Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat bei der Parlamentswahl am Sonntag eine schwere Schlappe erlitten. Das Bündnis des erst vor acht Wochen wiedergewählten Präsidenten verlor seine absolute Mehrheit in der Nationalversammlung, trotz seiner Warnungen im Vorhinein. Eine solche Situation hat es in Frankreich zuletzt 1988 gegeben. Nun wird es für den 44-Jährigen, der sich auch eine stärkere Integration Europas auf die Fahnen geschrieben hat, künftig schwerer, seine Vorhaben umzusetzen. Nun muss Macrons Mitte-Allianz "Ensemble" entscheiden, wie es weitergeht. Dazu gibt es verschiedene Szenarien. Ein Überblick über die Optionen.
Koalieren
Für eine absolute Mehrheit im französischen Parlament braucht eine Fraktion 289 Sitze. Wie das Innenministerium am Montag mitteilte, kommt Macrons Bündnis auf 245 Sitze. Obwohl sie zwar weiter stärkste Kraft ist, muss sich Macrons Allianz - die 105 Mandaten eingebüßt hat - mit erstarktenKontrahentenauseinandersetzen: Das Links-Bündnis "Nupes" um Jean-Luc Melenchon kommt im neuen Parlament auf 131 Sitze, die extreme Rechte um Marine Le Pen auf 89.
Die Konservativen könnten mit 61 Abgeordneten zum Königsmacher werden. Sie sind die einzige traditionelle Partei, mit der Macron zu einer Mehrheit kommen könnte. Sie dürften aber einen hohen Preis für eine Zusammenarbeit fordern. Dazu könnte der Posten des Ministerpräsidenten gehören. Führende Vertreter der "Les Republicains" schienen am Sonntagabend jedoch eine Koalition abzulehnen. Ersten Äußerungen zufolge will die Partei der früheren Präsidenten Nicolas Sarkozy and Jacques Chirac womöglich in der Opposition bleiben, sich aber "konstruktiv" verhalten.
Von Gesetz zu Gesetz hangeln
Macron könnte auch auf eine Minderheitsregierung setzen und von Fall zu Fall Gesetze mit wechselnden Partnern aushandeln. Eine solche Konstellation zwingt aber zu Kompromissen und könnte es dem Präsidenten deutlich erschweren, Wahlversprechen umzusetzen. Dazu gehört Macrons umstrittene Rentenreform, mit einer Anhebung des Renteneintrittsalters. In den 1980er Jahren konnte der sozialdemokratische Präsident Francois Mitterand allerdings Sozialreformen mit einer Minderheit im Parlament und mit der Unterstützung andere Parteien durchsetzen.
Politisches Patt oder sogar Neuwahlen hinnehmen
Das Wahlergebnis könnte aber auch ein politisches Patt bis hin zu Neuwahlen nach sich ziehen. Denn nach dem Erfolg sowohl für das Links-Bündnis von Melenchon als auch die extreme Rechte von Le Pen muss Macron mit starker Opposition und einer Blockadepolitik rechnen. Da das Links-Bündnis "Nupes" zur größten Oppositionskraft wurde, steht ihm nach den Regeln des Parlaments der Vorsitz des mächtigen Finanzausschusses zu.
Dieser kann von der von der Regierung Zugang zu Fiskalinformationen verlangen und Haushaltsgesetze vorübergehend blockieren. Von Le Pen - die ihre Fraktion auf 98 Abgeordnete mehr als verzehnfachen konnte - wird ebenfalls starker Widerstand erwartet. Spitzenvertreter ihrer Partei haben bereits angekündigt, Untersuchungsausschüsse anzustreben und Gesetze vor dem Verfassungsgericht anzufechten. Ein solches Vorgehen könnte einer Koalition- oder Minderheitsregierung schwer zusetzen.
Als Präsident hat Macron auch das Recht, Neuwahlen auszurufen. Ob die Franzosen ihm dann aber zu einer absoluten Mehrheit verhelfen würden, ist unsicher. 1997 fiel der damalige Präsident Jacques Chirac damit auf die Nase. Der konservative Politiker setzte siegessicher eine vorgezogene Wahl an, verlor aber und war zu einer Zusammenarbeit mit den Sozialisten gezwungen, die stattdessen die Mehrheit errungen hatten. Dadurch büßte Chirac seine Macht faktisch ein.