Deutschland

EuGH kippt deutsche Regelungen zu Familiennachzug und Kindergeld

Kein guter Tag für Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof: Das höchste europäische Gericht kassiert gleich mehrere Regeln, die die Rechte von Flüchtlingen und Migranten betreffen.
01.08.2022 16:46
Aktualisiert: 01.08.2022 16:46
Lesezeit: 2 min

Der Europäische Gerichtshof hat mehrere deutsche Regelungen zum Umgang mit Flüchtlingen und Migranten gekippt. Die höchsten europäischen Richter erklärten am Montag in Luxemburg eine Regel zum Nachzug von Familienangehörigen von Flüchtlingen sowie Einschränkungen von Kindergeldleistungen für Zuzügler aus anderen EU-Staaten für rechtswidrig. In einem weiteren Fall mit Deutschlandbezug wurden die Rechte minderjähriger Flüchtlinge gestärkt, die einen Antrag auf internationalen Schutz stellen.

EU-Recht steht in dem Staatenbund über dem nationalen Recht. EuGH-Urteile müssen deshalb von den EU-Staaten umgesetzt werden.

Volljährig während des Verfahrens? Nachzug darf nicht verwehrt werden

Eine „180-Grad-Wende“ der Flüchtlingspolitik folgt nach Ansicht der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl aus dem Urteil zum Familiennachzug. Bislang ist es in Deutschland gängig, dass ein solcher Nachzug verwehrt wird, wenn ein minderjähriges Kind während des Verfahrens volljährig wird. „Nach dieser Logik büßen die Familien dafür, dass die deutsche Bürokratie so langsam arbeitet“, argumentiert Pro Asyl.

Dieser Ansicht ist auch der EuGH. Den deutschen Regeln zufolge hätten die zuständigen Behörden und Gerichte keinen Grund, die Anträge der Eltern mit der gebotenen Dringlichkeit zu bearbeiten. Zudem hänge der Erfolg eines Antrags hauptsächlich von Umständen ab, die in der Hand nationaler Behörden und Gerichte liege.

Hintergrund der Entscheidung sind mehrere Fälle, die aus der großen Fluchtbewegung 2015 nach Deutschland folgten und an deutschen Gerichten anhängig sind. Zum einen geht es um syrische Eltern, die Visa zur Familienzusammenführung mit ihrem in Deutschland als Flüchtling anerkannten, minderjährigen Sohn beantragten. Zum anderen geht es um einen Fall, bei dem eine minderjährige Syrerin zu ihrem in Deutschland als Flüchtling anerkannten Vater wollte. Die Minderjährigen wurden im Laufe der Verfahren volljährig, weshalb deutsche Behörden die Anträge auf Familienzusammenführung ablehnten.

Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums konnte sich am Montag zunächst nicht zu möglichen Konsequenzen des Urteils äußern und verwies darauf, dass die Entscheidung zunächst ausgewertet werden müsse. „Wenn sich daraus Handlungsbedarf ergibt, wird das natürlich erfolgen.“

Ungleichbehandlung beim Kindergeld nicht mit EU-Recht vereinbar

Ebenfalls gekippt wurde eine Regel, die Kindergeldzahlungen für zugezogene Menschen aus anderen EU-Staaten einschränkt. Demnach dürfen Ansprüche in den ersten drei Monaten des Aufenthalts nicht von Einkünften aus einer Erwerbstätigkeit abhängig gemacht werden.

Die EuGH-Richter argumentierten, dass das in Rede stehende Kindergeld keine Sozialhilfeleistung im Sinne möglicher Ausnahmebestimmungen darstelle. Grund dafür sei, dass es nicht der Sicherstellung des Lebensunterhalts diene, sondern dem Ausgleich von Familienlasten. Da im EU-Recht hinsichtlich solcher Familienleistungen keine Ausnahme vom Grundsatz der Gleichbehandlung von Inländern und Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedsstaat vorgesehen sei, stehe das EU-Recht der deutschen Ungleichbehandlung entgegen.

Rechte Minderjähriger bei Antrag auf internationalen Schutz gestärkt

In einem weiteren Fall stärkte der EuGH die Rechte minderjähriger Flüchtlinge, die in Deutschland einen Antrag auf internationalen Schutz stellen. Es dürfe bei einem solchen Antrag keine Rolle spielen, ob den Eltern des Minderjährigen zuvor bereits in einem anderen Mitgliedstaat internationaler Schutz zuerkannt worden sei, urteilten die Richter. Voraussetzung ist demnach allerdings unter anderem, dass der Minderjährige zuvor nicht schon in einem anderen Land schriftlich um Schutz gebeten hat.

Damit widersprach der EuGH den deutschen Behörden. Diese hatten sich für den Antrag auf internationalen Schutz einer russischen Minderjährigen eigentlich nicht zuständig gefühlt, weil ihre Familie bereits einen Schutzstatus in Polen bekommen hatte.

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Hitzestress am Arbeitsplatz: Mehr Krankmeldungen bei Extremtemperaturen
02.07.2025

Extreme Sommerhitze belastet nicht nur das Wohlbefinden, sondern wirkt sich zunehmend auf die Arbeitsfähigkeit aus. Bei Hitzewellen...

DWN
Politik
Politik Europa vor dem Zerfall? Ex-Premier Letta warnt vor fatalem Fehler der EU
02.07.2025

Europa droht, zum Museum zu verkommen – oder zum Spielball von Trump und China. Italiens Ex-Premier Letta rechnet ab und warnt vor dem...

DWN
Politik
Politik Warum sprechen diese Woche alle über Trumps „Big Beautiful Bill“?
01.07.2025

Es ist Trumps größtes Prestigeprojekt. Doch welche Vor- und Nachteile hat das Gesetzespaket, das am Freitag unterschriftsreif auf dem...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Kernenergie-Aktien explodieren um 542 Prozent: Anleger warnen vor Blasenbildung
01.07.2025

Kernenergie-Aktien feiern ein spektakuläres Comeback – befeuert durch den steigenden Strombedarf für Rechenzentren. Die Branche erlebt...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Svenska Digitaltolk: Dolmetscher-Gigant kauft KI-Unternehmen – Millionenumsatz prognostiziert
01.07.2025

Schwedens Dolmetscher-Gigant will Europas Übersetzungsmarkt aufrollen – mit KI, Millionenplänen und dem Griff nach Deutschland. Doch...

DWN
Politik
Politik Grenze zu – zumindest teilweise: Polen kontrolliert ab Montag
01.07.2025

Polen wird ab kommendem Montag vorübergehend wieder Grenzkontrollen an der Grenze zu Deutschland einführen. Das kündigte...

DWN
Politik
Politik Krankenkassen schlagen Alarm: Zusatzbeiträge könnten deutlich steigen
01.07.2025

Die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) warnen vor Druck zu neuen Beitragserhöhungen ohne eine rasche Bremse für steigende Kosten....

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Thyssenkrupp-Umbau betrifft Tausende – Betriebsräte fordern Klarheit
01.07.2025

Angesichts weitreichender Umbaupläne bei Thyssenkrupp fordern die Beschäftigten klare Zusagen zur Zukunftssicherung. Betriebsräte pochen...