Weltwirtschaft

Kolumbiens Präsident: „USA zerstören alle Volkswirtschaften der Welt“

Lesezeit: 5 min
23.10.2022 08:39  Aktualisiert: 23.10.2022 08:39
Der frisch gewählte sozialistische Präsident Kolumbiens wettert gegen die Geldpolitik der Vereinigten Staaten: Die USA würden „praktisch alle Volkswirtschaften“ wissentlich ruinieren.
Kolumbiens Präsident: „USA zerstören alle Volkswirtschaften der Welt“
Antony Blinken (re), Außenminister der USA, Anfang Oktober mit Gustavo Petro, Präsident von Kolumbien. Dieser wirft den USA eine mutwillig zerstörerische Geldpolitik vor. (Foto: dpa)
Foto: Luisa Gonzalez

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Der vor vier Monaten gewählte sozialistische Präsident Kolumbiens, Gustavo Petro, hat eine scharfe Rede gegen die Vereinigten Staaten und ihre Geldpolitik gehalten. Konkret machte er die US-Politik für die nahezu unvermeidliche schwere Wirtschaftskrise verantwortlich, die nicht nur Kolumbien sondern nahezu die gesamte Welt erfassen dürfte. Die zentralen Aussagen wurden auf der Website des kolumbianischen Nachrichtenmagazins „Semana“ aufbereitet.

Der neue Staatschef schwörte die Bevölkerung auf schwere Zeiten angesichts einer unvermeidbaren Rezession ein. Petro sieht „schwere wirtschaftliche und soziale Gewitterwolken“ über dem Land aufziehen.

Die Folgeschäden der amerikanischen Finanzpolitik seien enorm. "Die Vereinigten Staaten ruinieren praktisch alle Volkswirtschaften der Welt, die deutsche Wirtschaft ist zerstört, die Russen, die Ukrainer, alle sind betroffen.“, sagte Petro.

Insbesondere die Zukunft Europas sieht er düster, wobei er die Probleme als überwiegend hausgemacht einschätzt. „Die Europäer haben einen Krieg auf ihrem eigenen Kontinent entfesselt, der in erster Linie ein Krieg um Gas und Energie ist. [...] Und nach diesem Krieg bricht die europäische Wirtschaft zusammen. Das mächtige Deutschland gerät in die Rezession und, wer hätte das gedacht, England, die einstige Kolonialmacht, das British Empire, versinkt in einer tiefen Wirtschaftskrise.“

Die Wirtschaft Lateinamerikas muss aus seiner Sicht ungerechtfertigte Schäden davontragen. „In den Vereinigten Staaten werden Entscheidungen getroffen, um sich selbst zu schützen, manchmal ohne darüber nachzudenken, was durch diese Maßnahmen geschehen wird, und die Wirtschaft der lateinamerikanischen Länder wird dadurch ausgelaugt. Wir unterliegen Machtinteressen, die nicht das Wohl des einfachen Arbeitnehmers, sondern den Eigentümer des globalen Finanzsystems im Blick haben.“, so Petro.

„Unsere Währungen fallen alle, nicht nur der kolumbianische Peso“, betonte Petro. Er beklagte auch, dass Kolumbien de facto von den USA um seine Rohstoff-Reichtümer bestohlen werde. „Die Dollars, die in Kolumbien aufgebaut wurden, die durch den Export von Kohle und Öl nach Kolumbien gekommen sind, gehen weg. Beides ist öffentliches Eigentum der Nation.“

Der US-Botschafter in Kolumbien, Francisco Palmieri, reagierte umgehend auf den Angriff des Präsidenten und antwortete mit folgenden Worten: „Was die wirtschaftliche Lage in der Welt betrifft, so gibt es dafür viele Gründe: Die Aggression Russlands gegen die Ukraine ist eine große Bedrohung für die Weltwirtschaft. Ich glaube nicht, dass wir darüber nachdenken sollten, wem wir die Schuld zuschieben wollen (obwohl er das selbst gerade implizit getan hat, Anm.d.Red.), sondern wir sollten uns darauf konzentrieren, wie wir durch Zusammenarbeit die für das Wirtschaftswachstum notwendige Entwicklung verbessern und fördern können“, sagte der Botschafter.

Die Versorgung mit Dollars gerät ins Stocken

Die Aussagen des neugewählten Präsidenten sind durchsetzt von typisch sozialistischer Anklage-Rhetorik, haben aber einen wahren Kern.

Der Welthandel (und insbesondere der Handel mit Energie, Rohstoffen und Nahrungsmitteln) wird größtenteils in der US-Währung abgewickelt – das heißt, dass ein starker Dollar überlebenswichtige Importe im jeweiligen Land teurer macht. Viele Währungen sind fix an den US-Dollar gebunden oder der Dollar dient als Referenzgröße mit engen Bandbreiten. Das Zinsniveau in den USA entscheidet also über Zinsen und Währungskurse auf der ganzen Welt. Das gilt ganz besonders für Lateinamerika, wo der Dollar entweder offizielles Zahlungsmittel ist oder wie in Kolumbien als stabile Parallelwährung neben der heimischen Währung in Umlauf ist und diese teilweise verdrängt.

Mit der rabiaten Zinserhöhungspolitik, die vordergründig der Inflationsbekämpfung in den USA dient, hat die US-Zentralbank Federal Reserve (Fed) auch den Dollar massiv gestärkt. Die Fed hat den Leitzins in schnellen Schritten auf 3,75 Prozent angehoben. Der Markt erwartet eine Erhöhung auf 5,0 Prozent bis Jahresende. Durch die steigende Zinsen von Dollar-Anleihen wurde es wieder attraktiver solche zu halten und generell fragten ausländische Anleger im Zuge der Turbulenzen an den Finanzmärkten vermehrt Dollar nach, der in Krisenzeiten als sicherer Hafen gilt.

Der US-Dollar hat infolgedessen gegen alle anderen Währungen massiv aufgewertet. Der Dollarindex (Wechselkurs des Dollars zu einem repräsentativen Währungskorb) befindet sich auf Höchstständen.

„Der Dollar ist unsere Währung, aber euer Problem“

Petro hat insoweit Recht, als dass die USA beziehungsweise die Federal Reserve nur ihre eigenen wirtschaftlichen Sorgen im Blick haben und sich wenig bis gar nicht darum scheren, welche Folgen ihre restriktive Geldpolitik auf den Rest der Welt hat – obwohl ziemlich klar war, was passieren würde. Die Inflationsbekämpfung ist eben zum obersten Ziel erkoren worden und da ist ein starker Dollar entscheidend. Im Umkehrschluss haben alle anderen Währungen deutlich federn lassen und importieren jetzt quasi die Inflation aus den USA ins eigene Land.

In Kolumbien beträgt die offizielle Preissteigerungsrate aktuell 11,4 Prozent. Der kolumbianische Pesos setzte in jüngster Zeit seinen Sinkflug fort und erreichte am Mittwoch einen neues Rekordtief. Der US-Dollar wurde nach dem Wahlsieg von Petro noch bei 3.900 Pesos gehandelt. Mittlerweile kostet ein Dollar 4.900 Pesos, ein Anstieg von 20 Prozent in wenigen Monaten.

Fakt ist: Der Dollar wird zunehmend knapp. Das hinterlässt Spuren – in Kolumbien und der ganzen Welt. Für die arg schwächelnde heimische Währung ist jedoch nicht alleine die US-Politik verantwortlich. Die Entwicklung des Wechselkurses reflektiert auch die Marktmeinung von Kolumbiens wirtschaftlicher Zukunft nach der sozialistischen Machtübernahme. Und diese wird als - vorsichtig formuliert - instabil angesehen. Das hat seine Gründe. In Lateinamerika ist in den letzten Jahrzehnten schon so manches wirtschaftlich solide aufgestellte Land durch sozialistische Misswirtschaft in eine prekäre Lage geraten.

In diesem Kontext interessant: Präsident Petro ermahnte in seiner Rede den heimischen Ölsektor, ihre Einnahmen nicht außer Landes zu schaffen. „Als Regierung haben wir privaten Unternehmen wie Ecopetrol erlaubt, diese staatlichen Vermögenswerte gegen Lizenzgebühren auszubeuten. Als Gegenleistung für die Zahlung von Steuern", sagte er. Und warnte: „Nehmt das Geld nicht massenhaft raus, denn in Kolumbien gibt es mehr Möglichkeiten.“

Der Sektor ist von großer Bedeutung für die Wirtschaft. Öl-Ausfuhren machen rund ein Viertel der gesamten Exporte aus. In Bezug auf die Erdöl- und Erdgasexploration versicherte Finanzminister José Antonio Ocampo, dass „wir immer noch prüfen, was in diesem Bereich notwendig ist, um sicherzustellen, dass das Land ein gutes Exportvolumen hat und somit die Fähigkeit, eine solide Zahlungsbilanz aufrechtzuerhalten“.

Investoren fliehen aus Kolumbianischen Staatsanleihen

Die Märkte sind skeptisch. Das zeigt die zunehmend prekäre Verzinsung der Staatsanleihen Kolumbiens. Die Rendite der Staatspapiere mit 10 Jahren Restlaufzeit beträgt nach zunehmenden Abverkäufen satte 14,5 Prozent. Das entspricht nahezu einer Verdoppelung innerhalb der letzten 12 Monaten und einem Anstieg von 200 Basispunkten alleine in diesem Monat. Unter allen Nationen, deren Kapitalmärkte ganz oder teilweise ausländischen Investoren offenstehen, stehen derzeit nur fünf Länder höher (Sri Lanka, Ukraine, Zambia, Ägypten und Uganda).

Dabei liegt die Staatsverschuldung Kolumbiens mit 65 Prozent der Wirtschaftsleistung nicht übermäßig hoch. Bedenklicher ist das schon vor dem Machtwechsel angehäufte Defizit von 7,1 Prozent des BIP. Präsident Petro plant nun für 2023 einen Rekordhaushalt, wobei vor allem die Kosten für Sozialprogramme, Bildung, Militär und Agrarsubventionen steigen sollen. Die Ratingagentur Standard&Poors stuft das Land noch mit BB+ ein. Das ist die höchste Stufe, die nicht Investment-Grade ist.

Nach Angaben des Institute of International Finance (IIF) liegt der Anteil der Dollar-Schulden Kolumbiens bei über 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Der Finanzminister sah sich angesichts der dramatischen Abwertung und Zinsanstiege der letzten Monate zu einem beruhigenden Statement an die Kapitalmärkte veranlasst. „Wir werden eine verantwortungsvolle makroökonomische Politik verfolgen, wir werden die fiskalischen Regeln einhalten, es wird keine Devisenkontrollen geben, und wir werden unsere Exporte diversifizieren“, betonte er. Wenn der Pesos weiter kollabiert, dürfte es allerdings trotz dieser Aussagen zu drastischen Maßnahmen der linken Regierung kommen. Sozialistische Machthaber und eigentlich alle Regierungen dieser Welt lassen die Märkte nicht einfach laufen, wenn es für längere Zeit in die falsche Richtung geht.

Zumindest kurzfristig betrachtet geht es der zu Vorcorona-Zeiten recht stabil wachsenden kolumbianischen Wirtschaft aber noch relativ gut. Die Wirtschaftstätigkeit war im September um 8,6 Prozent höher als im Vormonat.

Positiv ist auch der Anstieg des Auslandstourismus um etwa 178 Prozent im Vorjahresvergleich. Weil die US-Notenbank die Zufuhr an neuen Dollars praktisch gekappt hat, wird der Tourismus als Devisenquelle für Kolumbien in Zukunft noch wichtiger sein als sonst. Und entgegen etwaiger Wahlversprechen und aggressiver Rhetorik wird die neue Regierung im aktuellen Umfeld wohl kaum gegen den Kokainhandel vorgehen, der ebenfalls wertvolle Devisen ins Land bringt.

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Jakob Schmidt ist studierter Volkswirt und schreibt vor allem über Wirtschaft, Finanzen, Geldanlage und Edelmetalle.


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