Ende Juni haben wir berichtet, dass namhafte Spekulanten darauf massiv, dass die japanische Notenbank einknicken und die Zinsen anheben wird. Denn die Landeswährung ist dieses Jahr massiv zum Dollar gesunken und die Bank of Japan scheint gar keine andere Wahl mehr zu haben, als den anderen großen Zentralbanken zu folgen und auch für Japan ein Ende der lockeren Geldpolitik einzuleiten. Doch eine Zinsanhebung droht nicht nur die japanische Wirtschaft in die Rezession zu stürzen, sondern hätte auch brutale Folgen für die globale Finanzwelt.
Die japanische Landeswährung handelt aktuell bei 136 Yen je Dollar. Das ist der schwächste Kurs seit 24 Jahren. Schon im Juni sagte Haruhiko Kuroda, der Gouverneur der Bank of Japan, nach Gesprächen mit Premierminister Fumio Kishida, dass die jüngste rasche Beschleunigung des Yen-Verfalls "nicht wünschenswert" sei. Damit änderte der Zentralbanker bereits seinen Ton, nachdem er bis dahin die Ansicht vertreten hatte, dass ein schwächerer Yen vor allem für die Exportwirtschaft von Vorteil sein könnte.
Zuletzt ist in Japans zunehmend heftig über die abwertende Währung gestritten worden. Im Mittelpunkt der Debatte steht die Frage, ob Kurodas jahrzehntelange ultralockere Geldpolitik dem Druck der weltweiten Inflation standhalten kann. Da die Federal Reserve in den USA und andere große Notenbanken bereits eine Zinswende eingeleitet haben, hat sich die Zinsdifferenz zwischen Japan und den USA vergrößert und Anleger haben in der Folge den Yen auf historische Tiefststände sinken lassen.
Inflation beginnt, Japaner nervös zu machen
Wenn die Bank of Japan an ihrem Kurs festhält, während die US-Notenbank die Zinsen weiter anhebt, könnte die Renditedivergenz zu einem weiteren Einbruch des Yen führen. Wenn die japanischen Notenbank jedoch ihre Geldpolitik straff oder wenn eine weltweite Rezession die Federal Reserve (und die Europäische Zentralbank) dazu veranlasst, die Zinsen doch wieder abzusenken, und eine Flucht in sichere Häfen auslöst, so könnte der Yen wieder abrupt gegenüber dem Dollar aufwerten (ähnlich wie während des Corona-Crash im März 2020).
"Da das Risiko einer US-Rezession steigt, nimmt auch das Risiko einer mittel- bis langfristigen Umkehr zu einem starken Yen zu", zitiert die Financial Times Yujiro Goto, einen Devisenanalysten bei dem japanischen Finanzunternehmen Nomura. Die Kursentwicklung des Yen in der Vergangenheit habe gezeigt, dass die japanische Währungen während einer Stagflation gegenüber dem Dollar tendenziell abwertet, während sie in einer Rezession tendenziell aufwertet.
Zwar sind auch in Japan die Öl- und Gaspreise in diesem Jahr in die Höhe geschnellt. Doch während die Inflationsraten in den USA und in der Eurozone auf über 8 Prozent gestiegen sind, lag die Inflation in Japan im Mai bei nur 2,5 Prozent, also nur geringfügig über dem Ziel der Zentralbank von 2 Prozent. Der Grund dafür sind die Löhne. Während das Ende der Pandemie in den USA und in Europa zu einem erheblichen Lohndruck geführt hat, so haben die höheren Rohstoffpreise in Japan bisher so gut wie keine Auswirkungen auf die Löhne.
Kuroda bleiben noch neun Monate bis zu seinem Rücktritt als Notenbankchef. Bis dahin wird er zwei widersprüchliche Ziele verfolgen. Einerseits will er die Negativzinsen beibehalten und die Anleiherenditen nahe null halten, um eine Rezession zu verhindern. Andererseits will er die Verbraucher an steigende Preise gewöhnen, um die Inflation nicht wieder unter 2 Prozent fallen zu lassen. Anfang Juni hatte Kuroda mit Andeutungen für Empörung gesorgt, die Japaner würden toleranter gegenüber der Inflation. Schließlich musste sich entschuldigen.
Die Kombination aus steigenden Preisen und einer kollabierenden Währung hat das Portemonnaie der japanischen Verbraucher belastet. Denn alles von Energie bis hin zu Lebensmitteln hat sich deutlich verteuert, wenn auch nicht so stark wie in den USA und in Europa. Allerdings haben die Arbeitnehmer - niedergeschlagen durch jahrzehntelange Lohnstagnation - den Kampf um höhere Löhne weitgehend aufgegeben. Stattdessen konsumieren sie weniger, und diese schwache Nachfrage hält die Verbraucherpreise weiterhin relativ niedrig.
Staatsanleihen: Das wichtigste Mittel der Geldpolitik
Im Jahr 2016 und führte die japanische Notenbank eine Obergrenze für die Renditen zehnjähriger Staatsanleihen bei "etwa 0 Prozent" ein, was auch als Renditekurvensteuerung bezeichnet wird. Immer wenn die Renditen über das Ziel hinaus zu steigen drohten, kaufte die Bank Staatsanleihen, um sie wieder nach unten zu drücken. Bereits in den letzten Jahren hat die Notenbank ihre Vorgaben etwas gelockert, sodass die Renditen jetzt bis zu 0,25 Prozent steigen konnten.
Eine ganze Reihe namhafter Anleger geht nun aber Short-Positionen auf japanische Staatsanleihen ein und wettet darauf, dass die Notenbank gezwungen sein wird, ihr Ziel aufzugeben und die Renditen steigen zu lassen. Um ihr Renditeziel zu verteidigen, musste die Bank of Japan im Juni Staatsanleihen im Wert von 20 Billionen Yen kaufen. Das war fast doppelt so viel wie die 11,1 Billionen Yen an Staatsanleihen, die sie auf dem bisherigen Höhepunkt der Anleihekäufe im November 2002 kaufte.
Nach Ansicht von Eiji Maeda, ehemaliger stellvertretender Gouverneur der Bank of Japan und heute Präsident des Think-Tanks Chiba-Bank Research Institute, sollte die Zentralbank ihre Politik der negativen Zinsen und der Kontrolle der Renditekurve anpassen. "Die Bindung an zehnjährige Anleihen ist in einem globalen Umfeld niedriger Zinsen und Inflation in Ordnung, aber ansonsten führt sie zu verschiedenen Verzerrungen auf dem Markt, und das spiegelt sich jetzt im Wechselkurs wider."
Barclays prognostiziert, dass die Bank of Japan ab September nicht mehr die Renditen zehnjähriger Anleihen mit einem Toleranzband beschränken wird, sondern stattdessen die Renditen fünfjährige Anleihen. Andere Spekulanten darauf wetten, dass die Notenbank das Toleranzband für zehnjährige Anleihen auf über 0,25 Prozent ausweiten wird. Goldman Sachs hingegen hält beide Schritte für unwahrscheinlich und sieht die Glaubwürdigkeit der Notenbank gefährdet, wenn sie aufgrund des Drucks der Märkte ihre Politik ändern würde.
Japanischer Yen zwischen Absturz und Explosion
Sollte die Bank of Japan Änderungen vornehmen, wäre der Zeitpunkt entscheidend. Analysten zufolge wäre es das schlimmste Szenario, wenn der Schritt mit einer Rezession in den USA zusammenfiele. Fed-Präsident Jay Powell hat eingeräumt, dass eine Rezession "sicherlich eine Möglichkeit" ist, da die Zentralbank die steigende Inflation eindämmen wolle. Sollte eine Konjunkturabschwächung die Fed dazu veranlassen, ihren Plan zur Anhebung der Zinssätze aufzugeben, so könnte sich die steile Abwertung des Yen schnell wieder umkehren.
Analysten von Goldman Sachs sagen, dass Hedgefonds in den USA den Markt für Yen-Derivate - vor allem Optionen - genutzt haben, um auf eine Konjunkturabkühlung oder Rezession in den USA zu wetten. Wenn die Anleger der Meinung sind, dass die US-Zinsen ihren Höhepunkt bereits erreicht haben, so gehen sie auch davon aus, dass der Dollar gegenüber dem Yen seinen Höhepunkt erreicht hat, sagt Benjamin Shatil, Devisenstratege bei JPMorgan in Tokio. Die Ungewissheit deute auf eine Phase der Volatilität.
Der Druck auf die Bank of Japan macht sich auch auf der politischen Bühne bemerkbar. Seit Kishida im Oktober letzten Jahres zum Premierminister ernannt wurde, beobachten Anleger, ob sein Wirtschaftsprogramm eine Abkehr von den "Abenomics" seines Vorgängers darstellt, der 2020 aus dem Amt ging. Shinzo Abe verfolgte die drei "Pfeile": erhöhte Staatsausgaben, lockere Geldpolitik und Strukturreformen, die allesamt einen schwächeren Yen bewirken, um die japanischen Exporte anzukurbeln.
Im vergangenen Oktober verschreckte Kishida die Märkte, als er eine "neue Form des Kapitalismus" versprach, seinen Schwerpunkt auf die Umverteilung von Einkommen legte und andeutete, auf höhere Kapitalertragssteuern zu drängen. Der frühere Goldman-Sachs-Banker Ken Shibusawa sagt, der Premierminister wolle einen integrativeren Kapitalismus schaffen, der weniger auf die Maximierung kurzfristiger wirtschaftlicher Gewinne ausgerichtet ist.
"Man druckt einfach all dieses Geld, und wohin geht es? Es geht an die Leute, die das Geld bereits haben", sagt Shibusawa, der zu den wichtigsten Mitgliedern des Gremiums gehörte, das Kishidas Wirtschaftspolitik entworfen hat. Sein Vorfahr Eiichi Shibusawa aus der Meiji-Ära wird oft als Vater des japanischen Kapitalismus bezeichnet. Über das System "Abenomics" sagt er: "Ich habe keine drei Pfeile gesehen. Ich habe eine große Panzerfaust gesehen."
Doch in den letzten Monaten machten sich Kishida und seine Berater zunehmend Sorgen darüber, wie negativ ausländischer Investoren auf die geplante Kapitalertragssteuer reagiert haben, und haben den Plan zurückgezogen. Auch der starke Einfluss des früheren Premiers Abe, der immer noch die größte Fraktion innerhalb der regierenden Liberaldemokratischen Partei anführt, könnte bei der Abkehr von der Kapitalertragssteuer eine Rolle spielen.
Das System "Abenomics" bleibt Japan erhalten
Als der Entwurf seiner Wirtschaftsagenda diesen Monat veröffentlicht wurde, betonte Kishida, dass es bei der neuen Form des Kapitalismus nicht um Umverteilung gehe, sondern um die "Umverteilung als Mittel zur Steigerung des Wachstums". Allerdings heißt es am Ende des 35-seitigen Dokuments, dass die Regierung "die drei Pfeile der kühnen Geldpolitik, der flexiblen Fiskalpolitik und der Wachstumsstrategie zur Stimulierung privater Investitionen fest beibehalten" wird, auch wenn der Begriff "Abenomics" vermieden wird.
Doch Kishida könnte in Zukunft durchaus Druck auf die Bank of Japan ausüben wird, den Absturz des Yen abzumildern. Denn die steigenden Preise untergraben bereits Kishidas Popularität. Sowohl die höheren Lebenshaltungskosten als auch der schwache Yen sind wichtige Thema im Wahlkampf für die Oberhauswahlen am 10. Juli. Gelingt es der LDP, eine Ein-Parteien-Mehrheit zu erringen, wird der Druck auf Kishida geringer, die "Abenomics" und die Politik des schwachen Yen beizubehalten.
"Es wird mehr Flexibilität in der Geldpolitik geben", sagt Tetsufumi Yamakawa, Leiter der japanischen Wirtschaftsforschung bei Barclays, und deutet an, dass sich der Weg weg von den extremen Maßnahmen der letzten Jahre nun öffnen könnte. Die Spannungen in Bezug auf die Geldpolitik werden wahrscheinlich in den Vordergrund treten, wenn Kishida im April den nächsten Gouverneur der Bank of Japan als Nachfolger von Kuroda bestimmen wird.
Ein Vorspiel zum Wettbewerb um die Nachfolge Kurodas war die genau beobachtete Ablösung des Vorstandsmitglieds Goushi Kataoka, eines aggressiven Reflationisten, der darauf drängt, dass die Notenbank ihre Politik weiter lockert, um ihr Inflationsziel von 2 Prozent schneller zu erreichen. Zum ersten Mal seit Beginn der Abenomics wählte die Regierung im März einen Nachfolger, der kein Reflationist ist, und reduzierte damit die Präsenz der Verfechter einer extrem lockeren Geldpolitik im neunköpfigen Vorstand der Notenbank.
Wer wird Nachfolger von Kuroda?
Beobachter glauben, dass es bisher nur zwei Kandidaten für die Nachfolge von Kuroda gibt, der seit 2013 Gouverneur ist: Masayoshi Amamiya, der stellvertretende Gouverneur der Notenbank, der als ihr oberster geldpolitischer Stratege gilt, und Hiroshi Nakaso, ebenfalls ein ehemaliger stellvertretender Gouverneur mit engen Verbindungen zu internationalen Zentralbankkreisen. Beide sind Kandidaten aus den Reihen der Bank of Japan, die Kurodas Amtsführung bereits eng unterstützt haben.
Allerdings wären die beiden Insider auch weniger auf eine extrem lockere Geldpolitik festgelegt als Kuroda. Zudem werden sie mit der gewaltigen Herausforderung konfrontiert sein, die zunehmenden negativen Auswirkungen der extrem lockeren Geldpolitik auf die Finanzmärkte anzugehen und einen akzeptablen Ausstieg aus der jahrzehntelangen Lockerung zu finden. "Die Person, die ernannt wird, sollte als Held dafür gekrönt werden, dass sie diesen Job annimmt", sagt Goldman-Sachs-Banker Shibusawa.
Zwar gehen viele Analysten davon aus, dass beide Kandidaten ein Ende der Politik zur Steuerung der Renditekurve und der Negativzinsen in Betracht ziehen werden. Aber nur wenige von ihnen erwarten, dass die Bank of Japan in naher Zukunft eine deutliche Straffung vornehmen wird. Die Zentralbank ist bestrebt, jene Fehler zu vermeiden, die sie im August 2000 und im Juli 2006 gemacht hat, als sie die Zinssätze anhob, sie dann aber wieder senken musste, als die Wirtschaft in eine Rezession abrutschte.