Politik

Wie sehr leiden die Russen unter den Sanktionen?

Lesezeit: 4 min
13.08.2022 09:08
Der Westen hat mit harten Sanktionen auf den Angriff auf die Ukraine reagiert. Welche konkreten Folgen hat dies für das Leben der russischen Bevölkerung?

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Am Tag des russischen Angriffs auf die Ukraine twitterte Sergey N.: „Was soll dieser Überfall?“ Danach schwieg er monatelang. Doch vor zwei Wochen meldete er sich wieder per Mail:“ Mich hatte es anfangs gefreut, dass der Westen so harte Sanktionen gegen Russland erlassen hat. Doch allmählich frage ich mich: Bringt das überhaupt was oder nützt das eher Putin?“. Sergey sieht nur die einfachen Russen als Verlierer: „Sie können keine westlichen Waren mehr kaufen und haben durch die Inflation Kaufkraft verloren.“ Allerdings glaubt er nicht, dass die Menschen deswegen in Massen auf die Straße gehen. Erstens habe der russische Staat noch genug Geld, um Subventionen für Grundnahrungsmittel zu zahlen. „Hungern wird kaum jemand in Russland“, meint Sergey. „Und zweitens machen viele Menschen allein den Westen für die Sanktionen verantwortlich.“

Alexander B. war vom russischen Angriff auf die Ukraine ebenfalls überrascht worden. Alexander, der sonst sehr aktiv in sozialen Medien ist, reagierte die ersten Wochen des Krieges überhaupt nicht. Im Juli meldet er sich auf Nachfrage doch noch und teilt mit: „In Moskau ist alles normal. Die Geschäfte sind weiter gut gefüllt und zum Teil gibt es auch noch westliche Waren. Aber weniger als früher.“ Vom Krieg sei nicht viel zu spüren. Subjektive Befindlichkeit oder allgemeine Realität?

Die Konsumausgaben der Russen sollen im Zeitraum März bis Mai um knapp zwanzig Prozent zurückgegangen sein. Das hat zum einen mit dem verminderten Warenangebot durch die Sanktionen zu tun und zum zweiten damit, dass die Reallöhne jetzt sieben Prozent niedriger liegen als noch vor einem Jahr. Der Durchschnittsrusse hat weniger Geld auf dem Konto. Dass der Rubel auf den höchsten Stand seit 2018 geklettert ist, erfreut die Regierung, bringt aber den russischen Konsumenten eher wenig. Denn nur bei Importen kann sich der hohe Rubelkurs günstig auswirken. Wegen der Sanktionen kann Russland jetzt aber insgesamt weniger importieren.

Probleme mit Ersatzteilen

Auf datierten Fotos, die ich von Bekannten aus Russland erhalten habe, wird deutlich, dass die Supermarktregale auch Anfang August immer noch gut gefüllt sind. Allerdings sind westliche Produkte nicht selten durch russische oder belarussische ersetzt worden. Die Geschäfte westlicher Produzenten in den Moskauer Einkaufscentern sind teilweise noch geöffnet. Verschiedene andere Hersteller beliefern dagegen nicht mehr den russischen Markt. So klagt die Freundin einer russischen Journalistin darüber, dass sie keine Ersatzteile für ihre Waschmaschine der Marke Bosch mehr erhalten kann. Sie hat nun das Gerät an einen Händler verkauft, der es vermutlich „ausschlachten“ wird.

Gegensanktionen

Sehr entscheidend wird sein, wie schnell es Russland gelingt, die weggefallenen Produkte durch eigene Waren zu ersetzen. Bei vielen Lebensmitteln dürften dies leichter sein als beispielsweise bei Pkws oder Hightech Produkten. Zudem gab es ja bereits schon seit 2014 ein russisches Gegenembargo im Lebensmittelsektor als Reaktion auf die nach der Besetzung der Krim erlassenen Sanktionen. Dadurch wurde der Zugang westlicher Produkte zum russischen Markt eingeschränkt, was in der Folge die russische Agrar- und Lebensmittelproduktion ankurbelte.

Die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln wie Brot, Butter, Eier und Zucker ist gewährleistet. Während im Westen viel über die Probleme der Ukraine ihr Getreide zu exportieren, gesprochen wird, vergisst man häufig, dass Russland bereits seit einigen Jahren der größte Weizenexporteur weltweit ist. Die russische Regierung hatte zu Beginn des Krieges die Exporte beschränkt, um sicherzustellen, dass genug Getreide für die eigene Bevölkerung zur Verfügung steht. Praktisch hat man die Versorgung der Russen über die Exportverpflichtungen gegenüber Ländern wie Ägypten gesetzt, die selbst auf russischen Weizen dringend angewiesen sind.

Knappe Getreidemärkte

Mittlerweile wird aber wieder geliefert. Allein Ägypten soll im Herbst über 200.000 Tonnen russisches Getreide erhalten. Die Ukrainer unterstellen Russland, dass es sich dabei oftmals um Getreide aus den von Russland besetzten ukrainischen Gebieten handelt. Doch das lässt sich schwer beweisen, da zum Teil russisches und ukrainisches Getreide vermischt werden und dann die Herkunft kaum noch nachweisbar ist. Hinzu kommt ein genereller Mangel auf den Märkten, der russisches Getreide begehrt macht.

Während in Russland die Versorgung mit Lebensmitteln und Kleidung weitgehend gesichert ist, sieht es im Automobilsektor schwieriger aus. Fast alle westlichen Hersteller liefern keine Ersatzteile mehr nach Russland und Autohäuser mit Westautos sind meist geschlossen. Glücklich ist, wer im Besitz eines chinesischen Modells ist, den China hat sich den Sanktionen komplett verweigert. Allerdings fahren die meisten Russen Autos aus den USA und vor allem Europa.

Doch es gelangen weiter Ersatzteile und Gebrauchtwagen ins Land. Zum Teil über Drittmärkte wie Kasachstan oder Kirgistan, die beide mit Russland in der „Eurasischen Wirtschaftsunion“ verbunden sind. Hier sind russische Händler schon seit Monaten auf den Gebrauchtwagenmärkten sehr aktiv. Beim Import nach Russland haben sie den Vorteil, dass aufgrund des gemeinsamen Marktes keine Zölle anfallen. Unterbinden kann der Westen das Vorgehen der Russen nicht, zumal meist kasachische oder kirgisische Händler zwischengeschaltet sind.

Angeblich sind auch gefälschte Ersatzteile im Umlauf, meist aus China und anderen asiatischen Ländern. Diese haben nicht immer die gleiche Qualität wie die Orginalersatzteile von Mercedes, BMW und anderen. Bei den Neuwagenverkäufen gibt es starke Einbrüche. Viele Russen scheinen wohl erst einmal abzuwarten, wie sich die Situation weiterentwickelt.

Im Hardwarebereich wirken sich die Sanktionen ebenfalls aus. Apple, IBM und Dell, die Chip Lieferanten AMD und Intel, aber auch Samsung haben alle ihre Aktivitäten bis auf Weiteres in Russland beendet. Auch Software Anbieter wie Microsoft und SAP beteiligen sich an den Sanktionen. Im IT-Sektor scheinen die Sanktionen die russischen Konsumenten mit am härtesten zu treffen.

Fazit

Die Wirksamkeit der Sanktionen in den Bereichen Kfz und Technikprodukte betreffen vor allem den konsumorientierten russischen Mittelstand, der überwiegend in Städten mit mindestens 100.000 Einwohnern lebt. Gerade die Menschen auf dem Land, die zum Teil auch Selbstversorger sind, treffen die Sanktionen insgesamt weniger. Und ein großer Teil der Anhängerschaft Putins rekrutiert sich aus der Bevölkerung außerhalb der Metropolen. Da die Grundversorgung gesichert ist, sind größere soziale Proteste in den nächsten Monaten eher unwahrscheinlich.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Bildung für die Zukunft SOS-Kinderdorf Thüringen im Einsatz für die Demokratie

In einer Zeit, in der die Unzufriedenheit mit der Politik wächst, engagiert sich das SOS-Kinderdorf Thüringen mit einem Demokratieprojekt...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Quiet Quitting: Der stille Job-Rückzug mit gefährlichen Folgen
22.12.2024

Ein stiller Rückzug, der Unternehmen erschüttert: Quiet Quitting bedroht die Substanz deutscher Betriebe. Warum immer mehr Beschäftigte...

DWN
Politik
Politik Steuern und Abgaben: Mehrheit der Steuerzahler zahlt 2025 noch mehr – mit oder ohne Ampel!
22.12.2024

Das „Entlastungspaket“ der Ampel ist eine Mogelpackung, denn Steuersenkungen sind nicht vorgesehen. Im Gegenteil: Ab dem 1. Januar 2025...

DWN
Technologie
Technologie DWN-Sonntagskolumne: Künstliche Intelligenz Hype Cycle - Zwischen Revolution und Enttäuschung
22.12.2024

Ist künstliche Intelligenz nur ein Hype oder der Beginn einer Revolution? Zwischen hohen Erwartungen, Milliardeninvestitionen und...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Psychische Gewalt am Arbeitsplatz: Ursachen, Folgen und Lösungen
22.12.2024

So können Unternehmen gegen verbale Übergriffe aktiv werden- Beleidigungen, Drohungen und Beschimpfungen: Rund ein Drittel der...

DWN
Politik
Politik Migrationskrise: Asyl-Rekordhoch in Deutschland und die illegale Migration an den Grenzen geht ungebremst weiter
22.12.2024

In Deutschland leben fast 3,5 Millionen Geflüchtete, von Asylsuchenden über anerkannte Flüchtlinge bis zu Geduldeten. Das ist ein neuer...

DWN
Finanzen
Finanzen Kindergeld beantragen: Tipps und wichtige Infos für 2025
22.12.2024

Wussten Sie, dass Sie Kindergeld bis zu sechs Monate rückwirkend erhalten können? Dies gilt sowohl für Ihr erstes Kind als auch für...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Märchen vorbei? Steht Deutschlands Automobilindustrie vor dem Aus?
22.12.2024

Volkswagen in der Krise, Mercedes, BMW & Co. unter Druck – und hunderttausende Jobs stehen auf dem Spiel. Wie kann der Kampf um...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Credit Suisse-Debakel: Ausschuss sieht Schuld bei Bank
22.12.2024

Die Nervosität an den Finanzmärkten war im Frühjahr 2023 groß - drohte eine internationale Bankenkrise? Für den Schweizer...