Die deutsche Wirtschaftsleistung schrumpft im September als Folge der gegen russische Energieprodukte verhängten Sanktionen, hoher Inflation und steigender Zinsen so stark wie seit den Anfängen der Corona-Pandemie vor fast zweieinhalb Jahren nicht mehr.
Der Einkaufsmanagerindex für die Privatwirtschaft - Industrie und Service-Sektor zusammen - sank um 1,0 auf 45,9 Punkte. Das sei der niedrigste Stand seit Mai 2020, teilte der Finanzdienstleister S&P Global am Freitag zu seiner monatlichen Umfrage unter rund 800 Unternehmen mit. Damit liegt das an den Finanzmärkten viel beachtete Barometer merklich unter der Marke von 50, ab der es ein Wachstum signalisiert.
„Angesichts der beschleunigten Talfahrt und der sich weiter eintrübenden Frühindikatoren dürfte die deutsche Wirtschaft im dritten Quartal 2022 schrumpfen“, kommentierte S&P-Ökonom Phil Smith die Entwicklung. „Und der Ausblick für das vierte Quartal ist ebenfalls wenig positiv.“ Besonders bei den Dienstleistern trübt sich die Lage ein, „da die Ausgabenbereitschaft der Kunden wegen knapper werdender Budgets und immer unsichererer Aussichten deutlich zurückging.“
Dagegen sank die Produktion in der Industrie aufgrund nachlassender Materialengpässe nicht mehr ganz so stark. Allerdings zeigten sich beide Wirtschaftssektoren gleichermaßen besorgt über die Entwicklung in den nächsten Monaten, da die Energiekrise mehr und mehr Rezessionsängste schüre.
Europaweiter Abschwung
Energiekrise und Rekordinflation bremsen auch die Wirtschaft der Euro-Zone so stark aus wie seit über anderthalb Jahren nicht mehr. Der Einkaufsmanagerindex für die Privatwirtschaft von S&P Global fiel im September um 0,7 auf 48,2 Zähler. Dies ist der schlechteste Wert seit 20 Monaten und der dritte Rückgang in Folge. Damit liegt das Barometer zugleich merklich unter der Wachstumsschwelle von 50.
„Angesichts der sich verschlechternden Geschäftslage und des zunehmenden Preisdrucks infolge steigender Energiekosten ist mit einer Rezession in der Euro-Zone zu rechnen“, sagte S&P Global-Chefvolkswirt Chris Williamson. In vielen Euro-Ländern zeichnet sich ein merklicher Abschwung ab. „Deutschland hat es am schlimmsten erwischt, denn hier ging es mit der Wirtschaft - abgesehen von den Pandemie-Monaten - so rasant bergab wie seit der globalen Finanzkrise nicht mehr“, sagte Williamson.
Obwohl es Anzeichen für nachlassende Lieferkettenprobleme gibt, bereiteten die durch die Sanktionen und die Energiewende ausgelöste Energie-Krise und die steigenden Lebenshaltungskosten den Unternehmen große Sorgen. „Beides beeinträchtigte nicht nur die Nachfrage, sondern sorgte bei einigen Firmen auch für eine eingeschränkte Industrieproduktion und Geschäftseinbußen im Servicesektor“, sagte der Chefvolkswirt. Gleichzeitig habe der sprunghafte Anstieg der Energiekosten den Inflationsdruck wieder angefacht. „Für die Geldpolitiker wird es daher immer schwieriger, die Inflation zu bändigen und gleichzeitig eine harte Landung der Wirtschaft zu vermeiden“, sagte Williamson mit Blick auf die Europäische Zentralbank (EZB), die ihre Zinsen zuletzt zweimal in Folge angehoben hat.
Union warnt vor Insolvenzwelle und De-Industrialisierung
Die Union hat wegen der Energiekrise vor einer Insolvenzwelle von Unternehmen in Deutschland gewarnt und der Bundesregierung mangelndes Handeln vorgeworfen. Die Lage sei dramatisch, sagte CDU-Generalsekretär Mario Czaja am Freitag im Bundestag. Die Regierung reagiere darauf aber in keiner anständigen Art und Weise. So habe die Union schon vor Wochen einen Energiepreisdeckel gefordert.
Czaja griff auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) persönlich an. Dieser sei mit dafür verantwortlich, dass es ein Chaos und Gegeneinander in der Regierung gebe. Habeck steht vor allem wegen der umstrittenen Gasumlage in der Kritik.
In einem Antrag der CDU/CSU-Fraktion heißt es, in Deutschland drohe eine Insolvenzwelle, einhergehend mit einem starken Verlust an Arbeitsplätzen und einer Deindustrialisierung. Die Union fordert in dem Antrag unter anderem, die Verordnung der Bundesregierung über die Gasumlage mit sofortiger Wirkung aufzuheben. Außerdem solle eine Preisbremse für Unternehmen und Betriebe eingesetzt werden.
Auch für kleine und mittlere Firmen müsse es eine wirkungsvolle finanzielle Unterstützung geben, die durch die hohen Energiekosten in besonderer Weise belastet seien. Habeck hatte am Donnerstag wegen der stark gestiegenen Energiekosten erweiterte Hilfen für Unternehmen angekündigt.
Konjunktursorgen setzen Europas Börsen erneut zu
Wegen der negativen Konjunkturaussichten machen Anleger einen Bogen um europäische Aktien. Dax und EuroStoxx50 fielen am Freitag um jeweils etwa 2,5 Prozent auf 12.200 und 3350 Punkte. „Dass zumindest Europa in eine Rezessionsphase eintritt, wird inzwischen nur noch von den wenigsten bezweifelt“, sagte Analyst Jens Herdack von der Weberbank. Da die heimische Wirtschaft sowohl unter den Zinserhöhungen der Notenbanken als auch unter der durch den Ukraine-Krieg und den Sanktionen ausgelösten Energiekrise leide, werde der Abschwung voraussichtlich deutlicher ausfallen als in den USA.
Der Euro setzte seine Talfahrt fort und markierte mit 0,9753 Dollar erneut ein 20-Jahres-Tief. „Offensichtlich glaubt die Mehrheit auf dem Parkett nicht, dass die Europäische Zentralbank mit dem hohen Straffungstempo der US-Notenbank Fed Schritt halten kann“, sagte Portfolio-Manager Thomas Altmann vom Vermögensberater QC Partners.
Ein weiterer Belastungsfaktor seien die anstehenden Parlamentswahlen in Italien, fügte Altmann hinzu. Das in Umfragen führende rechte Wahlbündnis sei weniger EU-freundlich als die bisherigen Regierungen. Daher müssten sich Investoren vor allem bei italienischen Staatsanleihen auf Kursausschläge gefasst machen. Am Freitag waren sie aber wie ihre deutschen Pendants als Alternative zu Aktien gefragt. Dies drückte die Rendite der zehnjährigen Titel auf 4,195 Prozent.
Aus Rohstoffen zogen sich Investoren zurück. Die Rohöl-Sorte Brent aus der Nordsee verbilligte sich um knapp zwei Prozent auf 88,83 Dollar je Barrel (159 Liter). „Angesichts der beschleunigten Zinserhöhungen der großen Notenbanken überschattet das Risiko einer weltweiten Rezession die Angebotsprobleme - ungeachtet der jüngsten Eskalation des Ukraine-Kriegs“, sagte Analystin Tina Teng vom Brokerhaus CMC Markets. Mit Industriemetallen ging es ebenfalls abwärts. Kupfer büßte 2,3 Prozent auf 7503 Dollar je Tonne ein.