Finanzen

Historisch schlechtes Timing: Deutsche Bank steigt in hochriskanten Markt ein

Lesezeit: 6 min
10.09.2022 08:57  Aktualisiert: 10.09.2022 08:57
Die Deutsche Bank steigt in das „Buy now, Pay later“-Geschäft ein – in einem wirtschaftlichen Umfeld, das so schlecht ist wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Eine symbolträchtige Fehlinvestition genau zum falschen Zeitpunkt. Und das am Vorabend der größten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten?

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Die Deutsche Bank will in den „Buy Now, Pay later“ Markt einsteigen, wie das Fachportal Finanzszene berichtet. Das größte deutsche Finanzinstitut wäre damit eines der ersten seiner Art in Deutschland mit einer eigenen Sparte in diesem Bereich. Das Timing ist fragwürdig, sind doch die wirtschaftlichen Aussichten so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Oder ist es gerade deshalb ein guter Zeitpunkt, sozusagen als eine Art antizyklische Investition?

Zinsfreie Konsum-Schulden – mit Haken

„Buy now, pay later“ (BNPL) ist die Bezeichnung für ein spezielles Geschäftsmodell, bei dem der Zahlungsanbieter direkt am Point-of-Sale eine Bezahlung zu einem späteren Zeitpunkt - meist als Ratenzahlung - offeriert. Üblicherweise muss dabei ein Teil der Kaufsumme (zum Beispiel ein Viertel) direkt bezahlt werden. Im Prinzip handelt es sich also um einen spontanen Konsum-Kredit. In aller Regel ist dieser Kredit zinsfrei und die Rückzahlungssumme nicht höher als der Kaufpreis.

Weniger finanzkräftige Nutzer sind unter Umständen von solchen Zahlungslösungen ausgeschlossen und die Kaufsumme auf einen Maximalbetrag (je nach Anbieter so zwischen 1.000 und 15.000 Euro) gedeckelt. Für Verbraucher kann die Inanspruchnahme eines solchen Konsumkredits Probleme verursachen, selbst wenn die Summe pünktlich zurückgezahlt wird, denn es könnte zu einer Abstufung der Kreditwürdigkeit führen.

Im Hintergrund steht ein Finanzdienstleister, in diesem Falle die Deutsche Bank, der als Intermediär den BNPL-Kredit refinanziert und das Ausfallrisiko übernimmt. Wie oben erwähnt: Die meisten BNPL-Anbieter verdienen in Ermangelung erhobener Kreditzinsen nicht viel an einer Transaktion – nur Zahlungsgebühren, die von der Handelsplattform beziehungsweise dem Verkäufer zu entrichten sind. Das eigentlich wertvolle sind also die Kundendaten und die Möglichkeit Neukunden zu gewinnen.

Das neueste Projekt der Deutschen Bank wird von der Firmenkundensparte gemanaged. Zunächst wolle man die Lösung bei großen Onlinehändlern und digitalen Marktplätzen anbieten, sagte „Head of Merchant Solutions“ Kilian Thalhammer gegenüber Finanzszene. Laut dem Fachportal hat die Deutsche Bank die technische Lösung für ihr “Buy now, Pay later”-Angebot dabei nicht selbst entwickelt, sondern greift auf die Software eines österreichischen Fintech namens Credi2 zurück.

Die Händler sollen in einem eigens dafür vorgesehenen Portal „die volle Kontrolle über die Transaktionen mit ihren Neu- und Bestandskunden” behalten. Allerdings kann die Deutsche Bank den Endkunden des Händlers auch weitere Finanzprodukte anbieten, sofern der Händler damit einverstanden ist.

Das „Buy now, Pay later“ Geschäft ist hart umkämpft

Die Frankfurter Großbank steigt reichlich spät in diesen Markt ein. Das Geschäft „Buy now, Pay later“ ist mit nationalen Wettbewerbern wie Ratepay, Mondu oder Billie und internationalen Fintechs wie Klarna und Affirm bereits hart umkämpft. Der Zahlungsriese Paypal bietet mit Ratenzahlungen in vier Schritten schon längst eine BNPL-Option an. Onlinehandel-Marktführer Amazon hat „Buy now, Pay later“ Optionen verschiedener Anbieter (darunter Klarna und Affirm) auf der Plattform integriert. Auch Apple ist jüngst in den Markt eingestiegen und bietet jetzt BNPL für das hauseigene Zahlungssystem Apple Pay an. Es ist also fraglich, inwieweit die Deutsche Bank in diesem Markt überhaupt noch Fuß fassen kann.

Zudem stellt sich die Frage, ob es im aktuellen wirtschaftlichen Umfeld (Rezession, hohe Inflation, Energiekrise) generell eine so gute Idee ist, in das Geschäft mit kurzfristigen Konsum-Krediten zu investieren. Wenn in einer Wirtschaftskrise die Umsätze im E-Commerce zurückgehen und zugleich die Kreditwürdigkeit der Verbraucher drastisch sinkt, dann ist das ein alles andere als ein rosiges Umfeld für „Buy now, Pay later“ Anbieter. Wachstum gibt es hier nur noch, wenn immer mehr zweifelhafte Konsumkredite gewährt werden. Aus den USA kommen zurzeit alarmierende Meldungen, wonach BNPL-Schulden zunehmend für Einkäufe des täglichen Bedarfs verwendet werden. Die durchschnittliche Qualität dieser Schulden scheint sich also jetzt schon zu verschlechtern.

Die Marktführer Klarna und Affirm haben derweil seit Jahresbeginn 80 bis 90 Prozent ihrer Marktkapitalisierung verloren und Teile der Belegschaft entlassen müssen. Fairerweise muss man hinzufügen, dass das Urteil des Finanzmarktes nicht unbedingt das Geschäftsmodell „Buy now, Pay later“ an sich abstraft, sondern vor allem die Neubewertung von gehypten Wachstumsfirmen aus dem Fintech-Bereich reflektiert.

Branche soll stärker reguliert werden

Auch von Seite der Regulatoren droht Ungemacht. Im Entwurf einer neuen Verbraucherkredit-Richtlinie schlägt die EU-Kommission vor, dass sämtliche BNPL-Angebote „aufgrund der bei Zahlungsverzug anfallenden hohen Kosten oder Gebühren“ unter den Anwendungsbereich des Verbraucherschutz fallen. Die festgeschriebenen Ausnahmen (Darlehen unter 200 Euro, Darlehen mit einer Rückzahlungsfrist unter drei Monaten und Darlehen ohne Kosten durch Zinsen oder Entgelte) sollen dann nicht mehr gelten. In der Praxis ist fast immer mindestens eines dieser drei Kriterien erfüllt. Bei Kreditprodukten, die unter eines dieser Kriterien fallen, konnte bisher insbesondere auf die vorvertraglichen Informationspflichten sowie die Kreditwürdigkeitsprüfung verzichtet werden.

Sollte die neue Richtlinie zur Anwendung kommen, würde dies insgesamt einen deutlich höheren Verwaltungsaufwand für die Anbieter bedeuten. So etwas wie automatisierte Bonitätsprüfungen wären unter den verschärften Auflagen wohl nicht mehr möglich. Der ein oder andere Anbieter, der sich den zusätzlichen regulatorischen Aufwand nicht leisten kann, dürfte gezwungen sein, sich komplett aus dem BNPL-Markt zurückzuziehen. Credi2, der neue Partner der Deutschen Bank, stellte in einer Umfrage fest, dass die Bankenbranche die schärfere Regulierung mehrheitlich befürwortet. Zitat: „Durch diese Regelung würde BNPL mit klassischen Konsumentenkrediten gleichgesetzt. Banken haben dann den Vorteil, dass sie die hohen Regulierungsauflagen der Behörden längst erfüllen.“ Ob die Deutsche Bank also mittelfristig sogar von härteren Vorschriften profitieren würde?

Nicht unbedingt. Denn auch den Verbrauchern würden Steine in den Weg gelegt, sollen doch die bisherigen Anforderungen an die vorvertraglichen Informationspflichten für BNPL-Produkte massiv verschärft werden. Falls der Entwurf Realität wird, müssten Anbieter künftig das Formular “Europäische Standardübersicht über Verbraucherkredite“ bereitstellen, und zwar mindestens einen Tag vor Vertragsabschluss. Mit der relativ unkomplizierten und schnellen Ratenzahlung – für die Konsumenten ein zentraler Anziehungsfaktor – wäre es dann vorbei.

Das Timing der Deutschen Bank, es könnte wohl schlechter nicht sein. Hat die traditionsreiche Universalbank doch einen vielversprechenden Plan? Oder handelt es sich um eine symbolträchtige Fehlentscheidung der Führungsetage des größten deutschen Finanzhauses, das heute nur noch ein Schatten seines früheren Selbst ist.

Die zahlreichen Probleme der Frankfurter Großbank

Das wird sich erst mit der Zeit herausstellen. Die wirklichen Probleme des Geldhauses sind jedenfalls ganz andere. Seitdem unter Präsident Christian Sewing die Strategiewende (Fokus hin zu Unternehmens- und Privatkunden, weg vom Investment-Banking) vollzogen wurde, konnte sich die Bank in den letzten Jahren zwar ein wenig stabilisieren und 2021 sogar einen ansehnlichen Gewinn von 3,4 Milliarden Euro bei einer Eigenkapitalrendite von 3,8 Prozent verbuchen. Im ersten Halbjahr 2022 steht bislang ein beachtlicher Gewinn von 2 Milliarden Euro.

Die aktuell bei 8,2 Euro notierende Aktie dümpelt allerdings nachwievor ziemlich vor sich hin – bei einer Bandbreite zwischen 16 und 4 Euro. Das Kurs-Buchwert-Verhältnis von 0,3 reflektiert die Einschätzung des Marktes, dass (zukünftige) Risiken und bevorstehende Ertragseinbrüche in der Bilanz nicht oder nur unzureichend abgebildet sind. Anfang des Jahres haben sich die US-Finanzinvestoren Cerberus und Capital Group von ihren Anteilen getrennt, was durchaus Symbolcharakter besitzt. Die CDS Spreads (Prämien von Kreditausfallversicherungen für Anleihen der deutschen Bank) haben sich seit Jahresbeginn verdreifacht. Trotz zeitweiser Stabilisierung bleiben die zahlreichen fundamentalen Probleme der Frankfurter Großbank bestehen. Die da wären:

  • mehr als die Hälfte der diesjährigen Gewinne dürften auf die volatile Investmentbanking-Sparte entfallen, wobei nur 30 Prozent angepeilt waren. Das spricht eher nicht für einen erfolgreichen Konzernumbau mit Fokus auf Unternehmens- und Privatkunden.
  • das Kerngeschäft mit Unternehmens- und Immobilien-Krediten wird in einer kommenden Rezession sehr wahrscheinlich unter die Räder kommen. Schon zuvor dürfte es zu einer milliardenschweren Belastung durch erhöhte Rückstellungen für drohende Verluste durch Kreditausfälle kommen. Während Branchenprimus J.P. Morgan vor einem „Finanzsturm“ warnt und die Risikovorsorge um 1,1 Milliarden Dollar erhöht, scheint die Deutsche Bank für solche vorbeugenden Maßnahmen keinen Bedarf zu sehen. Zur Erinnerung: 2019 erzielte die Frankfurter Großbank noch einen Verlust von 5,3 Milliarden Euro und damals war die konjunkturelle Lage im Vergleich zu heute geradezu rosig. Mit einem Eigenkapital von circa 60 Milliarden Euro, was einer harten Eigenkapitalquote von 4 Prozent entspricht, ist die Bank unzureichend kapitalisiert und alles andere als krisenfest.
  • überall heißt es, die Banken müssten durch die Zinswende von steigenden Zinsmargen profitieren. Das ist perse nicht falsch, aber wo soll in einer Wirtschaftskrise das Kreditwachstum – ein ebenso bedeutender Indikator für die Ertragskraft einer Bank – herkommen? Und welche Schuldner können sich im aktuellen Umfeld die steigenden Zinsen überhaupt leisten?
  • in der Finanzwelt wird seit vielen Jahren über das gigantische, nicht bilanzierte, Derivate-Portfolio von rund 40 Billionen (Tausend Milliarden) Euro gemunkelt. In einem großen Finanzcrash inklusive Ausfall von Gegenparteien im Derivategeschäft könnten hier astronomische Verluste entstehen. Teile dieses Derivate-Portfolios wurden zusammen mit toxischen Hypotheken-Papieren und notleidenden Krediten in eine interne „Bad Bank“ ausgelagert. Diese Bad Bank macht rund 14 Prozent der Bilanzsumme aus (200 Milliarden von 1.450 Milliarden) und hat seit ihrer Gründung 2019 nur Milliardenverluste angehäuft.
  • teure Rechtsstreitigkeiten wirken weiterhin belastend auf die Zahlen.
  • veraltete IT-Strukturen. Erst vor einer Woche kam es zu massiven Störungen im Onlinebanking. Die für 2023 angepeilte Integration des IT-Systems der Postbank könnte zu einem Fiasko werden.
  • ein riesiger und überteuerter Personalapparat. Zuletzt musste die Universalbank die Ziele für die Gesamtkosten in 2022 nach unten revidieren. Analysten gehen von etwa 19 Milliarden Euro aus, ursprünglich geplant waren 17 Milliarden.

In einer großen Krise wäre die Deutsche Bank besonders hart betroffen

Fazit: Der Einstieg in den „Buy now, Pay later“ Markt kommt zu einem ziemlich ungünstigen Zeitpunkt. Antizyklische Investitionen in neue Geschäftsbereiche können Sinn ergeben, aber hier handelt es sich um einen hart umkämpften, mäßig profitablen Markt ohne große Wachstumsphantasien. Ich interpretieren all das eher als schlechtes Omen für die Zukunft der krisengebeutelten Großbank. Die zukünftige Entwicklung von Deutschlands größtem Finanzinstitut sollte man derweil ganz besonders aufmerksam beobachten. Wenn es in der Wirtschaft und/oder im Finanzsystem noch zu größeren Turbulenzen kommt, dann wäre die Deutsche Bank mit ihrem kolossalen Engagement im Kredit- und Derivate-Markt wohl als eines der ersten großen Finanzhäuser im Kreuzfeuer.

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Jakob Schmidt ist studierter Volkswirt und schreibt vor allem über Wirtschaft, Finanzen, Geldanlage und Edelmetalle.


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