Wirtschaft

Kampf um Gasvorkommen im Mittelmeer

Aufgrund der Energiekrise, werden die Gasvorkommen im Mittelmeer wieder interessanter für Staaten und die Unternehmen. Aktuell werden die Ergebnisse aus den Seeverhandlungen zwischen dem Libanon und Israel gespannt erwartet. Alle Staaten in der Region wollen die Gaslieferungen nach Europa ankurbeln.
02.10.2022 08:14
Aktualisiert: 02.10.2022 08:14
Lesezeit: 5 min
Kampf um Gasvorkommen im Mittelmeer
Eine Einigung im Seehandel zwischen Israel und Libanon wäre zum Vorteil für die Mittelmeerregion. (Foto: iStock.com/PeterHermesFurian) Foto: PeterHermesFurian

Die Seegespräche zwischen Israel und dem Libanon werden laut der britischen Nachrichtenagentur Middle East Eye im gesamten östlichen Mittelmeerraum aufmerksam verfolgt. Die Hoffnung ist, dass eine Einigung das Interesse an der Region stärkt, die sich als Energiedrehscheibe und alternativer Lieferant für russisches Gas positionieren will. Seit Jahren schmieden Länder, die die Ressourcen unter dem Mittelmeer anzapfen wollen, Pläne für ein Netz von Pipelines und Kabel, die sie mit den Märkten in Europa verbinden könnten. Ihre Bemühungen wurden jedoch durch geopolitische Spannungen und Bedenken hinsichtlich der wirtschaftlichen Tragfähigkeit der Projekte zunichte gemacht.

Die Rivalen Griechenland und Türkei streiten sich um Gebiete am Meeresboden, in denen lukrative Gasvorkommen vermutet werden, doch keiner der beiden Staaten war bisher in der Lage, den Prozess über das Anfangsstadium hinauszubringen. In der Zwischenzeit hat die geteilte Insel Zypern drei große Gasfunde gemacht, aber noch nicht mit den Bohrungen begonnen, da die international anerkannte griechisch-zypriotische Regierung im Süden und der türkisch kontrollierte Norden Zyperns um die Aufteilung der Ressourcen streiten.

Abkommen wäre positiver Schritt für die Region

Die Gespräche zwischen Israel und dem Libanon stehen zwar nicht in direktem Zusammenhang mit diesen Spannungen, doch Diplomaten und Energiebeamte sind laut der britischen Nachrichtenagentur der Meinung, dass ein Abkommen zwischen den beiden Ländern, die sich technisch gesehen immer noch im Kriegszustand befinden, ein positiver Schritt für die Region wäre. „Ein Abkommen zwischen Beirut und Jerusalem würde die Rolle des östlichen Mittelmeers als Energielieferant für Europa erheblich stärken“, so ein hochrangiger Diplomat mit Kenntnis der Gespräche gegenüber Middle East Eye.

Ein anderer Diplomat, der die Gespräche verfolgte, betont die finanzielle Komponente: „Angesichts der Art von Energieprojekten, ob Plattformen zur Kohlenwasserstoffgewinnung, Stromanschlüsse, die Verlegung von Kabeln oder Pipelines, wird viel Kapital benötigt und ein enormes Risiko eingegangen. Die Abgrenzung schafft die dringend benötigte Rechts- und Planungssicherheit.“

Es steht viel auf dem Spiel. Israel will nach eigenen Angaben ab dem 1. Oktober Gas aus Karish, einem der mit dem Libanon umstrittenen Felder, in die Pipeline leiten. Die vom Iran unterstützte Hisbollah im Libanon hat mit militärischen Maßnahmen gedroht, falls Israel mit der Förderung beginnt, bevor ein Seevertrag zustande gekommen ist. Letzte Woche warnte Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah, dass „unsere Raketen auf Karish gerichtet sind“. Am Rande der UN-Vollversammlung finden diese Woche indirekte, von den USA vermittelte Gespräche statt und es gibt Anzeichen dafür, dass eine Einigung kurz bevorsteht.

Abkommen wäre diplomatischer Erfolg für US-Regierung

Der israelische Ministerpräsident Yair Lapid äußerte sich am 21. September auf einer Pressekonferenz in New York „vorsichtig optimistisch“ zu den Gesprächen, während sein libanesischer Amtskollege Najib Mikati sagte: „Wir hoffen, dass wir eine Lösung finden und wir sind hoffnungsvoll, dass wir uns in den letzten Schritten befinden.“ Derzeitige und ehemalige Diplomaten in der Region erklärten gegenüber MEE, ein positiver Aspekt der Verhandlungen sei ein stärkeres Engagement der USA im östlichen Mittelmeerraum zu einer Zeit, in der sich die Regierung Biden auf den Krieg in der Ukraine und die Großmachtrivalität mit China konzentriere.

Nur die USA wäre imstande, so ein Abkommen in die Wege zu leiten, so Eran Lerman, ehemaliger stellvertretender Direktor für Außenpolitik und internationale Angelegenheiten beim Nationalen Sicherheitsrat Israels und Vizepräsident des Jerusalemer Instituts für Strategie und Sicherheit, gegenüber dem MEE. „Ein Abkommen würde die diplomatische Rolle der USA in der Region zu einer Zeit bekräftigen, in der die Russen in der Ukraine vor Herausforderungen stehen“, so Lerman.

Diplomaten zufolge verstärken die USA und Frankreich ihre Lobbyarbeit unter anderem, um das in Frankreich ansässige Unternehmen TotalEnergies in der Region zu halten. Im September hob der libanesische Präsident Michel Aoun den Energieriesen sogar hervor und sagte, er könne zur Lösung des Konflikts zwischen seinem Land und Israel beitragen. „Wenn man ein großes Energieunternehmen wie Total in der Region sieht, hilft das, die Bedenken anderer Investoren zu zerstreuen. Es ist ein Vertrauensbeweis der Energiewirtschaft“, so ein Diplomat nach den Gesprächen gegenüber MEE. „Der östliche Mittelmeerraum braucht private Investitionen.“

Griechenland baut Gasterminals aus

Diese Bemühungen wurden von den Staaten in der Region begrüßt, die sich um die Entwicklung der Energieversorgung im östlichen Mittelmeerraum bemühen. In den letzten Jahren haben Griechenland, Zypern ihre Beziehungen in der Hoffnung vertieft, die Gasvorkommen gemeinsam zu Geld machen zu können und gleichzeitig der türkischen Außenpolitik von Präsident Recep Tayyip Erdogan etwas entgegenzusetzen.

Ihre Pläne zum Bau einer 1.900 km langen Pipeline von Israel nach Europa erlitten Anfang dieses Jahres einen Rückschlag, als die USA ihre Unterstützung für das Projekt unter Hinweis auf wirtschaftliche und ökologische Bedenken zurückzogen. Dennoch treiben sie den Plan voran, ein Unterwasserkabel zu verlegen, das ihre Energienetze miteinander verbindet. Im Januar bewilligte die EU 657 Millionen Euro für die EuroAsia-Verbindungsleitung.

Griechenland baut auch seine Gasterminals aus, in der Hoffnung, LNG aus Israel und Ägypten erhalten zu können, nachdem die beiden Länder Anfang des Jahres eine Absichtserklärung zur Steigerung der Gasexporte nach Europa unterzeichnet hatten. „Gas aus dem östlichen Mittelmeerraum kann zwar nicht alle Ausfälle russischer Lieferungen ausgleichen, aber der Krieg in der Ukraine hat die Region zu einem Schlüssel für die Energiesicherheit Europas gemacht“, erklärte Antonia Dimou, Leiterin des Nahostprogramms am Athener Institut für Sicherheits- und Verteidigungsanalyse, gegenüber MEE. „Die Zusammenarbeit zwischen Griechenland und Zypern mit Gasexporteuren wie Israel und Ägypten wird in Zukunft noch zunehmen“, sagte sie.

Gassektor in Ägypten boomt

Während die ägyptische Wirtschaft durch den Krieg mit Gegenwind zu kämpfen hat, boomt der Gassektor des Landes. Die Exporteinnahmen aus verflüssigtem Erdgas (LNG) stiegen in den ersten vier Monaten dieses Jahres um 98 Prozent, und die LNG-Lieferungen nach Europa haben sich mehr als verdoppelt. Die israelische Gasproduktion ist um 22 Prozent gestiegen, und die Lizenzgebühren aus dem Verkauf haben sich um 50 Prozent erhöht. Sollte es zu einer Einigung mit dem Libanon kommen, wird Israel wahrscheinlich die unmittelbarsten Auswirkungen spüren, da es bereits über die Infrastruktur verfügt, um mit der Gasleitung zu beginnen. Für den Libanon wäre das Seeverkehrsabkommen nur ein erster Schritt.

Der Libanon hat 2013 eine Lizenzvergaberunde für die Exploration eingeleitet, aber politischer Stillstand, Korruption und Machtkämpfe zogen das Verfahren fünf Jahre lang in die Länge. Im Juni verlängerte die Regierung die Ausschreibungsfrist bis zum Ende dieses Jahres, nachdem das Interesse der Industrie begrenzt war. Unmittelbarer hofft Beirut, dass der Abschluss eines Abkommens mit Israel dazu beitragen wird, Gas aus Ägypten über Jordanien und Syrien zu importieren. Der Libanon befindet sich in einer sich verschärfenden Finanzkrise und leidet unter täglichen Stromausfällen.

Der Vorschlag, Gas aus Ägypten über die Arabische Gaspipeline zu transportieren, wurde letztes Jahr von den USA eingebracht, um den Einfluss der Hisbollah auf den Energiesektor des verarmten Landes zu begrenzen. Kairo möchte jedoch von Washington die Zusicherung erhalten, dass es nicht mit Caesar-Sanktionen bestraft wird, wenn es Gas durch Syrien leitet. „Die USA sehen in der Verzögerung eines Verzichts auf Sanktionen ein Druckmittel, um den Libanon zu Verhandlungen zu bewegen“, so eine mit der Angelegenheit vertraute Quelle gegenüber MEE.

Die Aussichten für diesen Plan bleiben ungewiss. Im Kongress gibt es parteiübergreifenden Widerstand gegen das, was viele Gesetzgeber als einen Schritt zur Normalisierung mit der Regierung des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad ansehen. Die Finanzierung durch die Weltbank ist auch davon abhängig, dass die zerstrittenen Politiker des Libanon den Energiesektor reformieren.

Eni und Total wollen in Zypern Gas fördern

Diplomaten zufolge könnte sich ein libanesisch-israelisches Abkommen auch positiv auf Zypern auswirken, da es Beirut und Nikosia einen Anstoß geben würde, die Demarkation ihrer Seegrenze abzuschließen. Israel und Zypern bemühen sich auch um einen Kompromiss in der Frage, wie ein Gasfeld erschlossen werden kann, das sich über ihre beiden Seegebiete erstreckt.

Die Gespräche finden zu einem Zeitpunkt statt, zu dem die Energieriesen Eni und Total nach einer großen Entdeckung in diesem Sommer in zyprischen Gewässern Gas fördern wollen. Exxon und Qatar Petroleum bohren ebenfalls in dem Gebiet. Der langjährige Beobachter des östlichen Mittelmeers, Oded Eran, Senior Research Fellow am Institute for National Security Studies und ehemaliger israelischer Botschafter in Jordanien und in der EU, warnte jedoch davor, zu viele Auswirkungen der Seegespräche zu erwarten. „Nichts wird von den libanesisch-israelischen Verhandlungen abhängen. Der Bedarf an Gas aus dem Mittelmeerraum ist aufgrund des Krieges in der Ukraine und der Reaktionen aus Europa gestiegen. Das bleibt eine Konstante“, sagte er gegenüber MEE.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Unternehmen
Unternehmen Social-Media-Recruiting: So gelingt die Talentsuche in sozialen Netzwerken
05.04.2025

Social-Media ist längst nicht mehr nur eine Privatangelegenheit, sondern wird auch von Unternehmen gezielt zur Bewerbung ihrer Produkte,...

DWN
Panorama
Panorama Seltene-Erden-ETFs: Welche Fonds sich jetzt lohnen
05.04.2025

KI, Rüstung, Energiewende: Seltene-Erden-ETFs gewähren Zugang zu einem boomenden Rohstoffsegment. Das gescheiterte Rohstoffabkommen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen ORWO Kult-Fotofirma insolvent: DDR-Traditionsmarke und Cewe-Konkurrent
05.04.2025

Letzte Aufnahme? Dort, wo der erste Farbfilm der Welt entwickelt wurde, wird bis heute auf Fototechnologie gesetzt. Auch Drogerieketten...

DWN
Politik
Politik Strafgebühren im Gesundheitswesen? Wie verpasste Termine das System belasten
05.04.2025

Angesichts langwieriger Wartezeiten in Facharztpraxen wird nun verstärkt darüber diskutiert, ob finanzielle Sanktionen für...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Russland weiter attraktiv für westliche Firmen: Geschäfte mit Russland könnten deutschen Autobauern helfen
05.04.2025

Viertgrößte Volkswirtschaft der Welt: Nach Einschätzung eines Wirtschaftsexperten kann Russland nach einem Ende des Ukraine-Kriegs mit...

DWN
Politik
Politik Vertrauliche Nähe bei Koalitionsverhandlungen: Merz und Klingbeil im Zwang zur Zusammenarbeit
04.04.2025

Lange Zeit galt die schwarz-rote Koalition als Ausnahmeerscheinung der Bundesrepublik. Jetzt verhandeln Union und SPD über ihr fünftes...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Moto-E-Motion optimiert Fahrzeuge: Innovationen sind kein Hexenwerk – nur Physik
04.04.2025

Wie lässt sich die Effizienz von Motoren und Maschinen ohne bauliche Veränderungen verbessern? Wie das Unternehmen Moto-E-Motion durch...

DWN
Finanzen
Finanzen Goldpreis auf Rekordniveau: Für wen ist eine Investition in das Edelmetall sinnvoll und wer sollte vorsichtig sein?
04.04.2025

Der Goldpreis hat die Marke von 3.100 US-Dollar pro Unze übertroffen und ein neues Allzeithoch erreicht. Doch ist Gold weiterhin eine...