Gorbatschows Amtszeit als Generalsekretär der kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) von 1985 bis 1991 war vor allem durch zwei Begriffe geprägt. „Perestroika“ und „Glasnost“.
Perestroika und Glasnost
Perestroika bedeutete den Umbau des politischen und wirtschaftlichen Systems der Sowjetunion. Doch die von vielen Sowjetbürgern anfangs begrüßten Reformen konnte Gorbatschow nur teilweise umsetzen. Das galt besonders für die Wirtschaft, deren Lage sich in seiner Amtszeit immer mehr verschlechterte. Wer die Sowjetunion in dieser Zeit besuchte, wird sich sicher an oft leere Regale in den Lebensmittelläden und die langen Schlangen vor den Geschäften erinnern.
Vor den Moskauer Metrostationen sah man häufig Rentner, die ihre wenigen Habseligkeiten wie Geschirr, Kleider oder Schmuck zu verkaufen versuchten. Daher verbinden die Russen Gorbatschows Reformversuche vor allem mit Versorgungskrisen und wirtschaftlichen Chaos. Auch beim Umbau des politischen Systems kam Gorbatschow nur eingeschränkt voran.
Er versuchte häufig zwischen Reformern und Reformgegnern in der KPdSU zu vermitteln. Seine Politik wirkte dadurch oft unentschlossen. So befürwortete Gorbatschow ein Mehrparteiensystem, doch er wollte gleichzeitig die führende Rolle der KPdSU unbedingt bewahren. Diese schwankende, unentschlossene Politik wird ihm im heutigen Russland vorgeworfen.
Gorbatschow und die Russen
Gorbatschow gilt vielen Russen als der Mann, der die Sowjetunion zerstört hat. Dabei hatte Gorbatschow bis zuletzt versucht, die Sowjetunion zu bewahren. Doch seine Politik konnte die Probleme nicht lösen, die sich vor allem in der langen Amtszeit des früheren Generalsekretärs Leonid Breschnews angestaut hatten. Nur bei der Erweiterung der Presse- und Meinungsfreiheit, für die der Begriff „Glasnost“ stand, gab es messbare Fortschritte. Die Presse konnte offen Probleme in Staat und Gesellschaft thematisieren, und Regimegegner wie Andrei Sacharow wurden aus der Lagerhaft entlassen.
Gorbatschow hat besonders das sich zuspitzende Nationalitätenproblem der UDSSR unterschätzt. Als sich Litauen im Januar 1991 für unabhängig erklärt, versucht er dies mit dem Einsatz von Militär rückgängig zu machen. Beim „Blutsonntag von Vilnius“ kommen 19 Menschen ums Leben. Gorbatschow hatte seine Verantwortung für den „Blutsonntag“ stets abgestritten. Schon Anfang 1990 war es zu einem Einsatz der Armee gegen Separatisten in Aserbaidschan gekommen.
Gorbatschow kam den Führungen der einzelnen Sowjetrepubliken teilweise entgegen, doch er blieb ein Verfechter des sowjetischen Einheitsstaates. Darin unterschied er sich von seinem größten Konkurrenten Boris Jelzin, der eine Wiederherstellung des russischen Nationalstaates anstrebte, wenngleich im lockeren Verbund mit anderen Sowjetrepubliken, insbesondere mit der Ukraine und Belarus.
Boris Jelzin
Der gescheiterte Putsch von hochrangigen Militärs und Geheimdienstlern im August 1991 ebnete schließlich Boris Jelzin den Weg an die Macht, der sich klar für die Auflösung des sowjetischen Staates aussprach. Das Verbot der KPdSU war der Anfang vom Ende der Sowjetunion. Im Dezember 1991 trat Gorbatschow als Staatspräsident zurück und am 31. Dezember hörte die Sowjetunion auf zu bestehen.
Auch Jelzin wird im heutigen Russland meist kritisch gesehen, doch die Hauptschuld für das Ende der Sowjetunion sieht die russische Öffentlichkeit bei Gorbatschow. Und nicht wenige Russen teilen die Position von Präsident Putin, der den Untergang der Sowjetunion als „größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet hatte.
Auch in den Nachbarländern Russlands ist der Blick auf Gorbatschow und seine Politik nicht unbedingt positiv. Im Baltikum wird Gorbatschow als der Politiker gesehen, der den Unabhängigkeitsbestrebungen der Balten einen Riegel vorschieben wollte. In der Ukraine und Belarus ist die Haltung ihm gegenüber bestenfalls gleichgültig.
Nach seinem Rücktritt als Staatspräsident zog sich Gorbatschow aus der Politik zurück und widmete sich vor allem zwei von ihm gegründeten Stiftungen. Einen letzten Versuch zur Rückkehr in die Politik startete er bei den Präsidentschaftswahlen 1996, erhielt aber nur 0,5% der Stimmen.
Gorbatschow unterstellte der russischen Regierung unter Jelzin Wahlbetrug, doch der frühere sowjetische Staatspräsident war bereits zu dieser Zeit in Russland sehr unpopulär geworden. Die russische und internationale Öffentlichkeit begann Gorbatschow langsam zu vergessen. Nur von Zeit zu Zeit äußerte er sich zu Fragen der internationalen Politik.
Er unterstellte den USA, nach Hegemonie in der Welt zu streben und unterstützte nach der Annexion der Krim 2014 Putin und die russische Außenpolitik: „Ich werde Russland und seinen Präsidenten Wladimir Putin entschlossen verteidigen. Ich bin absolut überzeugt, dass Putin heute besser als jeder andere die Interessen Russlands verfolgt.“
Gorbatschow warf dem Westen vor, einen neuen „Kalten Krieg“ gegen Russland zu führen und kritisierte auch die Osterweiterung der NATO. Doch ist es bis heute unklar, ob es wirklich die Zusicherung einer Nichtausdehnung der NATO nach Osten gab. Klar ist allerdings, dass sein Nachfolger Boris Jelzin in der 1997 unterzeichneten NATO-Russland Grundakte auf ein Vetorecht gegen die Aufnahme neuer Mitglieder in die NATO verzichtet hatte. Trotzdem wird vor allem Gorbatschow im heutigen Russland für die stillschweigende Akzeptanz der NATO-Osterweiterung kritisiert.
Gorbatschow und Putin
Sein Verhältnis zu Putin blieb ambivalent. Noch 2011 kritisierte Gorbatschow Putin und das Parlament: „Putin will an der Macht bleiben. Aber nicht, um endlich unsere dringendsten Probleme zu lösen – Bildung, Medizin, Armut. Das Volk wird nicht gefragt, die Parteien sind Marionetten des Regimes“. Seit der Krim Krise 2014 hielt sich Gorbatschow mit offener Kritik eher zurück.
Gorbatschow, der Bauernsohn aus Südrussland, war ein Mann aus dem Volk. Trotzdem wurde er vom russischen Volk nie wirklich verstanden und schon gar nicht geliebt. Das ist die Tragik des Michail Gorbatschow.