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Deutsche Importpreise verzeichnen stärksten Anstieg seit 1974

Lesezeit: 3 min
07.10.2022 14:02  Aktualisiert: 07.10.2022 14:02
Die deutsche Wirtschaft schlittert in die Rezession. Produktion und realer Einzelhandelsumsatz schrumpfen. Zugleich gehen die Importpreise durch die Decke.
Deutsche Importpreise verzeichnen stärksten Anstieg seit 1974
Die deutschen Importpreise gehen durch die Decke. Alles deutet auf eine Rezession hin. (Foto: dpa)
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Die schlechten Nachrichten aus der deutschen Wirtschaft häufen sich: Die Unternehmen drosselten ihre Produktion im August so stark wie seit dem Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine nicht mehr, während die inflationsgeplagten Verbraucher weniger Geld beim Shoppen ausgaben. Der von teurem Gas getriebene kräftigste Anstieg der Importpreise seit 48 Jahren signalisiert zudem, dass bei der Inflation das Schlimmste noch bevorsteht.

„Alles deutet auf eine Rezession im Winterhalbjahr hin“, fasste Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer die am Freitag vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Daten zusammen.

Industrie, Bau und Energieversorger drosselten ihre Produktion im August wegen hoher Energiepreise und starker Behinderungen durch das extreme Niedrigwasser am Rhein zusammen um 0,8 Prozent zum Vormonat. Das ist der kräftigste Rückgang seit März, dem ersten vollen Monat seit Kriegsbeginn. "Die nach wie vor große Unsicherheit über den Fortgang des Kriegs in der Ukraine und die praktisch versiegten Gaslieferungen aus Russland haben die Aktivitäten in der Industrie gedämpft", kommentierte das Bundeswirtschaftsministerium. Die Industrie allein verringerte ihren Ausstoß um 0,1 Prozent. Im Baugewerbe wurde die Produktion um 2,1 Prozent verringert, während die Energieerzeugung um 6,1 Prozent schrumpfte.

In den energieintensiven Industriezweigen - die besonders unter der massiven Verteuerung von Energie leiden - schrumpfte die Produktion mit 2,1 Prozent überdurchschnittlich. Zudem bremste das Niedrigwasser - insbesondere auf dem Rhein, wo die Pegelstände im Sommer mancherorts unter die Nullmarke fielen und die Binnenschifffahrt teilweise zum Erliegen brachten. „In der Herstellung von chemischen Erzeugnissen und in der Kokerei und Mineralölverarbeitung dürfte die Produktion im August unter anderem durch die Einschränkungen im Gütertransport in der Binnenschifffahrt infolge des starken Niedrigwassers beeinträchtigt gewesen sein“, hieß es dazu vom Statistikamt.

Verbraucher schnallen Gürtel enger

Den Einzelhändlern wiederum macht die schwindende Kaufkraft der Verbraucher zu schaffen. Ihr Umsatz sank im August inflationsbereinigt real um 1,3 Prozent im Vergleich zum Vormonat. Merklich zurück hielten sich die Konsumenten beim Kauf von Lebensmitteln: Hier verbuchte der Einzelhandel einen realen Umsatzrückgang von 1,7 Prozent zum Vormonat und sogar von 3,1 Prozent zum Vorjahresmonat. „Damit lag der Einzelhandel mit Lebensmitteln auf dem niedrigsten Umsatzniveau seit Januar 2017“, so die Statistiker.

„Die Verbraucher schnallen den Gürtel enger“, sagte dazu der Chefvolkswirt der VP Bank, Thomas Gitzel. „Der Lebensmittel-Einzelhandel bekommt derzeit die volle Breitseite der Teuerung ab. Die Bürger sparen an der täglichen Nahrung.“ Die realen Umsätze der Tankstellen stiegen dagegen 14,0 Prozent zum Vormonat und damit so stark wie noch nie seit Beginn der Statistik 1994. „Möglicherweise haben die Konsumenten den letzten Monat des Tankrabatts genutzt, um ihre Vorräte noch einmal aufzufüllen“, so das Statistikamt. Die Bundesregierung hatte den Rabatt von Juni bis August eingeführt, um die Inflation zu dämpfen.

Diese dürfte ihren Höhepunkt erst in den kommenden Monaten erreichen. Darauf deuten die Importe hin, die sich im August angesichts der Gasknappheit so stark verteuert haben wie seit 1974 nicht mehr. Die Einfuhrpreise erhöhten sich um 32,7 Prozent zum Vorjahresmonat. Preistreiber Nummer eins blieb angesichts des russischen Kriegs die Energie: Deren Einfuhren verteuerten sich um 162,4 Prozent.

„Der hohe Anstieg im Vorjahresvergleich ist weiterhin vor allem durch die starken Preissteigerungen bei importiertem Erdgas begründet“, erklärten die Statistiker. Diese Preise lagen viermal so hoch wie ein Jahr zuvor. Allein im Vergleich zum Vormonat Juli stiegen sie um 48,2 Prozent. Elektrischer Strom kostete an den Börsen sogar 464,5 Prozent mehr als ein Jahr zuvor.

„Wir brauchen keine Kristallkugel, um eine weitere Schwächung der deutschen Industrie in den kommenden Monaten zu erkennen“, sagte ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski. „Die vollen Auswirkungen der höheren Energiepreise werden erst gegen Jahresende spürbar werden.“

Das treibt Deutschland auch nach Einschätzung der Bundesregierung in eine Rezession. In der Herbstprojektion geht sie für 2023 nach vorläufigen Zahlen von einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 0,4 Prozent aus, erfuhr Reuters von zwei mit den Berechnungen vertrauten Personen. Für das laufende Jahr werde die Wachstumserwartung voraussichtlich zurückgenommen auf 1,4 Prozent. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck stellt die Projektion am kommenden Mittwoch vor. (Reuters)


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