Weltwirtschaft

Umbruch im Welthandel: Russland ist jetzt Indiens zweitgrößter Öllieferant

Lesezeit: 3 min
15.06.2022 08:00
Indien hat seine Ölimporte aus Russland extrem ausgeweitet. Die Umstellung zeigt exemplarisch den im Rekordtempo sich vollziehenden Umbruch im Welthandel.
Umbruch im Welthandel: Russland ist jetzt Indiens zweitgrößter Öllieferant
Rohölraffinerien im indischen Bundesstaat Gujarat. Russland ist für Indien der zweitgrößte Öllieferant. (Foto: dpa/Reliance Industries Limited in Jamnagar)
Foto: Uncredited

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Zwar bringt der eskalierende Konflikt mit dem Westen auch für die russische Wirtschaft durchaus erhebliche Probleme mit sich. So fielen etwa die Einnahmen aus der Mehrwertsteuer im April um 54 Prozent niedriger aus als ein Jahr zuvor aus. Doch wirtschaftliche Probleme zeigen sich derzeit in fast allen Staate, und im großen Ganzen prallen die Sanktionen des Westens weitgehend an Russland ab.

Wie gut Russland die Sanktionen wegsteckt, zeigt sich ganz deutlich darin, dass der Rubel nach einem vorübergehenden Einbruch nun sogar wieder etwas stärker handelt als vor dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs am 24. Februar, obwohl die russische Notenbank ihre Maßnahmen zur Stützung der eigenen Währung längst wieder eingestellt hat.

Ein entscheidender Grund dafür sind die weiterhin sprudelnden Einnahmen aus den Energieexporten. Sogar das Teilembargo der Europäischen Union, wohin in der Vergangenheit etwa die Hälfte der russischen Ölexporte flossen, schadet Russland kaum. Denn zum einen profitiert das Land vom massiv gestiegenen Ölpreis, und zum anderen stehen ihm eine ganze Reihe bewährter Schmuggelrouten zur Verfügung.

Russland ist jetzt Indiens zweitgrößter Öl-Lieferant

Einen Ersatz für den zu großen Teilen weggebrochenen europäischen Markt bietet Indien. Im Mai erhielten die indischen Raffinerien pro Tag rund 819.000 Barrel russisches Öl, wie die Hindustan Times berichtet. Dies ist etwa dreimal so viel wie im April, als Indien 277.000 russisches Öl importierte. Zudem ist es der höchste jemals verzeichnete Wert für einen Monat.

Damit ist Russland im Mai zum zweitgrößten indischen Öllieferanten aufgestiegen. Es hat Saudi-Arabien auf den dritten Platz verdrängt, liegt aber immer noch hinter dem Irak. Der Grund für die starken Ölimporte Indiens ist der Preis. Denn da russischen Öl in großen Teilen des Westens nicht mehr direkt importiert wird, bietet Moskau den Rohstoff derzeit billiger an als andere Lieferanten.

Von dem Handel profitieren beide Seiten. Für die indischen Raffinerien ist russisches Öl trotz der vergleichsweise hohen Frachtkosten immer noch günstiger als saudisches Öl. Und auch wenn die Russen Indien rekordhohe Rabatte gewähren müssen, so erhalten wegen des stark gestiegenen Ölpreises derzeit immer noch deutlich mehr Geld für ihr Öl als vor dem Beginn des Ukraine-Kriegs.

Russische Ölsorten machten im Mai etwa 16,5 Prozent der gesamten indischen Öleinfuhren aus und trugen dazu bei, dass der Anteil des Öls aus den Staaten der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) auf etwa 20,5 Prozent angestiegen ist. Zugleich ging der Anteil des Öls aus dem Nahen Osten auf etwa 59,5 Prozent zurückging. Der Anteil afrikanischen Öls stieg von 5,9 Prozent im April auf 11,5 Prozent im Mai.

"Wenn man die Produktion von Diesel und Düsentreibstoff ankurbeln will, braucht man nigerianische und angolanische Sorten. China hat die Einfuhren angolanischer Qualitäten wegen der Schließung von Covid reduziert, sodass ein Teil dieser Fässer nach Europa und ein anderer Teil nach Indien geht", sagte Ehsan Ul Haq, Analyst bei Refinitiv.

Indiens Ölimporte beliefen sich im Mai auf insgesamt 4,98 Millionen Barrel pro Tag (den höchsten Wert seit Dezember 2020), weil die staatlichen Raffinerien ihre Produktion erhöhten, um die wachsende lokale Nachfrage zu decken, und die privaten Raffinerien sich auf die Gewinne aus den Exporten konzentrierten.

Verlagerung des Öl-Handels von West nach Ost

Russland ersetzt die nun weggebrochenen Abnehmer in Europa und in den USA durch jene Staaten, die sich den westlichen Sanktionen verweigern, allen voran China und Indien, wo zusammen mehr als 30 Prozent der Weltbevölkerung leben. Zudem ist China der größte Standort für die herstellende Industrie der Welt.

In der Folge dieser Verlagerung wird die Rolle des Dollars im Öl-Handel zurückgehen, was die Stellung des Dollars als Weltreservewährung weiter untergräbt. Die Sanktionen des Westens haben letztlich dazu geführt, dass Russland mehr Einnahmen für seine Rohstoffe erhält und dass China und Indien weniger Geld für ihr Öl zahlen als die westlichen Staaten, wo die Energiepreise in die Höhe schießen.

Innerhalb weniger Wochen hat sich eine umfassende globale Neuordnung der Handelsströme vollzogen, nämlich eine klare Spaltung in Ost und West. Rohstoffe spielen dabei eine entscheidende Rolle wie Öl und Gas, Getreide und Düngemitteln oder Edelgasen, deren Export Russland kürzlich stark eingeschränkt hat, um "die unterbrochenen Ketten neu zu ordnen und neue Ketten aufzubauen".


Mehr zum Thema:  

DWN
Politik
Politik SPD-Kanzlerkandidat steht fest: Pistorius zieht zurück und ebnet Weg für Scholz
21.11.2024

Nach intensiven Diskussionen innerhalb der SPD hat Verteidigungsminister Boris Pistorius Olaf Scholz den Weg für die erneute...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Prognose: Kryptowährung mit Rekordhoch kurz vor 100.000 Dollar - wie geht's weiter?
21.11.2024

Neues Bitcoin-Rekordhoch am Mittwoch - und am Donnerstag hat die wichtigste Kryptowährung direkt nachgelegt. Seit dem Sieg von Donald...

DWN
Panorama
Panorama Merkel-Buch „Freiheit“: Wie die Ex-Kanzlerin ihre politischen Memoiren schönschreibt
21.11.2024

Biden geht, Trump kommt! Wer auf Scholz folgt, ist zwar noch unklar. Dafür steht das Polit-Comeback des Jahres auf der Tagesordnung: Ab...

DWN
Politik
Politik Solidaritätszuschlag: Kippt das Bundesverfassungsgericht die „Reichensteuer“? Unternehmen könnten Milliarden sparen!
21.11.2024

Den umstrittenen Solidaritätszuschlag müssen seit 2021 immer noch Besserverdiener und Unternehmen zahlen. Ob das verfassungswidrig ist,...

DWN
Finanzen
Finanzen Bundesbank: Konjunkturflaute, Handelskonflikte, leere Büroimmobilien - Banken stehen vor akuten Herausforderungen
21.11.2024

Eigentlich stehen Deutschlands Finanzinstitute in Summe noch ganz gut da – so das Fazit der Bundesbank. Doch der Blick nach vorn ist...

DWN
Finanzen
Finanzen Von Dividenden leben? So erzielen Sie ein passives Einkommen an der Börse
21.11.2024

Dividenden-ETFs schütten jedes Jahr drei bis vier Prozent der angelegten Summe aus. Wäre das auch was für Ihre Anlagestrategie?...

DWN
Politik
Politik Weltstrafgericht erlässt auch Haftbefehle gegen Netanjahu und Galant - wegen Kriegsverbrechen im Gaza-Streifen
21.11.2024

Der Internationale Strafgerichtshof hat Haftbefehle gegen Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, den früheren...

DWN
Politik
Politik US-Staatsapparat: Tech-Milliardär Elon Musk setzt auf Technologie statt Personal - Unterstützung bekommt er von Trump
21.11.2024

Elon Musk soll dem künftigen US-Präsidenten Trump dabei helfen, Behördenausgaben zu kürzen und Bürokratie abzubauen. Er gibt einen...