Weltwirtschaft

Washington darf künftig US-Unternehmen China-Geschäft verbieten - was bedeutet das für Europa?

Lesezeit: 3 min
14.06.2022 09:00  Aktualisiert: 14.06.2022 09:51
Die seit Jahren von Washington betriebene Abkopplung der USA von China nimmt Fahrt auf. Die US-Regierung darf amerikanische Firmen künftig vom chinesischen Markt fernhalten. Für Europa stellen sich ernste Fragen.
Washington darf künftig US-Unternehmen China-Geschäft verbieten - was bedeutet das für Europa?
Passanten vor einem Apple-Geschäft in Peking. (Foto: dpa)
Foto: Andy Wong

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Die US-Regierung soll künftig Milliarden-Investitionen der heimischen Wirtschaft in China verhindern können. Auf ein entsprechendes Gesetz einigten sich am Montag Abgeordnete der Regierung und der Opposition. Die überarbeitete Novelle werde von beiden Kongress-Kammern unterstützt und berücksichtige Bedenken der Industrie, erklärten die Senatoren Bob Casey und John Cornyn sowie die Abgeordneten Rosa DeLauro, Bill Pascrell, Jr., Michael McCaul, Brian Fitzpatrick und Victoria Spartz.

Hintergrund: US-Feldzug gegen China

Die Maßnahme ist Teil eines Gesetzesentwurfs, der Hilfen in Höhe 52 Milliarden Dollar für Chip-Hersteller für die Ausweitung ihrer Geschäftstätigkeit vorsieht. Eingebettet sind Unterfangen wie dieses in den seit 2018 laufenden hybriden Feldzug des US-Establishments gegen China. Dieser wurde in Form von Handelskriegen von der Trump-Administration lanciert und seitdem auch von der Biden-Regierung fortgeführt.

Der Feldzug ist hybride, weil er nicht nur auf dem Feld der Wirtschaft, sondern auch in den Bereichen Finanzsystem, Innovation, Diplomatie, Militär und Propaganda geführt wird. Für Europa stellt sich die Frage, wie weit man aus Bündnistreue mit den Amerikanern gegen China mitzieht, obwohl die Konfrontationsstrategie sehr schädlich für die europäische Wirtschaft ist.

Einmal mehr beschreibt der Ökonom Folker Hellmeyer die wirtschaftliche Selbstschädigung Europas mit klaren Worten. In seinem aktuellen Report schreibt Hellmeyer:

Können wir uns einen Handelskonflikt mit China leisten?

In den letzten Wochen wurden nassforsche Forderungen in Berlin seitens Vertretern insbesondere der Partei mit naturnaher Farbe laut, die gegenüber China eine verschärfte Gangart einforderten, da es sich bei China um ein autoritäres System handele. Diesen Protagonisten ist entfallen, dass sie gleichzeitig den Schulterschluss mit noch autoritäreren Regierungsformen im arabischen Raum forcieren, um ausreichend fossile Energieträger nach Deutschland zu organisieren.

Das Ganze passiert vor dem Hintergrund einer vollständigen Fehleinschätzung des Sanktionsregimes gegen Russland, das uns stärker erschüttert als Russland. Faktenchecks sind hilfreich. Die deutschen Importe aus China sind zuletzt stark gestiegen. Sie wuchsen im April um 52,8% im Jahresvergleich auf 16,7 Milliarden Euro. Die Exporte nach China gingen um 1,6% auf 8,3 Milliarden Euro zurück. Kommentar: Wer braucht wen mehr?

So weit zur quantitativen Betrachtung. Kommen wir zu einer qualitativen Bewertung. Der Anstieg der Importe aus China ist besonders auf die höhere Nachfrage nach chemischen Erzeugnissen zurückzuführen. Diese Einfuhren nahmen um 469,2% auf 4,4 Milliarden Euro zu. Die Importe von Datenverarbeitungsgeräten legten um 20,4% auf 4,4 Milliarden Euro zu. Elektrische Ausrüstungen verzeichneten einen Anstieg um 27,1% auf 1,9 Milliarden Euro.

Kommentar: Durch unsere Energiepolitik wird der deutsche Chemiestandort im Mark erschüttert (Versorgungssicherheit, Preise). Wenn hier nicht produziert wird, müssen wir anderswo einkaufen (Folgen für Handels- und Leistungsbilanz. Wir müssen dort einkaufen, wo es die Produkte gibt. Gleiches gilt für den IT-Sektor (danke unter anderem für die arrogante Ignoranz des geforderten IT-Airbus seit 2015!)

(...)

Wir können ja auch etwas, angeblich Export.

Die deutschen Exporte brachen im April wegen der westlichen Sanktionen weiter ein. Ausgeführt wurden Waren im Wert von 828,2 Millionen Euro. Das waren im Jahresvergleich 64,1% weniger. Rückgänge verzeichneten die Exporte von Maschinen (-57,5%). Das Minus bei chemischen Erzeugnissen lag bei 53,1%.

Kommentar:

Die westliche Geopolitik wirkt auf die deutsche Außenpolitik und gefährdet den deutschen Wirtschaftsstandort wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik seit 1949. An der Stabilität der Wirtschaft hängt jedoch die Stabilität der Gesellschaft und der Politik. Ich verweise auf die Folgen von 1929/1932 im Jahre 1933. „Food for thought!“

EU-Handelskammer warnt vor Entkopplung von China

In der Diskussion über eine Abhängigkeit Europas von China warnt die EU-Handelskammer in Peking vor einer Entkoppelung. „Wer sich aus dem chinesischen Markt herauszieht, schadet sich selbst“, sagte Kammerpräsident Jörg Wuttke am vergangenen Mittwoch bei der Vorlage eines Berichts zur Rolle europäischer Unternehmen in Chinas Innovationssystem. Eine Entkoppelung sei nachteilig für die Entwicklung von Produkten. „Wenn wir uns von China absetzen, verlieren wir Geld, um den Betrieb zu Hause aufrechtzuerhalten.“

Wuttke reagierte damit auf die Debatte über eine zu große Abhängigkeit Europas von Russland, die nach dem russischen Angriff auf die Ukraine einsetzte und durch das Betreiben medialer Kommentatoren zuletzt auch auf China ausgeweitet hat. „Mit Russland haben wir eine Energie-Pipeline, aber mit China haben wir eine Wissens-Pipeline und eine Kapitalfluss-Pipeline“, sagte Wuttke. Indem europäische Unternehmen in China tätig und innovativ seien, unterstützten sie nicht nur China, sondern auch sich selbst.

In dem Bericht heißt es, dass die befragten Unternehmen großen Wert für sich darin sähen, Forschung und Entwicklung in China zu betreiben und diese auch ausweiten wollten. Sie wollten die Aktivitäten weiter in ihre globalen Strategien einbinden, um den Talentpool in China, die Geschwindigkeit der Kommerzialisierung neuer Technologien und das Potenzial auszunutzen, europäische Hardware mit chinesischer Software-Expertise zu verknüpfen.

Die Erhebung wurde zusammen mit dem Berliner China-Institut Merics und vor dem Ukraine-Krieg erstellt. In der Studie wird hervorgehoben, dass eine Beteiligung an Chinas Innovationssystem für viele die richtige Strategie sei, aber auch nicht für alle. Während sich Unternehmen aus Branchen wie Auto, Chemie und Maschinenbau voll engagierten, hielten sich Firmen etwa aus der Informations- und Kommunikationstechnologie wegen mangelnder Gelegenheiten und staatlichem Druck in China zurück.


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