andere ehemalige Tochterunternehmen des russischen Gaskonzerns verhängt.

Der Markt könne den Gasausfall aus Russland kompensieren, sagte Habeck. Die Entwicklungen zeigten, dass Energie als Waffe genutzt werden könne. Die Voraussetzung dafür, dass Deutschland in Zukunft sicher sei, sei der Ausbau der erneuerbaren Energien, um den sich die Bundesregierung bemühe.

Bereits am späten Mittwochabend hieß es vom Bundeswirtschaftsministerium, die Bundesregierung und die Bundesnetzagentur als Treuhänderin von Gazprom Germania seien dabei, sich auf verschiedene Szenarien vorzubereiten.

Gazprom Germania ist Eigentümerin weiterer wichtiger Unternehmen der deutschen Gaswirtschaft. Nach Angaben der russischen Agentur Interfax ist das Anlegen von Vorräten mit russischem Gas in den Speichern Europas künftig verboten. Unklar war zunächst, wie ein solches Verbot durchzusetzen wäre.

In Deutschland gibt es 47 Untertagespeicher an 33 Standorten, die von rund 25 Firmen betrieben werden. Auf den Energiekonzern Uniper entfällt rund ein Viertel der deutschen Speicherkapazität. Der größte Einzelspeicher wird allerdings von der Gazprom-Germania-Tochter Astora betrieben, die unter die neuen Sanktionen fällt. Der Speicher befindet sich im niedersächsischen Rehden. Auf ihn entfällt rund ein Fünftel der deutschen Kapazität. Zuletzt war in dem Rehdener Speicher allerdings kaum Gas gelagert.

Uniper sieht noch viele offene Fragen zu den Sanktionen. «Wir prüfen das im Detail», sagte ein Unternehmenssprecher am Donnerstag. Unklar seien insbesondere Einzelheiten zum Verbot der Befüllung der Gasspeicher.

Gasspeicher gleichen Schwankungen beim Gasverbrauch aus und bilden damit eine Art Puffersystem für den Gasmarkt. Für gewöhnlich sind die Speicher mit Beginn der Heizperiode im Herbst gut gefüllt, bis zum Frühjahr nehmen die Füllstände dann ab. An kalten Wintertagen werden bis zu 60 Prozent des Gasverbrauchs in Deutschland aus deutschen Speichern abgedeckt. Laut dem neuen Speichergesetz sollen sie am 1. November zu 90 Prozent gefüllt sein. Am vergangenen Montag waren die Speicher zu knapp 39 Prozent gefüllt - mit steigender Tendenz.

Betroffen sind von den russischen Gegensanktionen vor allem die Betreiber von Gasspeichern sowie etwa der Eigentümer, der den polnischen Teil der von Russland nach Europa führenden Pipeline Jamal betreibt. Zuvor hatte Russland bereits seine Gaslieferungen nach Polen eingestellt. Gazprom ist nach wie vor der größte Gaslieferant Deutschlands.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft China frisst Tesla: Wie Elon Musk seine eigene Konkurrenz großzog
19.07.2025

Elon Musk wurde in China gefeiert, hofiert und mit Privilegien überschüttet – doch während Tesla half, Chinas E-Auto-Industrie...

DWN
Technologie
Technologie Lokale Rechenzentren: Auslaufmodell oder Bollwerk digitaler Souveränität?
19.07.2025

Cloud oder eigenes Rechenzentrum? Unternehmen stehen vor einem strategischen Wendepunkt. Lokale Infrastruktur ist teuer – aber oft die...

DWN
Panorama
Panorama Rentenvergleich: So groß ist der Unterschied zwischen Ost und West
19.07.2025

Im Osten der Republik erhalten Frauen im Schnitt deutlich mehr Rente als im Westen. Jahrzehntelange Unterschiede in der Erwerbsbiografie...

DWN
Finanzen
Finanzen Erbe aufteilen: So sichern Sie den Verbleib Ihres Partners im gemeinsamen Haus
19.07.2025

Sind Sie wiederverheiratet und haben Kinder aus früheren Beziehungen? Dann ist besondere Vorsicht geboten, wenn es darum geht, Ihr Erbe...

DWN
Finanzen
Finanzen Unser neues Magazin ist da: Kapital und Kontrolle – wem gehört Deutschland?
19.07.2025

Deutschland ist reich – doch nicht alle profitieren. Kapital, Einfluss und Eigentum konzentrieren sich zunehmend. Wer bestimmt wirklich...

DWN
Finanzen
Finanzen Steuererklärung: Wann Verspätungszuschläge unzulässig sind
19.07.2025

Viele Steuerzahler ärgern sich über Verspätungszuschläge, wenn sie ihre Steuererklärung zu spät abgeben. Doch nicht immer ist die...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Arbeiten nach der Schule: Warum viele keine Ausbildung beginnen
19.07.2025

Schnell Geld verdienen statt jahrelang pauken – das klingt für viele junge Menschen verlockend. Doch wer direkt nach der Schule in den...

DWN
Politik
Politik Militär statt Frieden? Was das EU-Weißbuch 2030 wirklich bedeutet
19.07.2025

Mit dem Weißbuch „Bereitschaft 2030“ gibt die EU ihrer Sicherheitspolitik eine neue Richtung. Doch Kritiker warnen: Statt...