Politik

Ende einer Freundschaft: Die Entfremdung Kasachstans von Russland

Lange waren die beiden Staaten Kasachstan und Russland eng verbündet. Jetzt zeigen sich deutliche Risse in der Partnerschaft. Das hat große Einwirkungen auf den Öl-Transit durch beide Länder.
08.07.2022 08:32
Aktualisiert: 08.07.2022 08:32
Lesezeit: 3 min

Kasachstan galt lange neben Belarus als der engste Partner Russlands. Aber seit wenigen Tagen zeigt sich zwischen den beiden ehemaligen Sowjetrepubliken ein Entfremdungseffekt: Erst erhob Russlands Präsident Wladimir Putin auf dem Wirtschaftsforum in St. Petersburg mehr oder weniger ungeschminkt russischen Anspruch auf alle früheren Sowjetrepubliken – was in der kasachischen Hauptstadt Nur-Sultan Besorgnis auslöste. Daraufhin betonte der kasachische Präsident Kassym-Schomart Tojakew öffentlich, dass Kasachstan niemals die Unabhängigkeit der abtrünnigen, von prorussischen Separatisten kontrollierten ukrainischen Gebiete Donezk und Luhansk anerkennen werde.

Und als die kasachische Präsidialverwaltung am 4. Juli dann mitteilte, Tokajew habe in einem Gespräch mit EU-Ratspräsident Charles Michel zugesagt, dass Kasachstan der EU mehr Öl liefern wolle, fiel schon am nächsten Tag ein überraschendes russisches Urteil: Ein Gericht in der russischen Hafenstadt Noworossijsk ordnete den Stopp der sogenannten CPC-Pipeline an, die bisher kasachisches Öl durch Russland bis zur Verladestelle im Schwarzen Meer transportiert – Kasachstans Zugang zum Weltmarkt. Offiziell hieß es, es fehlten Unterlagen für Umweltschutzanforderungen. „Ich denke aber, dies ist die angeordnete Retourkutsche für die kasachische Politik“, sagt die Zentralasien-Expertin Beate Eschment zu Reuters.

Und der Energie-Experte des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, Martin Hoffmann, verweist zwar darauf, dass es im August 2021 in Noworossijsk tatsächlich einen Umweltunfall an der Verladestelle vor dem Hafen gegeben habe, als sich ein Ölfleck ausbreitete. „Aber die CPC hätte noch bis Ende November Zeit gehabt, die offenen Fragen zu klären – deshalb überrascht der Zeitpunkt des Urteils“, sagt Hoffmann zu Reuters.

Dass es auch in der kasachischen Hauptstadt Nur-Sultan Zweifel gibt, zeigte sich bereits am Donnerstag: Präsident Tokajew gab die Prüfung für eine Pipeline in Auftrag, die Öl künftig ohne Transit durch Russland nach Westen bringen kann.

Entfremdung auf Raten

Die Entwicklung ist nach Angaben von Eschment vom Osteuropa-Institut Zois allerdings nur der letzten Schritt einer langsamen Entfremdung. Denn seit langem versuche sich Kasachstan, ein Land mit 18 Millionen Einwohnern, etwas dem Klammergriff des riesigen russischen Nachbarn zu entziehen, betont Eschment. Präsident Tokajew verfolgt eine sogenannte Multivektoren-Politik, bei der er gleichzeitig gute Beziehungen zu Russland, den USA, der EU und China pflegt. Kasachstan folgt zwar nicht den westlichen Sanktionen gegen Russland, achtet aber darauf, diese nicht zu unterlaufen. EU-Diplomaten loben, dass sich nach der Änderung der Verfassung auch politische Lockerungen wie die Gründung etlicher Parteien in dem Land abzeichneten.

Zois-Expertin Eschment sieht einen Balanceakt: „Es wird gerne übersehen, dass Tokajew sich zwar einerseits von Moskau abzusetzen versucht, aber anderseits die guten Beziehungen betont und offen für die von Putin gewünschte stärkere Integration des eurasischen Raums ist.“ Kasachstan war zusammen mit Belarus auch das erstes Land, das der Eurasischen Wirtschaftsunion mit Russland beigetreten war. Denn eine offene Konfrontation will die kasachische Führung auf keinen Fall. Es gibt eine sehr lange Grenze des weltweit neungrößten, aber nur dünn besiedelten Landes zum übermächtigen nördlichen Nachbarn Russland. „Und Kasachstan ist abhängig von Transporten aller Güter durch Russland – nicht nur beim Öl“, sagt Ost-Ausschuss-Experte Hoffmann. Die alternativen Transportwege über das Kaspische Meer seien zeitraubend und teuer.

Dazu kommt, dass Kasachstan eine russische Minderheit von rund 18 Prozent hat – und erste Duma-Abgeordnete in Moskau die russische Regierung auffordern, sie solle sich stärker um den angeblich nötigen Schutz dieser Minderheit kümmern. Mit ähnlicher Argumentation wurde schon in der Ukraine eine russische Intervention gerechtfertigt.

Die geografische Lage limitiert jedoch den Bewegungsspielraum Kasachstans. Dies wird an einem Beispiel aus dem Luftverkehr deutlich: „Schon vor Jahren gab es den Versuch, Kasachstan zum Hub für Zwischenlandungen im China-Geschäft zu machen“, sagt Hoffmann. Aber Russland sitzt am längeren Hebel: Es verband Überflugrechte mit der Auflage, dass Zwischenlandungen und das Auftanken von Flugzeugen in Russland erfolgen müsse.

Umso mehr schaut die Regierung in Nur-Sultan zu anderen Partnern. Denn letztlich haben sich die Hoffnungen auf einen wirtschaftlichen Schub durch die Eurasische Wirtschaftsunion mit Russland nicht erfüllt. Gerade wegen der westlichen Sanktionen gegen Russland wird Kasachstan nun aber vom Westen als interessanter Standort gesehen. Mitte Mai reiste eine Delegation mit mehreren Dutzend deutscher Firmenvertreter in das rohstoffreiche zentralasiatische Land.

Und nach Kasachstan blickt man in Berlin übrigens auch wegen der ostdeutschen Raffinerie in Schwedt aufmerksam. Nach Angaben einer mit den Verhandlungen vertrauten Person hatte der russische Besitzer Rosneft zeitweise überlegt, ob die Raffinerie nach dem EU-Embargo gegen russisches Öl nicht mit dem Öl aus Kasachstan betrieben werden könnte. Nur müsste es dafür erst einmal über das Schwarze Meer nach Europa gelangen.

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Politik
Politik Wehrpflicht kommt zurück nach Deutschland: Verteidigungsminister Pistorius sieht Einführung noch 2025
12.04.2025

Nach Bildung der neuen Regierung: Der geschäftsführende Verteidigungsminister Boris Pistorius will die Einführung des neuen...

DWN
Politik
Politik Fake News: Meta beendet Faktencheck in den USA - in Europa geht die Überprüfung weiter
12.04.2025

Mit dem Faktenprüfungs-Programm ging Meta gegen sogenannte Falschinformationen auf seinen Plattformen vor. US-Nutzer können jetzt selbst...

DWN
Politik
Politik Trump Zölle gegen EU-Handelsbarrieren richtig: EU drohe sonst Öko-Sozialismus
12.04.2025

Mit provokanten Aussagen zu Trumps Zöllen überrascht Václav Klaus (83), Ex-Präsident der Tschechischen Republik und prominenter...

DWN
Politik
Politik Ukraine Krieg: Neues NATO-Hauptquartier in Wiesbaden in Militäreinsätze verwickelt?
12.04.2025

Der ehemalige ukrainische Oberbefehlshaber und heutige Botschafter in Großbritannien, Walerij Saluschnyj, hat bestätigt, dass die Ukraine...

DWN
Immobilien
Immobilien Immobilienmarkt: Bankenumzüge katapultieren Büroflächenumsatz in Frankfurt auf Allzeithoch
12.04.2025

Die Standortwechsel großer Banken haben dem angeschlagenen Büromarkt in Frankfurt zu einem Allzeithoch verholfen. Zwischen Januar und...

DWN
Technologie
Technologie Marktmacht für Google vorbei: Einigung mit Kartellamt - Google muss Auto-Dienste öffnen
12.04.2025

Das Vorgehen des US-Technologieriesen Google ist dem Bundeskartellamt schon länger ein Dorn im Auge, es fürchtet um den fairen...

DWN
Finanzen
Finanzen Silberpreis aktuell: Der arme Cousin des Goldes – warum die Silber-Preisentwicklung nicht mitzieht
12.04.2025

Während der Goldpreis zuletzt neue Allzeithochs erklomm und Investoren in aller Welt in seinen sicheren Hafen strömten, hat sich der...

DWN
Technologie
Technologie Big Tech: Trumps Zolloffensive könnte Europas Abkopplung von US-Giganten auslösen
12.04.2025

Die jüngsten Schritte der US-Regierung unter Donald Trump, die erneut protektionistische Zölle gegen Europa verhängte, könnten die...