Auf dem physischen Goldmarkt vollzieht sich gerade eine massive globale Transformation. Während westliche Investoren physisches Gold abstoßen, nutzen asiatische Käufer den anhaltenden Preisrückgang als günstige Gelegenheit, um Schmuck und Barren zu niedrigeren Preisen zu erwerben.
Die steigenden Zinsen haben Gold als Anlage weniger attraktiv gemacht. Daher wurden zuletzt große Mengen Gold aus den Tresoren in Finanzzentren wie New York abgezogen und nach Osten transferiert, um die Nachfrage auf dem Goldmarkt in Shanghai oder in Istanbul zu befriedigen.
Der Transfer vollzieht sich im Höchsttempo. Bloomberg berichtet von logistischen Problemen, die es den Händlern schwer machen, genügend Gold dorthin zu liefern, wo es gebraucht wird. Daher werden Edelmetalle auf einigen asiatischen Märkten mit hohen Aufschlägen gegenüber dem weltweiten Referenzpreis verkauft.
Warum Edelmetalle nach Osten fließen
„Der Anreiz, Gold zu halten, ist viel geringer, es wandert jetzt von West nach Ost“, sagte Joseph Stefans, Leiter des Handels bei PAMP, einem Schweizer Goldraffinerie- und Handelsunternehmen, das zum Goldhändler MKS mit Sitz im Schweizer Genf gehört. „Wir versuchen, so gut wie möglich mitzuhalten.“
Der Transfer der Edelmetalle rund um die Welt ist Teil eines Zyklus’ auf dem Goldmarkt, der sich seit Jahrzehnten wiederholt. Immer wenn sich die Anleger im Westen zurückziehen und die Preise fallen, nehmen die Käufe in Asien zu und die Edelmetalle fließen nach Osten. Dies trägt in der Folge dazu bei, den Goldpreis in Zeiten der Schwäche zu stabilisieren.
Wenn sich der Goldpreis dann wieder erholt, landet ein Großteil des Goldes wieder in den Tresoren der Banken unter den Straßen von New York, London und Zürich. Seit dem Höchststand im März ist der Goldpreis um 18 Prozent gefallen, da die aggressiven Zinserhöhungen der US-Notenbank zu massiven Liquidationen durch Finanzinvestoren führten.
Große Mengen Gold fließen nach Osten
Nach Angaben der CME Group und der London Bullion Market Association sind seit Ende April mehr als 527 Tonnen Gold aus den Tresoren in New York und London abgeflossen, die die beiden größten westlichen Märkte abdecken. Gleichzeitig steigen die Lieferungen an große asiatische Goldverbraucher wie China, wo die Goldimporte im August ein Vierjahreshoch erreichten.
Obwohl viel Gold in den Osten gelangt, reicht es immer noch nicht aus, um die Nachfrage zu decken. Laut PAMP handelt Gold in Dubai und Istanbul oder an der Shanghaier Goldbörse in den letzten Wochen mit Aufschlägen gegenüber der Londoner Benchmark, die so hoch sind wie seit Jahren nicht mehr. Dies ist ein Zeichen dafür, dass die Käufe die Importe übersteigen.
„Wenn die Preise fallen, zieht die Nachfrage in der Regel an“, sagte Philip Klapwijk, Geschäftsführer des Hongkonger Beratungsunternehmens Precious Metals Insights. „Die Käufer wollen das Metall zu einem niedrigeren Preis kaufen, und auf dem entsprechenden physischen Markt ist möglicherweise nicht genügend Metall verfügbar, wenn der Preis fällt, sodass der Aufschlag dort steigt.“
Laut Jitti Tangsithpakdi, dem Präsidenten der thailändischen Vereinigung der Goldhändler, wird Gold in Thailand ebenfalls mit einem Aufschlag gegenüber den Londoner Preisen gehandelt, was auf das mangelnde Angebot und die Schwäche der lokalen Währung zurückzuführen ist.
Auch große Mengen Silber fließt nach Osten
In Indien ist es Silber, das mit großen Aufschlägen gehandelt wird. Nach Angaben des Beratungsunternehmens Metals Focus ist der Preisunterschied in jüngster Zeit auf 1 Dollar gestiegen. Dies ist mehr als das Dreifache des üblichen Niveaus.
„Im Moment ist die Nachfrage nach Silber enorm, da die Händler ihre Lagerbestände auffüllen“, sagte Chirag Sheth, Hauptberater des Unternehmens in Mumbai. „Die Aufschläge könnten während der Festsaison, die mit Diwali zu Ende geht, erhöht bleiben.“
Analysten zufolge stammt ein Großteil der Edelmetalle, die den Appetit der Asiaten stillen, aus den Tresoren der CME Group, die den Comex-Terminmarkt in New York betreut. Marktverwerfungen zu Beginn der Pandemie führten dort zu einem massiven Preisanstieg, der die Banken dazu zwang, große Lagerbestände anzulegen, um ihre Futures-Positionen zu decken.
In den letzten Monaten wurde Gold an der Comex mit einem Abschlag gegenüber London gehandelt, und diese Bestände werden nun abgebaut, um die asiatische Nachfrage zu decken. Dies kann jedoch nur langsam vonstatten gehen, was zum Teil daran liegt, dass die asiatischen Käufer eher Ein-Kilogramm-Barren als größere Formate bevorzugen. Um einen Standardversandkarton mit 25 kg Gold zu füllen, müssen physische Händler mehrere Comex-Goldfutures abnehmen, die häufig durch Goldbarren in verschiedenen Lagern gedeckt sind.
Händler sagen, dass sie auch mit anderen logistischen Herausforderungen konfrontiert sind, die zu den hohen asiatischen Aufschlägen beitragen. „Es ist ein bisschen schwieriger als früher, die Ware auf Schiffe oder in Flugzeuge zu bekommen“, so Stefans von PAMP. „Es ist wirklich nur ein klassisches Beispiel dafür, dass die Nachfrage das Angebot weit übersteigt.“