Finanzen

Das geplante Goldimportverbot gegen Russland ist ein zahnloser Tiger

Lesezeit: 5 min
10.07.2022 09:05  Aktualisiert: 10.07.2022 09:05
Geht es nach dem Willen von US-Präsident Joe Biden und seinen G7-Amtskollegen wird das nächste Sanktionspaket gegen Russland auch ein Embargo gegen Gold enthalten. Ob das Russland wirklich treffen sollte, ist mehr als fraglich. Denn was passiert, wenn Putin den Spieß umdreht?
Das geplante Goldimportverbot gegen Russland ist ein zahnloser Tiger
Das geforderte Goldimportverbot könnte sich als zahnloser Tiger herausstellen. Vor allem dann, wenn Putin den Spieß umdreht. (Foto: iStock.com/jjustas)

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Russland liegt mit einer Fördermenge von 331 Tonnen Gold in 2021 auf Rang drei der weltweit größten Produzenten. Das Edelmetall ist somit nach Mineralölerzeugnissen und Erdgas das wichtigstes Exportgut. Seine Goldexporte spülten dem Land im vergangenen Jahr durchaus beachtliche 14,7 Milliarden Euro in die Staatskasse. Ob ein westlicher Importstopp jedoch tatsächlich „das Herz der Kriegsmaschinerie“ Vladimir Putins angreifen und „die russischen Oligarchen direkt treffen“ würde, wie der britische Ministerpräsident Boris Johnson jüngst begeistert ausführte, ist jedoch mehr als fraglich. Die bislang ausgebliebene Marktreaktion zeigt die Zweifel daran überdeutlich. Dass dieses Ansinnen aber durchaus das Zeug hat, abermals zum Boomerang zu werden, ist keine vollkommen unrealistische Befürchtung. Gerade, wenn man die bisherigen Reaktionen Russlands auf westliche Sanktionen in Betracht zieht.

Nichts als Symbolpolitik

Absolut betrachtet erscheinen die genannten Zahlen, Fördermenge und Exporterlöse, durchaus geeignet, einigen Druck aufzubauen, betrachtet man jedoch einmal das Gesamtbild, sieht die Sache schon ein wenig anders aus: zunächst einmal ist Gold kein knappes Gut. Auch ohne russisches Angebot wäre die Versorgung der Welt mit diesem Rohstoff, der für die Industrie tatsächlich keine herausragende Bedeutung besitzt, problemlos gesichert, die aktuell auf dem Markt befindlichen gut 200.000 Tonnen sind mehr als ausreichend. Auch im Vergleich zur weltweiten Gesamtfördermenge, diese liegt bei gut 3.000 Tonnen, fällt die russische Produktion kaum ins Gewicht, zudem rangiert das Land auf der Liste der wichtigsten Goldexporteure ohnehin nur auf Platz sieben. Darüber hinaus haben die gegen Russland nach seinem Einmarsch in der Ukraine verhängten Sanktionen die europäischen und US-amerikanischen Märkte bereits faktisch abgeschottet.

Ein Handelsverbot mit russischem Gold existiert in den USA seit März, und selbst die Ströme zu den traditionellen Handelszentren in London und Zürich sind aufgrund der Selbstsanktionierung der Branche weitgehend versiegt. Den Goldpreis hat all dies nicht beflügeln können und dies ist auch bei Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen nicht zu erwarten. Russland würde auf Grund dessen keine einzige Kopeke entgehen, auch, da dieser Tage gerne übersehen wird, dass es sich bei den G7-Staaten – plus restlicher EU – nicht um den Nabel der Welt handelt. Russland wird sich mehr und mehr in Richtung seines eigenen Wirtschaftsbündnisses, den BRICS-Staaten, orientieren, einem Markt mit im Vergleich mehr als dreifacher Einwohnerzahl. Indien und China werden dankbar zugreifen, wenn sich russisches Gold seinen Weg auf den Weltmarkt sucht.

„Don´t Poke the Bear“

So lautet eine englische Redewendung, und mit Blick auf Russlands bisherige Reaktionen auf die westliche Sanktionspolitik ist sie durchaus passend. Betrachtet man die Sanktionen einmal für sich, außerhalb des Kontexts und der initialen Schuldfrage, stellt jede einzelne für Putin eine Provokation dar, die es entsprechend zu beantworten gilt. Und mit seinen Antworten zeigt sich das Land bislang sehr kreativ und erwischte die EU mehr als einmal auf dem falschen Fuß. Den umfangreichen Finanzsanktionen, wie beispielsweise dem Einfrieren russischen Zentralbankgeldes oder dem weitgehenden Ausschluss vom SWIFT-System, konterte Putin seinerseits mit der Abkehr von Dollar und Euro. Gas gegen Rubel heißt nun die Devise. Seit Anfang April befindet sich dieser auf einem spektakulären Höhenflug.

Der Rubel gilt mittlerweile als weltweit stärkste Währung, großer Verlierer ist der Euro. Und während man hierzulande öffentlichkeitswirksam über die Möglichkeit der Abkehr von russischer Energie debattierte, drehte Putin den Spieß einfach um und reduzierte seinerseits die Lieferungen. Der geplante strafende Effekt ausbleibender Zahlungen spielte für Russland keine Rolle, wohl wissend, das andere Absatzmärkte zur Verfügung stehen und man auf Grund der bestehenden Abhängigkeiten langfristig ohnehin am längeren Hebel sitzt. Diese Antworten haben hierzulande nur wenige für möglich gehalten, nicht auszuschließen ist, dass Russland auch versuchen wird, das geplante Goldimportverbot gegen dessen Initiatoren zu wenden.

Gold gegen Ware? Unwahrscheinlich, aber möglich

Zugegeben, wir sprechen über ein Randrisiko, also ein recht unwahrscheinliches Szenario. Bei laufenden Verträgen die Zahlungsmodalitäten grundlegend zu ändern oder die Lieferung des wichtigsten Exportgutes selbst einzuschränken, möglicherweise in Kürze gänzlich einzustellen, fällt jedoch auch in diese Kategorie. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass entsprechende Diskussionen über konkrete Sanktionsmöglichkeiten in Russland den Ehrgeiz erwecken, diesen in ähnlicher Qualität zuvorzukommen. Stellen Sie sich einmal vor, Russland würde die jüngsten westlichen Sanktionsfantasien zum Anlass nehmen, die eigenen Goldbestände weiter ausbauen zu wollen. In den letzten Jahren trat die russische Zentralbank bereits als großer Käufer auf, gut 2.300 Tonnen lagern dort mittlerweile in den Tresoren. Das Interesse an einer Entkopplung der Staatsfinanzen von Dollar und Euro dürfte in den letzten Monaten nicht geringer geworden sein, und Gold, verstanden als Geld, bietet dafür eine Alternative.

Könnte Putin abermals die Zahlungsmodalitäten für seine Energieexporte ändern und tatsächlich Gold als Währung fordern? Russland ist momentan schwer auszurechnen und hat bereits mehrfach mit handfesten Überraschungen aufgewartet, angesichts dessen bleibt auch ein solcher Schritt durchaus vorstellbar. Westliche Importeure würde dies erheblich unter Druck setzen, die Zahlungen der EU für russische Energie - Öl, Ölprodukte, Erdgas und Kohle – belaufen sich auf etwa 570 Millionen Euro pro Tag, das entspricht gut 10 Tonnen Gold, bei einem Preis von €1.720/Unze. Daraus ergibt sich ein monatlicher Bedarf von 300 Tonnen, die Weltjahresproduktion liegt, wie gesagt, bei etwa 3.000 Tonnen. In diesem Moment wäre Kreativität gefragt, denn einer solchen Menge physisch habhaft zu werden, ist nicht unproblematisch.

Turbulenzen am Terminmarkt

Neben ganz praktischen Schwierigkeiten, wie Lagerung, Versicherung und Transport wäre auch ein erheblicher Preisschock zu erwarten, ausgehend von der US-Terminbörse COMEX, der weltweit größten Derivatebörse für Edel- und Industriemetalle. Die dort gehandelten Gold-Futures sind physisch belieferbar und wären damit ein praktisches Instrument zum Bezug des Edelmetalls. Der Knackpunkt ist allerdings, dass die von der Börse zur Lagerung der Barren zertifizierten Lagerhäuser gar nicht genug Gold vorhalten. Üblicherweise werden Terminkontrakte vor deren Verfall und dem Beginn der Lieferperiode an der Börse einfach wieder glattgestellt, da es den Marktteilnehmern nicht um den tatsächlichen Besitz der Ware, sondern lediglich den finanziellen Erfolg geht. Tatsächlich beliefert wird nur ein Bruchteil des gehandelten Volumens. Dies würde sich ändern, Käufer der Terminkontrakte würden diese halten und auf Lieferung bestehen, deren Kontrahenten alles versuchen, sich ihrer Lieferverpflichtung zu entledigen und bei dem Versuch, ihre Positionen rechtzeitig zu schließen, den Preis in die Höhe treiben. Aktuell stehen dort lediglich 527 Tonnen als lieferbare Menge zur Verfügung. Wie lange es dauern würde, bis diese ihren Weg in die russischen Tresore gefunden hätte, ist nicht schwer zu ermitteln.

Ein Indiz für die Folgen eines plötzlich erwachenden Lieferinteresses bietet der März 2020, als sich die Preisdifferenz zwischen den Spot-Preisen der London Metal Exchange und denen der in den USA gehandelten Futures massiv ausweitete (auf mehr als 70 Dollar zwischenzeitlich, normal sind Aufschläge um wenige Dollar). Seinerzeit konnte der Transport der Ware - dies geschieht üblicherweise als Fracht in ganz gewöhnlichen Linienflügen - auf Grund des coronabedingt stark eingeschränkten Flugbetriebs nicht sichergestellt werden, weshalb sich die Futures-Verkäufer ihr Lieferrisiko teuer bezahlen ließen. In obigem Szenario wären die Folgen weitaus schwerwiegender. Der Preiseffekt würde deutlich eklatanter ausfallen, und es ist durchaus davon auszugehen, dass dadurch ausgelöste Nachschussforderungen seitens Börse und Abwicklungsstelle den ein oder anderen Marktteilnehmer ins Straucheln und kreditgebende Banken in Liquiditätsschwierigkeiten bringen würde, mit Übersprungspotenzial auf weitere Wirtschaftszweige. Das angedrohte EU-Goldimportverbot wird Vladimir Putin jedenfalls keine schlaflosen Nächte bereiten. Es sei denn, er dächte dann darüber nach, den Spieß wieder einmal umzudrehen.

                                                                            ***

Markus Grüne (49) ist langjähriger professioneller Börsenhändler in den Bereichen Aktien, Derivate und Rohstoffe. Seit 2019 arbeitet er als freier Finanzmarkt-Journalist, wobei er unter anderem eigene Börsenbriefe und Marktanalysen mit Fokus auf Rohstoffe publiziert. 


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