Betrachtet man den afrikanischen Kontinent aus dem Weltraum, so erscheint das obere Drittel in leuchtendem Gelb, während in den beiden unteren Dritteln grünliche Töne überwiegen. Dabei markiert die Farbe Gelb die Sahara. Das arabische Wort bedeutet „Große Wüste“, aber auch „Meer ohne Wasser“. Es verdeutlichtet, dass Subsahara-Afrika im Grunde eine riesige Insel ist. Es wird vom Atlantischen und vom Indische Ozean umspült und im Norden von eben jener Sahara, der größten Trockenwüste der Welt – einem Ozean aus Sand – begrenzt. Während die frühen Hochkulturen auf unserem Globus – Mesopotamien, Ägypten, Persien, Griechenland und China – zumindest indirekt - miteinander im Austausch standen, blieb Subsahara-Afrika weitgehend isoliert. Und während Europa ab dem Mittelalter nicht zuletzt aufgrund seines gemäßigten, ackerbaufreundlichen Klimas, seiner für Häfen geeigneten Küsten und schiffbarer Flüsse wie Rhein und Donau einen steilen Aufstieg erlebte, konnte sich im tropischen Afrika kein vergleichbares Handelsnetz entwickeln, nicht zuletzt, weil seine großen, mächtigen Ströme aufgrund unzähliger Katarakte Schifffahrt weitgehend unmöglich machen. Das rohstoffreiche Subsahara-Afrika wird durch sein Klima und seine Geographie in seinen Entwicklungsmöglichkeiten beschränkt. Gleichwohl könnte es zum nächsten Schachbrett werden, auf dem externe Akteure ihre Kräfte messen. Eine Analyse.
„Blood River: Meine Reise ins dunkle Herz des Kongo.“ ist der Titel eines Buches des „Daily Telegraph“–Journalisten Tim Butcher, der um das Jahr 2000 herum auf den Spuren des Afrikaforschers H. M. Stanley wandelte und das riesige Land von der Quelle des gleichnamigen Flusses bis zu seiner Mündung in den Atlantik durchquerte. Nicht wenige Zeitgenossen waren überrascht, dass Butcher tatsächlich lebend am Ziel ankam. Einige hatten ihm sogar suizidale Absichten unterstellt, kaum dass er sich auf den Weg gemacht hatte. Teilweise auf einem geländegängigen Motorrad, teilweise zu Fuß durch immer dichter werdenden Wald, überwiegend aber in einem Einbaum, durch brütende Schwüle treibend, attackiert von zahllosen Insekten, erreichte er sein Ziel - und war damit der erste Europäer, dem, nach Stanley, dieses Kunststück gelungen war. Auch der 1899 erschienene Roman „Herz der Finsternis“ von Joseph Conrad führt den Leser in die beängstigende, unheilschwangere Welt des Kongo, der seinerzeit eine private Kolonie des belgischen Königs Leopold II. war. Hier, im Landesinneren, werden nicht nur die Bäume, die das Flussufer säumen, vom Nebel geschluckt, sondern es verschwimmen auch die Grenzen zwischen Klarsicht und fiebrigen Träumen, zwischen Verstand und Wahn. Der Regisseur Francis Ford Coppola nutzte den Roman als Vorlage für seinen Film „Apocalypse Now“, wobei er das Geschehen allerdings vom Kongo nach Kambodscha und Vietnam verlegte.
Das düstere Erbe des Kongos
Und teilweise hat der Kongo sein düsteres Erbe noch immer nicht abgeschüttelt. Zwar verfügt das zweitgrößte Land des Kontinents über große Mengen an Bodenschätzen, Diamanten, Gold, Kupfer, Mangan, Blei, Zink und Zinn und auch das für Smartphones, Tablets und Elektroautos benötigte Schwermetall Kobalt. Doch nicht zuletzt dieser Ressourcenreichtum hat auch Begehrlichkeiten geweckt und zu bewaffneten Konflikten geführt, die inzwischen über sechs Millionen Menschen das Leben gekostet haben. Die Grenzen des Kongo – wie auch die der meisten anderen afrikanischen Staaten – wurden von den ehemaligen Kolonialmächten gezogen, oft quer durch die Gebiete einzelner Stämme hindurch. Dieser Umstand macht eine reibungslose und friedliche Ausbeutung der Rohstoffe, gerade im Kongo, kompliziert. Und doch wäre sie angesichts rapide steigender Bevölkerungszahlen so wichtig. Bereits heute hat die kongolesische Hauptstadt Kinshasa Paris als die bevölkerungsreichste französischsprachige Metropole der Welt abgelöst.
So wie das nigerianische Lagos inzwischen die größte Mega-City im englischsprachigen Raum ist. Lagos ist nicht nur das Finanz- und Bankenzentrum Nigerias und das Zentrum der afrikanischen Filmindustrie – Spitzname „Nollywood“ – sondern beherbergt auch einen der größten Slums Afrikas – Makako-, ein Labyrinth aus Pfahlbauten und wackeligen Stegen und von den braunen Gewässern der Lagune von Lagos umspült. Prognosen gehen davon aus, dass sich die Bevölkerung von Lagos bis zum Jahr 2050 von aktuell 14 Millionen auf über 32 Millionen mehr als verdoppeln wird. Mit einer ähnlichen Steigerungsrate rechnen die Vereinten Nationen für das gesamte Land. Nigeria, das schon heute als der „Gigant Afrikas“ bezeichnet wird, dürfte dann mehr Einwohner haben als die flächenmäßig mehr als zehn Mal größeren Vereinigten Staaten von Amerika. Dies dürfte trotz einer relativ ertragreichen Landwirtschaft zu Problemen führen. Für Nigeria wie für zahlreiche andere afrikanischen Staaten auch wird die Frage sein, ob ihre wirtschaftliche Entwicklung mit dem jeweiligen Bevölkerungswachstum Schritt halten kann – oder ob eine zunehmende Desertifikation der Böden – wie sie im Norden Nigerias bereits zu beobachten ist – Wasserknappheit oder Umweltverschmutzungen die Länder der Möglichkeit berauben, ihre Bevölkerungen zu ernähren. In Nigeria, das über 90% seiner Exporterlöse über den Verkauf von Erdöl und Erdölprodukten erzielt, ist es bereits aufgrund völlig veralteter Pipelines zu mehreren Ölunfällen im Nigerdelta gekommen, mit katastrophalen Auswirkungen auf das dortige Ökosystem. Erdöl wurde inzwischen auch im Tschadbecken gefunden, das sich um den Tschadsee, einen abflusslosen Binnensee, gruppiert und teilweise zu Nigeria gehört. Wie es häufig in der Welt zu beobachten ist, begünstigen Vorkommen an „schwarzem Gold“ auch das Aufkommen von Terrorismus, so auch hier. Die islamistische Gruppierung „Boko Haram“ steckt offensichtlich hinter Anschlägen auf die Öl- und Gasinfrastruktur Nigerias. Möglicherweise spielt seitens „Boko Harams“ hierbei die Überlegung eine Rolle, dass Nigeria die Erlöse aus dem Verkauf von Erdöl braucht, um sich Waffen zu verschaffen, mit denen es „Boko Haram“ bekämpfen kann. Und der Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt lähmt nicht nur Nigeria.
Ausländische Konzerne profitieren von Rohstoffvorkommen
In Nigerias Nachbarland Niger, das auf dem Index der menschlichen Entwicklung der Vereinten Nationen im Jahr 2019 von 189 Nationen den letzten Platz belegte, gibt es reichhaltige Uranvorkommen, die im Norden des Landes im Tagebau abgebaut werden. Hauptnutznießer sind ausländische Konzerne wie die französische Areva, Hauptleidtragende die Arbeiter und Bewohner in den Abbaugebieten, deren Sterblichkeit aufgrund der freigesetzten Radioaktivität deutlich erhöht ist. Der Niger gehört traditionell zum französischen Einflussgebiet, wie auch das benachbarte Mali, wo seit 2012 ein Konflikt zwischen der Regierung und der Volksgruppe der Tuareg tobt und Frankreich mehrfach an der Seite der Regierung militärisch intervenierte. Die kargen Landschaften Malis und des südlichen Niger lassen sich in dem Roman „Wassermusik“ von T. C. Boyle, in dem der Leser auf den Spuren des schottischen Afrika- Forschers Mungo Park wandelt und nebenher auch erfährt, wie man ein Kamel bäckt, nacherleben. Heute, mehr als 200 Jahre nach dem Tod des Abenteurers, bestimmen die geopolitischen Interessen Frankreichs, die zunehmend mit denen Chinas kollidieren, die Agenda. Afrika wird zunehmend zu einem Schach-, oder besser gesagt zu einem Go- Brett, auf dem verschiedene Spieler ihre Steine positionieren. Neben Frankreich und China sind das vor allem die USA und in einem gewissen Maß auch Russland. Allerdings werden die afrikanischen Länder ihren Einfluss in ihrem eigenen Haus zwingend steigern müssen, will ihnen eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung gelingen.
Öl aus Nigeria, Uran aus dem Niger, Kobalt aus dem Kongo, Gold und Diamanten – Afrika hat viel zu bieten, leidet aber nach wie vor unter Armut und schlechter Gesundheitsvorsorge. Allen voran die Malaria, die von der Anopheles-Mücke übertragen wird, aber auch andere Tropenkrankheiten, sind die Geißeln des Kontinents. Es ist kein Zufall, dass nur die südlichen Teile Subsahara- Afrikas, wie etwa Namibia und die Republik Südafrika, von Europäern erfolgreich besiedelt werden konnten, denn diese Länder bieten den Überträgern dieser Leiden aufgrund ihrer Höhenlagen bzw. ihres trockenen Klimas keinen Lebensraum.
Der Schlüssel zum Erfolg mag für Subsahara-Afrika in der Tatsache liegen, dass wir uns in einer Übergangsphase von einer uni- zu einer multipolaren Weltordnung befinden und der globale Süden generell an Bedeutung gewinnen wird. China beispielsweise investiert in Afrika auch in große Infrastrukturprojekte, die für den Kontinent, zumindest theoretisch, Entwicklungschancen eröffnen können. Im Idealfall wird Afrika in Zukunft nicht nur Rohstofflieferant sein, sondern auch als Werkbank und Importmarkt eine bedeutende Rolle spielen.