Den US-Bürgern schmelzen ihre Ersparnisse davon. Die chronisch niedrige Sparquote ist aktuell mit 4,4 Prozent des verfügbaren Einkommens noch geringer als vor der Corona-Krise. Dabei hatten Corona-bedingte Unterstützungszahlungen und das Quasi-Helikoptergeld („Stimulus-Checks“) die Sparquote zwischenzeitlich auf weit über 20 Prozent gehoben.
Zum Vergleich: Auch in Deutschland explodierte die Sparquote der Haushalte in der Coronazeit auf zwischenzeitlich 23 Prozent, sank danach auf „nur“ aktuell 11,4 Prozent. Das Finanzpolster der deutschen Verbraucher ist damit aber immer noch erheblich höher als das der Amerikaner.
Wie signifikant finanzielle Hilfen der Regierung für die US-Bevölkerung sind, zeigen Statistiken, wonach etwa die Hälfte der US-Bürger durch die Corona-Geschenke ein höheres Einkommen als vor der Pandemie hatte. Jetzt aber sind die Stimulus-Programme vorbei, und es ist nicht abzusehen, ob - und wenn ja, wann - weitere folgen werden. Zugleich werden die Geldbeutel der Haushalte durch die hohe Inflation enorm belastet. Die real verfügbaren Einkommen sind im Eiltempo wieder auf Vorcorona-Niveau angekommen.
"Dies ist kein normaler Aufschwung, und die fiskalische Stimulierung ist immer noch in den Geldbörsen der Verbraucher zu spüren", sagte Jamie Dimon, CEO von J.P. Morgan, jüngst auf einer Investoren-Konferenz. "Sie geben das Geld aus, und zwar sehr schnell."
Paypal-Chef Dan Schulman meint, dass im weiteren Jahresverlauf auch die letzten Reserven aus den Multimilliarden-Ersparnissen komplett aufgebraucht werden dürften, wofür nicht unwesentlich die hohe Inflation verantwortlich ist. "Wir sehen bereits einen Rückgang der Ausgaben bei den unteren Einkommensschichten, der sich jetzt auf die mittleren Einkommensschichten ausweitet", so der CEO des Zahlungsanbieters.
Zurückgestaute Inflation wurde durch eine Konsumwelle ausgelöst
Die hohe Inflation - aktuell auf 40-Jahrehoch von 8,6 Prozent - hat interessanterweise nicht wenig mit dem Rückstaueffekt dieser überschüssigen Ersparnisse zu tun, die auf dem Hochpunkt schätzungsweise 2,7 Billionen (2.700 Milliarden!) Dollar betrugen. In der Hochphase der Pandemie konnten die Menschen das ganze Geld nämlich zunächst nicht ausgeben, sodass 2021 mit den Maßnahme-Lockerungen eine regelrechte Konsumwelle hereinbrach und die Preise mit nach oben trieb. Die drückende Nachfrage traf dann noch auf ein durch die Corona-Beschränkungen und Lieferketten-Probleme verringertes Angebot, was ein Brandbeschleuniger für die Preisentwicklung war. Ganz aktuell verschlimmern Hamsterkäufe die Inflationsspirale noch weiter.
Die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) wird die Preiszuwächse auf jeden Fall nicht so schnell in den Griff bekommen. Für die Bürger bedeutet dieser Umstand, dass die Luft zunehmend dünn wird. Ihre Ersparnisse sind bald restlos aufgebraucht. Die Reallohn-Entwicklung war derweil schon vor dem Inflationsschock prekär, weil die Kosten für Studium, Gesundheit und Miete seit vielen Jahren stärker als die Löhne steigen – nun schießen überall die Preise nach oben und durch den gewaltigen Zinsanstieg steigen zusätzlich auch noch die Kosten für den Schuldendienst.
Umfragen zufolge können schon in guten Zeiten grob 40 Prozent der erwachsenen Amerikaner keine unerwarteten Ausgaben in Höhe von 500 Dollar bezahlen, ohne Vermögenswerte verkaufen zu müssen oder einen Kredit aufzunehmen. Die Regierung hat jüngst die Zahlungen für Lebensmittelkarten, von denen rund 40 Millionen Amerikaner abhängig sind, massiv angehoben. Präsident Biden kündigte zudem an, dass ärmere Bürger kostenlosen Internetzugang erhalten werden. Aktuell plant man sogar Schuldennachlässe in Höhe von 10.000 Dollar auf einen Großteil der Studienkredite. Dass überhaupt solche Maßnahmen in Betracht gezogen werden, ist ein klares Anzeichen für eine voranschreitende Verarmung der Bevölkerung.
Ob weitere – eventuell viel umfangreichere – fiskalische Maßnahmen folgen werden? Möglich ist das, auch wenn dafür der geplante Rekordhaushalt von Green-Deal-Infrastrukturinvestitionen in Richtung Konsum-Unterstützungen für die privaten Haushalte angepasst werden müsste. Ein neuer „Stimulus-Check“ dürfte hingegen nur noch eine Frage der Zeit sein – auch wenn Gegenstimmen nicht zu Unrecht vor einem weiteren Befeuern der Inflation warnen. Bei der jetzt schon prekären Lage der Konsumenten das neueste Regierungs-Geschenk sämtliche bisherigen Dimensionen sprengen (in der Vergangenheit betrug die Größenordnung 1.000 Dollar pro Scheck).
Die finanzielle Situation der Verbraucher ist für die US-Wirtschaft von entscheidender Bedeutung, weil Konsumausgaben circa 70 Prozent des BIP ausmachen. Aufgrund mangelnder verfügbarer Einkommen scheint der Konsum jetzt wieder traditionell mit Schulden finanziert zu werden. Die Verbraucherkredite legten per März massiv um 52,43 Milliarden Dollar nach zuvor 37,7 Milliarden zu. Es handelte sich um einen Rekord-Anstieg in dieser Datenreihe.
Bloomberg berichtet, dass allein im ersten Quartal 2022 537 Millionen neue Kreditkarten-Konten eröffnet wurden. Die Schulden durch Kreditkarten und Überziehungskredite stiegen in den letzten drei Monaten so schnell wie noch nie, und zwar um circa 60 Milliarden Dollar auf 1,1 Billionen Dollar. Anfang 2021 waren es noch 975 Milliarden. Konsumaufschub wegen Covid-Maßnahmen und großzügige staatliche Stimulus-Checks hatten zwischenzeitlich sogar zu einem Schuldenabbau geführt. Sollten die Verbraucher-Schulden vom ohnehin schon recht hohen Niveau bis Jahresende ein neues Allzeithoch Richtung 1,3 Billionen Dollar oder höher erklimmen, sollten aber endgültig alle Alarmglocken läuten! Einen ähnlichen Verlauf hat es nämlich zuletzt vor der Finanzkrise 2008 gegeben.
Zumal sich die Zinsen auf Kreditkarten-Schulden auf happigen 16 Prozent am unteren Ende bis hin zu 27 Prozent am oberen Ende belaufen und im Zuge von Zinswende und grassierender Inflation bald sogar noch höher ausfallen dürften. Wenn die breite Masse innerhalb weniger Monate hunderte Milliarden Dollar zu solch monströsen Zinssätzen aufnehmen würde, dann wäre das ein Zeichen, dass wirtschaftlich so einiges im Argen liegt. Noch ist eine solche Entwicklung nicht abzusehen. Bedenklich ist allerdings, was manche US-Experten vermuten: Demzufolge sei ein Großteil der neuen Kreditkarten-Ausgaben der vergangenen Monate für Güter des täglichen Bedarfs bestimmt – gerade Lebensmittel sollen in wenigen Monaten teils doppelt so teuer geworden sein. Zudem drücken die Benzinkosten enorm auf das Budget der Auto-freundlichen Amerikaner. Und das alles im Kontext einer laut Zentralbank noch positiven Lage am Arbeitsmarkt, die sich in einer möglichen Rezession rapide verschlechtern würde.
Die Aufholeffekte der Coronakrise neigen sich dem Ende zu. Es ist fraglich, inwieweit schuldenfinanzierte Ausgaben den Konsum dann noch befeuern können. Eher ist zu erwarten, dass die Konsumausgaben deutlich sinken, was für die Zukunft der US-Wirtschaft höchst bedenklich wäre. Mehr als acht von zehn Verbrauchern planen, in den nächsten drei bis sechs Monaten weniger einzukaufen – das ergab eine aktuelle Umfrage des Marktforschungsunternehmens NPD Group.
In den USA droht eine längere Rezession
Immer mehr Stimmen warnen vor einem drastischen Wirtschaftsabschwung in den USA. Die Großbank J.P. Morgan sieht sogar einen „Finanzsturm“ kommen. Die US-Konjunktur befindet sich bereits jetzt schon in gewissen Schwierigkeiten. Im ersten Quartal 2022 sank das reale BIP im Jahresvergleich um 1,4 Prozent. Das ist nicht verwunderlich bei einer offiziellen Inflation von 8,6 Prozent (inoffiziell über 15 Prozent) in einem zunehmend stagflationären Umfeld (Stagflation: niedriges oder Nullwachstum, hohe Inflationsraten), in welchem das Einkommen der Konsumenten nicht mit den Preissteigerungen mithalten kann. J.P. Morgan sieht im Gegensatz zur Fed keine in Kürze nachlassende Inflationsdynamik und rechnet im Sommer mit Preissteigerungen von 9,2 Prozent.
Die Gründe für die Konjunkturabkühlung sind vielfältig und gehen weit über die außer Kontrolle geratene Inflation und die prekäre Situation bei den privaten Haushalten hinaus. Denn auch die Unternehmen haben es aktuell nicht leicht. Exorbitante Spritkosten, hohe Rohstoffpreise und Knappheiten bei Importwaren, Kosteninflation und folglich Margendruck, perspektivisch erhöhte Zins- und Lohnkosten, zurückhaltende Kreditvergabe der Banken. Außerdem melden nicht wenige US-Konzerne, dass sie zu viel Personal eingestellt hätten und entsprechend jetzt Massenentlassungen vor der Türe stehen. Betroffen sein dürfte überwiegend der Niedriglohnsektor.
In diesem Kontext dürften die Gewinn- und Margen-Schätzungen an der Wall Street deutlich zu hoch sein. Gewinnwarnungen und schlechte Aussichten haben bisher vorwiegend die Aktienkurse von werbeabhängigen Social-Media-Konzernen und Einzelhandels-Giganten wie „Walmart“ und „Target Corporation“ unter die Räder gebracht, was zweifellos Signalcharakter hat.
Stichwort Target: Die Lagerbestände des Discounters stiegen im letzten Quartal um satte 43 Prozent an. Auch beim größten Einzelhändler der Welt Walmart wurden mit plus 35 Prozent monströse Lagerbestände angehäuft. Eine Abkühlung der Konsumausgaben haben die US-Einzelhändler scheinbar nicht kommen sehen. Jetzt gilt es, die Altbestände vor dem Herbst mit massenhaft Rabatten loszuwerden. Für die Konsumenten heißt das immerhin, dass trotz grassierender Inflation in manchen Produkt-Segmenten erst mal mit attraktiveren Preisen zu rechnen ist. Die Einzelhandelsumsätze, zuletzt ohnehin enttäuschend, dürften mit der Inflation dann nicht mehr Schritt halten können.
Indes signalisieren Frühindikatoren (Einkaufsmanagerindex, Werbeumsätze, Stimmungslage der Investoren) ein weiter schwaches Wachstum in den kommenden Monaten. Das von der Universität Michigan ermittelte Verbrauchervertrauen ist noch niedriger als auf dem Höhepunkt der Finanzkrise 2008. Wenig überraschend ist die Inflation tief in den Köpfen der Bürger verankert und entsprechend hoch sind die Inflationserwartungen. Aus der Umfrage ging auch hervor, dass die Ausgaben amerikanischen Verbraucher für langlebige Wirtschaftsgüter zuletzt auf das niedrigste Niveau seit Beginn der Erhebungen im Jahr 1978 gesunken sind. Im letzten Monat ist die Importnachfrage um grob 36 Prozent eingebrochen, wie das Fachportal „Freightwaves“ mithilfe des Volumens von Schiffscontainern aufzeigt.
Historisch betrachtet ließ sich ein Wirtschaftsabschwung in den USA kaum mehr verhindern, sobald die Inflationsrate die Marke von 5 Prozent überschritt. Im Zuge der jüngsten Anhebung des Leitzinses um 75 Basispunkte ließ Fed-Präsident Jerome Powell durchblicken, dass eine gewisse Abkühlung von Konjunktur und Arbeitsmarkt sogar im Sinne der Zentralbank wäre – eine geringere Nachfrage soll die Inflation dämpfen. Vor dem Hintergrund einer im ersten Quartal schrumpfenden Wirtschaft ist das eine zweifelhafte Betrachtungsweise, zumal bei einem zeitgleich stark sinkenden Output die Inflation sogar noch an Dynamik gewinnen könnte.
Die Federal Reserve scheint die Zeichen der Zeit nicht zu erkennen. Die US-Wirtschaft könnte weiter schrumpfen und in eine schwere längere Rezession rutschen. Im ohnehin schon labilen (welt-)wirtschaftlichen Umfeld wäre das eine fatale Entwicklung.