Politik

Mario Draghi: Ein politischer Nachruf

Lesezeit: 2 min
23.07.2022 08:32
In Italien gehört es zur Tradition, dass eine Regierung nicht bis zum Ende ihrer Legislaturperiode durchhält. Auch der scheidende Ministerpräsident Mario Draghi hat es nicht geschafft, das Land vereint durch die Krise zu führen.
Mario Draghi: Ein politischer Nachruf
Mit Mario Draghi (links im Bild) verlieren auch der französische Präsident Emmanuel Macron (Mitte) und der Bundeskanzler Olaf Scholz einen verlässlichen Partner (Foto: dpa)

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Traurig, aber wahr: Die insgesamt 67. Regierung Italiens mit dem parteilosen Ministerpräsidenten Mario Draghi ist Geschichte. Und damit auch der 30. Ministerpräsident Italiens in 18 Legislaturperioden seit dem Ende des zweiten Weltkrieges. Auch wenn der scheidende Ministerpräsident vorerst die Geschäfte bis zu Neuwahlen weiterführt.

Noch kein italienischer Ministerpräsident nach Alcide De Gasperi, dem ersten Regierungschef nach dem 2. Weltkrieg, hat es ohne Kabinettsumbildung geschafft, in dem von einem Viel-Parteien-System geprägten Land, eine fünfjährige Amtsperiode zu überstehen. Allesamt sind sie vorzeitig gescheitert.

Spitzenreiter unter ihnen ist Giulio Andreotti, der historische Leader der mittlerweile von der Bildfläche verschwundenen christlich-demokratischen Partei Democrazia Cristiana (DC), der insgesamt sieben Mal als primus inter pares ein gebrechliches Kabinett anführte, dicht gefolgt vom Parteikollegen Amintore Fanfani mit sechs. Auf am meisten regierende Tage kommt ausgerechnet der skandalumwobene Medienzar Silvio Berlusconi mit 3339 Tagen im Amt.

Ein unüberwindbares Muster

Auch wenn diese Herren bereits seit längerem das Zeitliche segnete, so scheint es doch, dass sie ein unüberwindbares Muster hinterlassen haben, aus dem das Land auch heute nicht imstande ist, auszubrechen.

Da nützt es auch nichts, dass mit Mario Draghi, ein auf europäischer Ebene hoch geschätzter und anerkannter Wirtschaftsexperte am Werk war, der versuchte eine nationale Einheit zu bilden und das krisengeschüttelte Land mit einer stringenten Reformpolitik wieder in die Spur zu bringen. Damit es zusammen mit Deutschland und Frankreich das Herz eines geeinten und gestärkten Europas bilden kann.

Mit einem klaren Bekenntnis zur EU, dem transatlantischen Bündnis, der G7 und der Nato, nicht zuletzt, um die Einmischung autokratischer Staaten in die italienische Politik und Gesellschaft besser bekämpfen zu können.

Leider vergeblich: Denn die Unterschiede zwischen dem ehemaligen Jesuitenschüler und den sich selbst als einen liberalen Sozialisten bezeichnenden Draghi und einem Teil der politischen Elite Italiens waren letztendlich zu groß, und die Unterstützung zu klein, um als ein nicht von der Wählerschaft gewählter Ministerpräsident mit seiner Arbeit fortzufahren.

Die Heterogenität des Landes

Dabei ist es ist nicht nur die Heterogenität des Landes, die Unterschiede des traditionell landwirtschaftlich geprägten Südens und des industrialisierten Nordens, oder das Viel-Parteien-System, die das Land immer wieder an den Rand eines politischen Kollapses bringen. Sondern auch die parteipolitischen Egoismen und eine bislang anarchistisch anmutende Verantwortungslosigkeit einzelner Politiker, die das Land immer wieder für ihre Spielchen missbrauchen. Wirtschaftskrise hin oder her, das spielt dabei traditionell keine Rolle.

Heute sind es die bislang mitregierenden Populisten um Giuseppe Conte, Matteo Salvini und Silvio Berlusconi, oder die faschistische Opportunistin Giorgia Meloni von der mit der AFD vergleichbaren Partei Fratelli d`Italia, die mit vorgeschobenen Neuwahlen im September die aufgeheizte Stimmung im Land für sich nutzen möchten, um ein rechts-populistischen Kabinett zu installieren. Ohne Draghi, und ohne eine konkrete Alternative anbieten zu können, damit Italien auch in Zukunft sicher vom EU-Konjunkturpaket Next Generation EU profitieren kann.

Dolce Vita

Morgen könnten es wieder andere sein. Aber immer ein bunt zusammengewürfeltes Volk von Politikern aus allen Teilen des Landes, das in die Landeshauptstadt strömt, und sich vereinzelt mehr der römischen Dolce Vita (süßes Leben) hinzugeben, als eine verantwortungsvolle Politik im Sinne ihrer Wähler zu machen.

So besteht die einzige Kontinuität in der italienischen Politik in der Diskontinuität ihrer Kabinette und Parlamente. Während die politische Landschaft weiter geprägt bleibt, von einem abgenutzten Bild persönlicher und parteilicher Ressentiments und dem immer kehrenden Wunsch nach Neuwahlen.

Nun, wenn man behaupten würde, dass jedes Land den Ministerpräsidenten bekommt, den es sich verdient, muss man leider sagen, dass sich Italien einen Ministerpräsidenten Mario Draghi nicht verdient. Als sei das Land und vor allem ihrer Politiker noch weit davon entfernt, persönliche Interessen und Eitelkeiten zum Wohle der Allgemeinheit hintenanzustellen.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Yulin Delegation - Erfolgreich veranstaltetes Wirtschafts- und Handelsaustauschtreffen in Berlin

Am 25. April 2024 organisierte eine Delegation aus der chinesischen Stadt Yulin ein erfolgreiches Wirtschafts- und Handelsaustauschtreffen...

DWN
Politik
Politik Heimatschutz: Immer mehr Bürger dienen dem Land und leisten „Wehrdienst light"
01.05.2024

Ob Boris Pistorius (SPD) das große Ziel erreicht, die Truppe auf über 200.000 Soldaten aufzustocken bis 2031 ist noch nicht ausgemacht....

DWN
Immobilien
Immobilien Balkonkraftwerk mit Speicher: Solarpaket könnte Boom auslösen - lohnt sich der Einbau?
01.05.2024

Balkonkraftwerke aus Steckersolargeräten werden immer beliebter in Deutschland. Insgesamt gibt es aktuell über 400.000 dieser sogenannten...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Weltweite Aufrüstung verschärft Knappheit im Metallsektor
01.05.2024

Die geopolitischen Risiken sind derzeit so groß wie seit den Hochzeiten des Kalten Krieges nicht mehr. Gewaltige Investitionen fließen in...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Nachhaltigkeit als Schlüsselfaktor für Unternehmenserfolg
01.05.2024

Die Studie „Corporate Sustainability im Mittelstand“ zeigt, dass der Großteil der mittelständischen Unternehmen bereits Maßnahmen...

DWN
Finanzen
Finanzen Private Pflegezusatzversicherungen: Wichtige Absicherung mit vielen Varianten
01.05.2024

Die gesetzliche Pflegeversicherung reicht oft nicht aus, um die Kosten im Pflegefall zu decken. Welche privaten Zusatzversicherungen bieten...

DWN
Unternehmen
Unternehmen 22-Prozent unbezahlte Überstunden: Wenn Spitzenkräfte gratis arbeiten
01.05.2024

Arbeitszeit am Limit: Wer leistet in Deutschland die meisten Überstunden – oft ohne finanziellen Ausgleich? Eine Analyse zeigt,...

DWN
Finanzen
Finanzen Die größten Kostenfallen: So sparen Sie bei Fonds, Aktien und Co.
01.05.2024

Viele Anleger unterschätzen die Wirkung von Anlagekosten. Dabei sind Fondsgebühren, Orderkosten und Co. auf lange Sicht enorm...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Konsumstimmung steigt: Die Deutschen shoppen wieder
01.05.2024

Laut aktuellen Erhebungen der GfK steigt die Konsumstimmung in Deutschland für den Mai auf ein Zwei-Jahres-Hoch. Ausschlaggebend sind...