Finanzen

Inflation und Wirtschaftskrise: Die EZB sitzt zwischen allen Stühlen

Lesezeit: 3 min
20.07.2022 17:19  Aktualisiert: 20.07.2022 17:19
Die Europäische Zentralbank versucht sich an einem heiklen Balanceakt. Am Donnerstag wird klar, wie dieser geschafft werden soll.
Inflation und Wirtschaftskrise: Die EZB sitzt zwischen allen Stühlen
Die Direktorin der EZB, Christine Lagarde. (Foto: dpa)

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In der Europäischen Zentralbank (EZB) gibt es angeblich Überlegungen zu einer stärkeren Zinsanhebung. Anstatt wie bisher signalisiert, die Leitzinsen am Donnerstag erstmals seit elf Jahren um 0,25 Prozentpunkte anzuheben, könnte man sich auch zu einer stärkeren Anhebung um 0,5 Punkte entschließen, berichtete die Nachrichtenagentur Bloomberg am Dienstag mit Bezug auf namentlich nicht genannte Personen. Hintergrund sei die hohe Inflation im Währungsraum, die sich gegenwärtig auf Rekordniveau von deutlich mehr als acht Prozent bewegt.

Die Europäische Zentralbank befindet sich vor ihrer Zinssitzung am Donnerstag in einer schwierigen Situation. Auf der einen Seite muss sie gegen die hohe Teuerung vorgehen, die zuletzt auf einen Rekordwert von 8,6 Prozent gestiegen ist und deshalb die Finanzierungsbedingungen mit einer Anhebung des Leitzinses oder des Einlagensatzes verschärfen.

Auf der anderen Seite jedoch steuert die Weltwirtschaft und mit ihr die Volkswirtschaften der Euro-Länder auf eine Rezession zu. Zu rasche und starke Zinsanhebungen würden die Wirtschaft in einem solchen Fall wahrscheinlich zusätzlich belasten, insbesondere Länder wie Italien, Griechenland oder Portugal.

Der Renditeabstand - der Spread - zwischen Staatsanleihen aus Deutschland und denen höher verschuldeter Euroländer hat sich zuletzt ausgeweitet. Heißt: Für Länder wie Italien wird es teurer, sich frisches Schuldgeld zu besorgen. Das könnte für solche Staaten angesichts schon hoher Schuldenberge zum Problem werden.

Neue Sonderprogramme

In dieser Situation hatte die Zentralbank Mitte Juni die Etablierung eines neuen Sonderprogramms angekündigt, zu dem es am Donnerstag erste belastbare Details geben soll: ein Kaufprogramm von Staatsanleihen bestimmter Länder der Eurozone.

Die Notenbank beschleunige die Arbeiten an einem neuen Kriseninstrument, hatte die EZB Mitte Juni nach einer kurzfristig anberaumten Sondersitzung des EZB-Rates mitgeteilt. Man wolle Gelder aus auslaufenden Anleihen des Corona-Notkaufprogramms PEPP „flexibel“ wieder investieren. Nach bisheriger Planung will die EZB Tilgungsbeträge der im Rahmen des PEPP-Programms erworbenen Wertpapiere mindestens bis Ende 2024 bei Fälligkeit wieder anlegen.

„Die Pandemie hat dauerhafte Schwachstellen in der Wirtschaft des Euro-Währungsgebiets hinterlassen, die in der Tat zu einer ungleichmäßigen Übertragung der Normalisierung unserer Geldpolitik auf die einzelnen Länder beitragen“, erklärte die Notenbank damals. Das „Funktionieren des geldpolitischen Transmissionsmechanismus“ sei „eine unabdingbare Voraussetzung dafür“, dass die EZB ihr Hauptziel stabiler Preise bei einer mittelfristigen Inflationsrate von zwei Prozent erfüllen könne.

Im Klartext bedeutet dies: die EZB will sich nicht der Realität stellen, wonach unterschiedliche Länder mit unterschiedlichen politischen Systemen und Volkswirtschaften von potenziellen Geldgebern unterschiedlich bewertet werden und deshalb verschiedene Zinsen auf ihre Anleihen zahlen müssen. Da diese Länder zusammen eine Währungsunion, die Eurozone, bilden – so die Logik – solle auch für alle gleiche Bedingungen herrschen. Dieser Anspruch führt zwangsläufig dazu, dass die Zentralbank mit immer neuen Interventionsmechanismen den widerstrebenden Entwicklungen entgegenwirken muss, also immer mehr planerisch eingreifen muss. Von den Selbstreinigungskräften des Marktes ist deshalb keine Rede mehr, sondern es entsteht eine Art finanzielle Planwirtschaft und die EZB schießt weit über ihr eigentlich eng gefasstes Funktionsziel, die Gewährleistung der Geldwertstabilität, hinaus.

Einen Tag vor der Notfall-Sitzung im Juni hatte EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel in einer Rede bereits deutlich gemacht, dass die Notenbank einen ungeordneten Anstieg der Finanzierungskosten stärker verschuldeter Länder im Euroraum nicht hinnehmen wird: „Wir werden keine Veränderungen der Finanzierungsbedingungen dulden, die über die fundamentalen Faktoren hinausgehen und die Übertragung der Geldpolitik gefährden.“ Schnabel hatte in ihrer Rede betont, das Engagement für den Euro sei das Werkzeug der Notenbank gegen eine Fragmentierung im Währungsraum der 19 Länder: „Dieses Engagement hat keine Grenzen.“

Zum Thema der hohen Schulden muss ergänzt werden, dass Schuldenregeln in der Eurozone künftig sowieso keine Gültigkeit mehr haben sollen - das sagte zumindest der französische Finanzminister vor wenigen Tagen.

Lesen Sie dazu: Frankreich: Schuldenregeln der EU sind „obsolet“

In einem Kommentar in der Financial Times schreibt die Gründerin der Denkfabrik Dezernat Zukunft mit Blick auf die Ausweitung der Kompetenzen der EZB:

„Die gegenwärtigen institutionellen Gegebenheiten verwischen die Grenzen: um ihr Mandat zu verfolgen, muss die EZB die Spreads unter Kontrolle bringen. Aber dies hat Folgen für die Fiskalpolitik. Indem sie die Renditeunterschiede bearbeitet, entscheidet die EZB im Endeffekt darüber, welche Mitgliedsstaaten vom Privileg der Staatsverschuldung durch Geldaufnahme profitieren, unter welchen Bedingungen und zu welchen Kosten. Das ist ein zutiefst politisches Thema, dessen Bearbeitung einem technokratischen und nicht gewählten Gremium nicht zusteht. Die EZB kann ihre Entscheidungen nur innerhalb dieser undurchsichtigen Architektur fällen; und während manche Entscheidungen schlechter sind als andere, sind alle nicht gut. Die Regierungen könnten hier für Klarheit sorgen und sollten dies auch tun. Sie sind es, die zutiefst politische Probleme rund um die Staatsverschuldung der EZB zuschieben. Sie sind es, die alle zusammen entscheiden müssen, welche Länder solide Finanzen aufweisen.“


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