Die Europäische Zentralbank wird nächste Woche ein neues Instrument vorstellen, das als "Transmission Protection Mechanism" (deutsch: Transmissionsschutzmechanismus) bekannt ist. Ökonomen erwarten, dass das Instrument den unbegrenzten Ankauf von Staatsanleihen ermöglichen wird, um die Verwerfungen auf den Märkten einzudämmen, die sich aus den von der EZB geplanten Zinserhöhungen ergeben werden.
Fast 80 Prozent der von Bloomberg befragte Ökonomen sagen voraus, dass das neue Instrument mit leichten Auflagen für jene Staaten verbunden sein wird, deren Anleihen die EZB im Rahmen des Instruments aufkaufen wird. Fast alle befragten Ökonomen erwarten, dass die durch die Anleihekäufe geschaffene Liquidität durch einen Sterilisierungsprozess wieder absorbiert werden soll.
Da sich die Inflation auf zweistellige Werte zubewegt, wird die EZB die Zinssätze nach dem Start am 21. Juli voraussichtlich schneller anheben werden als bisher erwartet. Die Ökonomen glauben jedoch, dass die EZB immer noch zu zögerlich strafft. Denn die US-Notenbank hat bereits im März mit der Straffung der Geldpolitik begonnen und erwägt nun für diesen Monat sogar einen historischen Zinsschritt um 100 Basispunkte.
Die EZB hatte lange Zeit behauptet, die erhöhte Inflation sei nur eine vorübergehende Erscheinung. Doch nachdem die Inflationsrate in der Eurozone im Mai auf ein neues Rekordniveau von 8,1 Prozent geklettert war, kündigte die Notenbank für den 21. Juli die erste Zinserhöhung seit 2011 an. Dann wird sie den Leitzins voraussichtlich von o auf 0,25 Prozent erhöhen.
Zudem peilt die EZB für ihr Zinstreffen im September einen zweiten Schritt nach oben an, der womöglich noch stärker ausfallen wird. Infolge dieser erwarteten Zinserhöhungen sind die Anleiherenditen der stärker verschuldeten Länder der Eurozone in die Höhe geschnellt, und die Notenbanker beschlossen, dass sie ein Instrument zur Zinssenkung brauchen, das parallel zur Zinserhöhung eingesetzt werden kann.
"Die Ausgestaltung des neuen Instruments wird dem EZB-Rat maximalen Ermessensspielraum lassen", sagte Kristian Tödtmann, Ökonom bei der Dekabank. Seiner Ansicht nach hoffen die Zentralbanker, dass die bloße Existenz eines solchen Instruments ausreicht, um Turbulenzen auf den Finanzmärkten zu vermeiden.
Zudem hoffen die Zentralbanker Tödtmann zufolge, dass die EZB nicht so häufig Staatsanleihen der Schuldenstaaten wird kaufen müssen, dass diese Käufe "den Vorwurf der monetären Finanzierung erhärten" würden. Denn wenn die Notenbank tatsächlich mit frisch gedrucktem Geld unbegrenzt Anleihen eines Staates kaufen würde, so wäre dies eine eigentlich nicht zulässige Staatsfinanzierung mit der Notenpresse.
Alle früheren Anleihekaufprogramme der EZB haben in Deutschland zu Klagen geführt, die jedoch letztlich allesamt beim Bundesverfassungsgericht gescheitert sind. Das wiederholte Einknicken der Karlsruher Richter hielt die EU-Kommission freilich nicht davon ab, ein Verfahren gegen Deutschland einzuleiten, weil das Verfassungsgerichts die EZB-Politik gegen die Kläger nicht hinreichend unterstützt habe.
Bundesbankpräsident Joachim Nagel sagt, dass das neue Instrument der EZB nur in "außergewöhnlichen Umständen und unter eng definierten Bedingungen" eingesetzt werden sollte. Einige seiner Kollegen hoffen, dass Nettokäufe letztlich gar nicht notwendig sein werden, wenn das neue EZB-Instrument nur groß genug ist.
Denn bei der EZB hofft man, dass die geplante Bevorzugung der Staatsanleihen von Italien, Griechenland und anderen Schuldenstaaten bei den Reinvestition von fällig werdenden PEPP-Anleihen deren Anleiherenditen in Schach halten wird. Es geht der Notenbank darum, die Risikoaufschläge (Spreads) der Anleihen dieser südlichen Euro-Staaten zu begrenzen.
Fast zwei Drittel der befragten Ökonomen glauben nicht, dass die bloße Existenz des neuen Instrumentes ausreichen wird, um die Märkte zu beruhigen. Vielmehr gehen sie davon aus, dass die EZB das Instrument irgendwann tatsächlich einsetzen muss. Fast 90 Prozent von ihnen gehen sogar davon aus, dass der Umfang des Instruments unbegrenzt sein wird.
Die Ökonomen erwarten, dass der Einlagensatz in diesem Monat von derzeit minus 0,5 Prozent auf minus 0,25 angehoben wird und im September sogar auf plus 0,25 Prozent. Geschäftsbanken werden demnach also bald keinen Strafzins mehr auf ihre Guthaben bei der EZB zahlen müssen. Nach weiteren kleineren Anhebungen bei den folgenden Sitzungen bis März wird der Höchststand bei 1,25 Prozent erwartet.
Seit der EZB-Sitzung im Juni ist die Inflation erneut gestiegen, und der Euro ist zum ersten Mal seit zwei Jahrzehnten auf Parität zum Dollar gefallen. Ein schwächerer Euro könnte die Inflation weiter anheizen, während sich die Wirtschaft verlangsamt und die Unsicherheit im Hinblick auf Energielieferungen aus Russland zunimmt. Der Krieg in der Ukraine gilt den Ökonomen nach wie vor als das größte Risiko.
Die Ökonomen von TD Securities unter der Leitung von James Rossiter sind der Meinung, dass der Schwerpunkt weiterhin auf der Senkung der Inflation liegen wird. "Die EZB muss die Erwartung wecken, dass sie die Zinsen auch dann noch anheben wird, wenn die Eurozone in der zweiten Jahreshälfte in eine Rezession eintritt", so Rossiter.