Auch drei Wochen nach dem vermeintlichen Anschlag auf die Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 herrscht weiterhin Unklarheit über die Hintergründe. Ende September wurden nahe der Ostseeinsel Bornholm – teils in dänischen und teils in schwedischen Gewässern – vier Lecks an den beiden Pipelines entdeckt. Während die Pipeline Nord Stream 1 dabei vollständig zerstört wurde, wurde bei Nord Stream 2 nur einer der beiden Stränge beschädigt.
Die Sprengung der Pipelines am 26. September war so stark, dass mehrere Institute, die zur Erdbebenüberwachung forschen, die Detonationen am Meeresgrund aufzeichneten. Die Detonationen erreichten einen Wert von 2,3 auf der Richterskala, was auf eine Sprengladung von mindestens 500 Kilogramm TNT hindeutet. Die Sprengung riss Löcher von 50 Metern Länge in die Pipeline Nord Stream 1, wie auf Aufnahmen der schwedischen Zeitung Expressen zu sehen ist.
Nord-Stream-Sabotage: BKA vermutet staatliche Akteure
Inzwischen ermittelt die Bundesanwaltschaft gegen Unbekannt wegen des Verdachts „der vorsätzlichen Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion“ sowie der „verfassungsfeindlichen Sabotage“. Zuständig sei die Behörde, da es sich um „einen schweren gewalttätigen Angriff auf die Energieversorgung“ handele, die geeignet sei, die innere und äußere Sicherheit Deutschlands zu beeinträchtigen. „Es liegen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vor, dass die beiden Gaspipelines mittels zumindest zweier Detonationen gezielt beschädigt worden sind“, teilte die Bundesanwaltschaft in einer Pressemitteilung mit.
Bundespolizei und BKA starteten daraufhin eine erste Aufklärungsmission, um die entstandenen Schäden zu begutachten. Die Taucher sind dabei nicht zum Einsatz gekommen, weil sie die notwendige Ausrüstung für einen Tauchgang in 70 Metern Tiefe nicht dabei hatten. Mit einer Unterwasserdrohne wurden jedoch Fotos von den Schäden an den Pipelines gemacht, die eine Sabotage zweifelsfrei belegen sollen. Zwar habe das BKA weiterhin keine genauen Erkenntnisse zur Urheberschaft, hält jedoch ein Agieren staatlicher Akteure für höchst wahrscheinlich und warnt vor weiteren Anschlägen auf kritische Infrastruktur.
Bundesjustizminister Marco Buschmann sagte gegenüber der Nachrichtenagentur dpa, dass deutsche Behörden die Hintergründe der Nord-Stream-Sabotage aufklären würden. „Wir lassen uns durch den Angriff auf die Nord-Stream-Pipelines nicht einschüchtern. Die deutschen Behörden werden gemeinsam mit unseren europäischen Partnern aufklären, wer für die Sabotage an den Leitungen verantwortlich ist.“
Schweden schließt Deutschland von Ermittlungen aus
Die von Buschmann angekündigte gemeinsame Untersuchung mit den europäischen Partnern Schweden und Dänemark (in deren Hoheitsgewässern die Lecks entdeckt wurden) wird es indes nicht geben. Nach Informationen des SPIEGEL hat Schweden gemeinsame Ermittlungen mit Deutschland und Dänemark abgelehnt. Der Einrichtung eines internationalen „Joint Investigation Team“ (JTT) erteilte die schwedische Regierung eine Absage mit der Begründung, dass „die Sicherheitseinstufung der Ermittlungsergebnisse zu hoch sei, um diese mit anderen Staaten zu teilen“.
Russland, das über den Staatskonzern Gazprom die Mehrheitsanteile am Projekt hält, wurde bereits zuvor von den Ermittlungen ausgeschlossen. Daraufhin bestellte das russische Außenministerium die Botschafter Dänemarks, Schwedens und Deutschlands ein, wie die russische Nachrichtenagentur Tass berichtet.
Anschuldigungen westlicher Medien, Russland selbst stecke hinter der Sabotage, wies der Kreml als „dumm und absurd“ zurück. Russlands Auslandsgeheimdienst SWR teilte mit, dass man Daten über die Sabotage habe, diese jedoch nicht weiter präzisieren werde. Zwar hält sich Russland mit offiziellen Anschuldigungen zur Urheberschaft zurück, dürfte jedoch – wie auch mancher US-Ökonom oder Ex-Pentagon-Berater – die USA und ihre Verbündeten hinter dem Anschlag vermuten.
In einer Rede vor Journalisten sagte der russische Präsident Wladimir Putin kürzlich, Deutschland müsse sich entscheiden, was ihm wichtiger sei: „die Erfüllung der Bündnisverpflichtungen […] oder die Wahrung der Interessen ihrer eigenen Bevölkerung, ihrer nationalen Interessen.“ „Es sieht jedoch so aus, als ob kaum jemand auf seine [Deutschlands, Anm. d. Red.] Interessen Rücksicht nimmt, sonst wären Nord Stream 1 und Nord Stream 2 nicht gesprengt worden“, so Putin weiter.
Bundesregierung verweigert Auskunft an Opposition
Die Bundesregierung hüllt sich bezüglich der Ermittlungsergebnisse in einen Mantel des Schweigens. Die Opposition versuchte mittels parlamentarischer Anfrage, Details über den derzeitigen Ermittlungsstand zu bekommen. In ihrer Anfrage an die Bundesregierung wollte Zaklin Nastic, Obfrau der Fraktion DIE LINKE im Verteidigungsausschuss des Bundestags, unter anderem wissen, welche „Erkenntnisse (auch geheimdienstliche) über Ursachen und mögliche Urheber“ der Regierung vorlägen.
Am 07. Oktober folgte dann die Antwort: Es lägen keine Erkenntnisse vor. Zudem verweigerte die Regierung alle weiteren Informationen mit dem Verweis auf die sogenannte „Third-Party-Rule“. Demnach stehe die Anfrage im Konflikt mit den Interessen verbündeter Staaten bzw. deren Geheimdiensten.
Selbst die sonst übliche Information unter VS-Einstufung (Verschlusssache) oder eine Hinterlegung bei der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages verweigerte die Regierung. Wörtlich heißt es, die Regierung sei „nach sorgfältiger Abwägung zu dem Schluss gekommen, dass weitere Auskünfte aus Gründen des Staatswohls nicht – auch nicht in eingestufter Form – erteilt werden können.“
„Wenn die Regierung davon ausgeht, dass ein Bekanntwerden ihrer Informationen zu einer Störung der wechselseitigen Vertrauensgrundlage mit Alliierten führen oder den Schutz deutscher Interessen im Ausland beeinträchtigen könnte, dann muss das Parlament umso dringender einbezogen werden“, kommentiert Nastic den Vorgang in einer Pressemitteilung. Es handele sich immerhin um einen „schweren Angriff auf die Souveränität der Bundesrepublik“ sowie einen Anschlag auf „strategisch wichtige Infrastruktur“.
Die LINKE-Politikerin Sahra Wagenknecht richtete eine ähnliche Anfrage an das Auswärtige Amt. Wagenknecht wollte darüber hinaus noch wissen, welche Nato-Schiffe und Truppenteile sich seit dem abrupten Ende der Gaslieferungen durch Nord Stream 1 in den Gegenden aufhielten und welche russischen Schiffe dort gesichtet worden seien.
Auch diese Anfrage schmetterte die Bundesregierung ab. Eine Antwort „würde die Preisgabe von Informationen beinhalten, die das Staatswohl in besonderem Maße berühren“, so das Auswärtige Amt. Daher komme auch eine Einstufung und Hinterlegung der angefragten Informationen nicht infrage, „da auch nur die geringe Gefahr des Bekanntwerdens nicht hingenommen werden kann“. Wagenknecht übt in der Berliner Zeitung scharfe Kritik an der Geheimhaltung der Regierung.
„De facto sagt uns die Bundesregierung, dass sie zwar etwas weiß, es aber ‚aus Gründen des Staatswohls‘ den Abgeordneten noch nicht einmal in der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestags zur Kenntnis geben kann“, so Wagenknecht. Man könne nun nur spekulieren, welche Erkenntnisse über die Urheberschaft der Anschläge das deutsche Staatswohl so existenziell betreffen könnten, dass man sie unbedingt geheim halten müsse. „Auf jeden Fall bedeutet dieser Umgang, dass jegliche Kontrolle und Kritik an der Bundesregierung durch die Opposition unmöglich gemacht wird.“