Finanzen

Die systematische Vernichtung der europäischen Wirtschaft

Schlag auf Schlag produziert die EU-Kommission neue, schärfere Behinderungen der Kreditfinanzierung in Europa. Die neueste Kapriole bewirkt, dass die Banken nur Kredite an Unternehmen vergeben dürfen, die nachhaltig wirtschaften. Nachdem kaum eine Firma nachweisen kann, dass sie alle krausen Vorstellungen der Brüsseler Bürokratie befolgt, gibt es, zumindest in der Theorie, keinen Kredit.
08.10.2022 09:10
Lesezeit: 6 min

Die EU stellt die Geldinstitute mit ihren neuen Richtlinien zur Kreditvergabe vor ein gewaltiges Dilemma: Die Banken wollen ihre Kunden betreuen, schließlich leben Banken auch von den Kreditzinsen und so ist der Nachhaltigkeitseifer nur mangelhaft ausgeprägt. Zudem sieht sich ein Bankmitarbeiter nicht als Umweltpolizist. Da schwärmen nun die Bankenaufseher aus und lehren die säumigen Kreditreferenten grüne Disziplin. In Deutschland ist die BaFin eifrig im Einsatz, in Österreich die FMA und in den anderen Ländern agieren ihre Kollegen mit anderen Kürzeln, die alle Bankenaufsicht bedeuten.

Banken und Bankenaufseher sind keine Umweltpolizisten

Die Bankenaufsicht ist eine staatliche Behörde, die zwei Aufgaben hat – darauf zu schauen, dass die Banken gesund sind und dass die Konsumenten ordentlich betreut werden. Diese Institutionen wurden nicht geschaffen, um einer schwer verständlichen Umweltpolitik zum Durchbruch zu verhelfen. Weder die Bankenaufsicht noch die Banken sind für die Umsetzung klimapolitischer Ziele zuständig. Für diese Aufgabe gibt es Gewerbebehörden, technische Kontrollinstanzen und ähnliche Einrichtungen. Diese haben einzugreifen, wenn die Luft, das Wasser oder der Boden verschmutzt werden und dafür zu sorgen, dass die Missstände abgestellt werden. Aber eine klare Vorgangsweise ist den Brüsseler Kommissaren und Bürokraten zu einfach. Sie wollen erreichen, dass jedes Unternehmen „nachhaltig wirtschaftet“.

Niemand weiß, wie nachhaltiges Wirtschaften funktioniert

Was das genau sein soll, weiß niemand. Die EU-Kommission hat zwar bereits 2020 eine Verordnung produziert, die auch gehorsam vom EU-Parlament und vom EU-Rat der 27 Regierungen beschlossen wurde, doch kann sie niemand anwenden, weil nur ungefähre Vorstellungen in dem Text enthalten sind. Um das Papier besonders bedeutend erscheinen zu lassen, wurde es „Taxonomie“ genannt. Dieser Phantom-Katalog ist nun der vage Leitfaden, den die Unternehmen einzuhalten haben. Vor der Vergabe eines Kredits müssen die Banken aber kontrollieren, ob die Kreditnehmer brav nachhaltig sind. In diesem rechtlosen Raum wird nun irgendwie agiert und anschließend kommen die Bankenaufseher und entscheiden im Nachhinein, ob die Vorgangsweise ausreichend grün war. Nachdem niemand weiß, was richtig ist, können die Kontrolleure nach eigenen Vorstellungen loben, tadeln und nach Belieben Strafen verhängen.

Sollen Beamte in die Firmen einfallen und für Nachhaltigkeit sorgen?

Die Einschaltung der Banken als Umweltpolizisten ist eine Konsequenz des viel gefeierten „Green Deals“ der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Das im Dezember 2019 vorgestellte Konzept enthielt noch die Idee, Beamte sollen europaweit in den Firmen einfallen und überprüfen, ob die Abläufe in der Verwaltung und in der Produktion umweltfreundlich erfolgen. So wollte und will man verhindern, ob beispielsweise Waren aus nicht-nachhaltigen Produktionen verwendet werden, die etwa im Zusammenhang mit der Abholzung von Urwäldern stehen, und anderes mehr. Ein entsprechendes Beamtenheer lässt sich nicht so leicht aufstellen und so verfiel man auf die Idee, diese Aufgabe den Banken aufzubürden.

Die Bankenaufsicht agiert nun willfährig als Ausführungsorgan, statt sich schützend vor die Banken und ihre Kunden zu stellen. Und so dreht sich heute ein Kreditgespräch zwar auch noch um die Bonität des Kunden, aber primär um die Nachhaltigkeit im Betrieb. Kleine Groteske am Rande: Umweltsünder, die keinen Kredit brauchen, erfahren die schlaue Einschaltung der Banken als Umweltpolizisten nicht einmal.

Hochkonjunktur für einfallsreiche Verfasser von Nachhaltigkeitsberichten

Großunternehmen haben es leicht, sie engagieren einen grünbewegten Autor, der einen prächtigen Nachhaltigkeitsbericht schreibt, der jeden Kreditakt nachhaltig dekoriert. Ein paar Solarpanele auf dem Dach der Generaldirektion machen sich immer gut, eine perfekte Mülltrennung hilft, besonders wenn der Müll prompt in den Heizkessel wandert. Die Klein- und Mittelbetriebe, die die Wirtschaft dominieren und das Rückgrat des Staates bilden, haben nur geringe Möglichkeiten, dieser Forderung nach unternehmerischer, grüner Literatur zu entsprechen. Die Sinnhaftigkeit ist auch nicht nachvollziehbar. Jedes Unternehmen ist heute froh, wenn die Firma die Umwelt nicht belastet. Dieses erfreuliche Bewusstsein ist breit in der Wirtschaft angekommen. Ein Eingriff in das Management und in die Produktion nach dem Muster von Staatswirtschaften sowjetischer Prägung ist verzichtbar. Die hartnäckigen Umweltsünder hat die Behörde anhand von eindeutigen Kriterien zu disziplinieren.

Die bereits bestehende Kreditbremse wird verschärft

Die Kreditbremse im Dienste der Nachhaltigkeit verschärft die ohnehin von der EU nun schon seit achtzehn Jahren betriebene Bekämpfung der Kreditfinanzierung. Es hat 2004 mit dem Vorschriften-Paket Basel II angefangen, 2010 folgte als Reaktion auf die Finanzkrise 2008 Basel III und seit damals wird eine Vorschrift nach der anderen eingeführt. Auch ohne die neuen Nachhaltigkeitsregeln ist der Abschluss eines Kreditvertrages für die Bank wie für den Kreditnehmer ein Hürdenlauf, den sich alle Beteiligten nach Möglichkeit ersparen. Die EU-Kommission und die Aufseher sehen diese fatale Entwicklung durchaus positiv, weil sie der irrigen Vorstellung unterliegen, man müsse das Risiko aus dem Bankwesen entfernen.

Die Bekämpfung des Risikos führt zur Beseitigung der Banken

Man übersieht dabei einen entscheidenden Umstand: Das Bankgeschäft besteht in der Übernahme von Risiko, in jedem Kredit steckt das Risiko, dass das geborgte Geld nicht zurückgezahlt wird. Wenn man das Risiko abschafft, schafft man die Banken ab. Und nichts anderes geschieht, wie man an der Schließung tausender Bankstellen und der Kündigung hunderttausender Mitarbeiter ablesen kann. Diese Entwicklung ist besonders problematisch, weil in Europa die Finanzierung der Unternehmen vorwiegend über Kredite erfolgt und Beteiligungskapital leider nur eine geringe Rolle spielt. Wird die Kreditfinanzierung behindert, entsteht eine Lähmung der gesamten Wirtschaft. Die Entwicklung der Unternehmen beruht dann vorwiegend auf den selbst erwirtschafteten Gewinnen und dem daraus geschaffenen Eigenkapital. Die Gewinne von gestern reichen kaum je aus, die Zukunft zu erobern. Unter diesen Umständen kommt kein kräftiges Wachstum zustande und so ist es nicht verwunderlich, dass Europa gegenüber den anderen Wirtschaftsregionen zurückfällt.

Wieso hört man keinen Aufschrei aus den Interessenvertretungen der Unternehmen?

Bei diesem Thema stehen die Banken im Mittelpunkt der Diskussion. Dabei ist die Kreditbremse in erster Linie ein Problem der Unternehmen, der gewerblichen Wirtschaft, der Produktion, des Handels, der Dienstleistungen, der Start-ups. Allerdings hört man kaum Proteste aus dem Kreis der vielen Organisationen, die als Interessenvertreter der Wirtschaft auftreten. Diese Haltung macht die Politik der Risiko-Bekämpfung und der Forcierung der Nachhaltigkeit über den Bankenapparat erst möglich. Offenbar hat man in den vielen Verbänden, Kammern, Innungen vergessen, dass Investitionen meist nur mit Krediten zu finanzieren sind.

Die dramatischen Folgen der Zinserhöhungen in der aktuell schwierigen Situation

Zu allem Überfluss werden jetzt die Kredite teurer. Bekanntlich gilt die Anhebung der Zinsen als Wunderwaffe gegen die Inflation. Dass dies nur im Falle einer überhitzten Konjunktur gilt, die mit höheren Zinsen gebremst werden soll, wird wenig beachtet. Europa schrammt derzeit an einer Rezession vorbei, die USA verzeichnen zumindest vorerst noch einen Aufschwung. Also stehen in Amerika höhere Zinsen auf dem Programm. Die als Orientierungsgröße geltenden zehnjährigen US-Staatsanleihen rentieren bereits bei 3,7 Prozent, 4 Prozent sind schon am Horizont erkennbar. Selbst, wenn die Europäische Zentralbank die Zinsen niedrig halten wollte, muss sie mitziehen, da sonst das Kapital in Strömen in die USA fließt und der ohnehin schon auf einen Dollar abgewertete Euro noch tiefer sinkt.

Höhere Zinsen haben aber dramatische Folgen für die Kreditfinanzierung. Die bereits durch Basel II und nun durch die Nachhaltigkeitsauflagen schwer zu bekommenden, neuen Kredite werden teurer.

Bei den schon bestehenden Krediten können sich jene freuen, die in der Niedrigzinsphase einen fixen Satz erobert haben. Da hat man noch ein paar Jahre Ruhe, bis die Fixzinsperiode endet. Weniger erfreulich ist die Lage für die Banken, da unweigerlich bei steigenden Zinsen auch die Einlagen höher zu verzinsen sind und somit die Refinanzierung teurer wird. Da sinkt die Spanne zwischen den Geldkosten und den Kreditzinsen leicht in die Verlustzone.

Vollends in Schwierigkeiten geraten die Kreditnehmer, die variabel verzinste Finanzierungen haben. Für diese entstehen beträchtliche Schwierigkeiten, da die Beträge, die für die Bedienung der Schulden aufzubringen sind, anderswo fehlen.

Somit sieht sich Europa dramatischen Wachstumsbremsen gegenüber, die den dringend notwendigen Aufschwung behindern. Sämtliche Bereiche entwickeln sich im Zeichen dramatischer Umbrüche. Da könnte nur eine umfassende Investitionstätigkeit helfen, die naturgemäß auch mit hohen Risiken und Rückschlägen verbunden sein wird. Nachdem die Bankenpolitik und die Aufsicht konsequent Risiken bekämpft, zeigt sich kein Ausweg aus dieser unerträglichen Situation.

Dabei wäre die Lösung einfach:

  • Man wirft Basel III und die Taxonomie mitsamt den tausende Seiten umfassenden Vorschriften in den Müll.
  • Es gibt nur mehr eine einzige Bankenvorschrift und deren Einhaltung wird von der Bankenaufsicht streng kontrolliert:
    • Kein einzelner Kredit und keine Kreditgruppe mit verwandtem Risiko darf so groß sein, dass bei einem Ausfall die Bank gefährdet ist. Diese Regel hat für alle Forderungen zu gelten.
  • Der Umwelt- und Klimaschutz ist nicht mit Eingriffen in die Betriebe zu betreiben. Es muss klare und auch in der Praxis technisch einhaltbare Regeln geben, welche Emissionen in welchem Ausmaß in die Luft, in die Flüsse, Seen und Meere und in den Boden gelangen dürfen. Unrealistische, übertriebene Vorgaben können nicht umgesetzt werden und laden nur zu Umgehungen ein, wie die Beispiele aus der Autoindustrie zeigen.
  • Die „Erziehung“ der Umweltsünder über höhere Preise funktioniert nicht. Auch die Zahlung von „Zertifikaten“, mit denen man sich von den Umweltauflagen frei kauft, nützt dem Klima nichts.
  • Auch der Versuch, die Welt indirekt über Umwege zum Klimaschutz zu erziehen, ist zum Scheitern verurteilt. Die Idee, dass ein europäisches Unternehmen beispielsweise eine Soja-Lieferung ablehnt, weil sie aus Feldern auf vorher gerodeten Urwäldern stammen könnte, ist praxisfremd. Kein Betrieb kann den Weg der eingekauften Waren über den weitverzweigten Handel zurückverfolgen.

Einfache, für alle verständliche und umsetzbare Bestimmungen entstehen in den Brüsseler Tintenburgen nicht. Da sitzen tausende Beamte und Beamtinnen und formulieren in gemütlichen Kammern weltfremde Vorschriften, die in der Folge den EU-Kommissaren die Möglichkeit geben, mit großartigen, neuen Regelwerken zu glänzen, die möglichst lateinisch-griechische Bezeichnungen erhalten. In der Folge wandert das fatale Paket in das EU-Parlament und in den EU-Rat der Regierungen, wo es lange kaum beachtet liegt, bis irgendjemand erklärt, man müsse doch endlich dieses wichtige Thema erledigen. Dann wird der Regelhaufen ohne Beachtung der Folgen beschlossen und sorgt in allen 27 Mitgliedstaaten für vermeidbaren Ärger.

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Ronald Barazon

                                                                            ***

Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.

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