Die EU-Kommission hat am Montag das so genannte Single Market Emergency Instrument vorgestellt, auf Deutsch etwa „Binnenmarkt-Notfallinstrument“. Damit beansprucht sie weitreichende neue Befugnisse zur Regulierung der europäischen Industrie in Krisenzeiten. Die 27 Mitgliedstaaten und das EU-Parlament müssen die Vorlage noch bestätigen.
Nach Ansicht von Brüsseler Beamten ist das neue Instrument notwendig, um Störungen, wie sie während der Covid-19-Pandemie auftraten, zu bewältigen. Damals versuchten die USA und andere Länder, die Ausfuhr von Impfstoffen und anderen gesundheitsbezogenen Produkten zu blockieren.
„Wir brauchen neue Instrumente, die es uns ermöglichen, schnell und kollektiv zu reagieren“, zitiert das Wall Street Journal die dänische EU-Vizepräsidentin Margrethe Vestager. Den Angaben zufolge soll das neue Instrument unter anderem dazu dienen, mögliche Probleme in den Lieferketten besser zu verfolgen, bevor es zu einer Krise kommt.
In einer so genannten Notfallphase würden zudem Maßnahmen in Kraft treten, die Unternehmen dazu verpflichten, Brüssel Informationen zur Verfügung zu stellen oder bestimmte Aufträge vorrangig zu bearbeiten. Die Kommission rechtfertigt diesen Eingriff damit, dass Engpässe Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft der EU haben könnten.
Länder wie die USA und Japan haben in den letzten Jahren Schritte unternommen, um die Produktion und den Verkehr von Waren stärker zu kontrollieren, die in Notfällen oder zur Aufrechterhaltung ihrer Wirtschaft benötigt werden. Einige EU-Beamte haben erklärt, dass auch die EU derartige Notfallinstrumente braucht.
EU soll noch mehr Macht erhalten
Der Plan würde die EU ermächtigen, bestehende Verträge der Unternehmen außer Kraft zu setzen. Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) sieht die Gefahr, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen beeinträchtigt wird, wenn man ihnen vorschreibt, welchen Aufträgen sie im Notfall Vorrang zu geben hätten. „Für eine global vernetzte Branche wie den Maschinen- und Anlagenbau ist Liefertreue unverzichtbar“, sagte Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann.
Die Kommission verspricht, dass sie Fälle berücksichtigen werde, in denen die vorrangige Behandlung eines Auftrags für ein Unternehmen zu einer Haftung führen könnte, weil die Verträge dem Recht eines Landes außerhalb der EU unterliegen. Zudem würden die Unternehmen die Möglichkeit erhalten, der Kommission zu erklären, warum sie ihrer Anordnung, bestimmten Aufträgen Vorrang zu geben, nicht nachkommen können.
Die Geldbußen für die Nichteinhaltung der Vorschriften könnten bis zu 1 Prozent des durchschnittlichen Tagesumsatzes eines Unternehmens für jeden Arbeitstag betragen, an dem es sich nicht an die Anordnung aus Brüssel hält, heißt es in der Vorlage. Beamte sagten, solche Geldbußen könnten für Unternehmen gelten, die versprochen haben, Aufträge vorrangig zu behandeln, dies aber nicht einhalten.
In Fällen, in denen ein Unternehmen ungenaue Angaben macht oder nicht erklärt, warum es einer Aufforderung zur vorrangigen Bearbeitung eines Auftrags nicht nachkommen kann, sollen die Bußgelder bis zu 200.000 Euro betragen.
Der Vorschlag sieht vor, dass die EU-Kommission eine beratende Gruppe einsetzt, die in normalen Zeiten Ratschläge für Maßnahmen zur Verhinderung oder Bewältigung möglicher künftiger Versorgungsunterbrechungen geben kann.
In einem so genannten Wachsamkeitsmodus, in dem die Beamten glauben, dass eine größere Unterbrechung der Versorgung mit strategisch wichtigen Waren oder Dienstleistungen droht, könnte die Kommission die Mitgliedstaaten auffordern, bestimmte Waren auf Vorrat zu lagern.
Wenn die Besorgnis in den Augen der Brüsseler Beamten in einen Notfall übergeht, könnte die Kommission zudem die Befugnis haben, von Unternehmen Informationen über ihre Geschäfte anzufordern. Wenn die Kommission Unternehmen auffordert, bestimmte Waren vorrangig zu bestellen, müssten sie dieser Aufforderung entweder nachkommen oder erklären, warum sie dies nicht tun können.
Die Beamten wären auch befugt, den EU-Mitgliedstaaten bestimmte Entscheidungen zu untersagen, wenn diese nationalen Entscheidungen nach Ansicht von Brüssel nicht gerechtfertigt sind und den europäischen Lieferketten in einer Krise ernsthaft schaden könnten.