Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu hat in Gesprächen mit den Nato-Staaten USA, Großbritannien, Frankreich und der Türkei vor einer Zuspitzung im Ukraine-Konflikt gewarnt. Die Lage verschlechtere sich rapide, erklärte das Ministerium am Sonntag. Im Gespräch mit dem französischen Verteidigungsminister Sebastien Lecornu habe Schoigu erklärt, es gebe die Tendenz zu „einer weiteren unkontrollierten Eskalation.“
Schoigu habe zudem Moskaus Sorge übermittelt, die Ukraine könnte eine „schmutzige Bombe“ zünden - einen mit radioaktivem Material versetzten Sprengsatz.
Von russischer Seite gab es keine Hinweise darauf, dass die Gespräche am Sonntag zu einer positiven Entwicklung führten. Sie zeigen aber, dass Russland und Nato-Mitglieder auch in Zeiten wachsender Sorgen über eine mögliche nukleare Eskalation aktiv Kommunikationskanäle unterhalten. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte nach wiederholten Rückschlägen in der Ukraine gesagt, sein Land werde notfalls auf Atomwaffen zurückgreifen, um seine „territoriale Integrität“ zu verteidigen.
Mit US-Verteidigungsminister Lloyd Austin sprach Schoigu am Sonntag zum zweiten Mal binnen drei Tagen. Die Regierung in Moskau machte keine näheren Angaben zum Inhalt. Beide hatten am Freitag erstmals seit Mai wieder miteinander gesprochen. Ein russischer Spitzendiplomat war nach dem Telefonat am Freitag mit den Worten zitiert worden, es müssten „Missverständnisse ausgeräumt werden, damit es nicht zu Unfällen kommt.“
Der französische Verteidigungsminister Sebastien Lecornu sagte nach dem Telefonat am Sonntag, er habe Frankreichs Wunsch nach einer friedlichen Lösung des Ukraine-Krieges bekräftigt. Paris weigere sich zudem, sich in irgendeine Form der Eskalation hineinziehen zu lassen.
Großbritannien erklärte, Verteidigungsminister Ben Wallace habe die Behauptungen Schoigus zurückgewiesen, wonach westliche Länder einen Plan der Ukraine zur Eskalation des Konflikts unterstützten. Die Sorge vor einer „schmutzigen Bombe“ erwähnte Schoigu nach Moskauer Angaben auch in einem Telefonat mit dem türkischen Verteidigungsminister Hulusi Akar.
Russland hat Medienberichten zufolge seiner Sorge vor einem möglichen Einsatz einer "schmutzigen Bombe", eines mit radioaktivem Material versetzten Sprengsatzes, durch die Ukraine erneut Ausdruck verliehen. Der russische Generalstabschef Waleri Gerassimow habe das Thema mit seinem britischen Kollegen Tony Radakin besprochen, melden russische Nachrichtenagenturen, ohne Details zu nennen. Eine Sprecherin der amtierenden britischen Premierministerin Liz Truss bestätigt das Gespräch und weist die Vermutung der russischen Führung erneut zurück. Die Außenminister Frankreichs, Großbritanniens und der USA hatten die russische Anschuldigung in einer gemeinsamen Erklärung als Falschbehauptung zurückgewiesen. Russland wolle die Vorwürfe als Vorwand für eine weitere Eskalation des Ukraine-Krieges nutzen.
Großoffensive deutet sich an
Vor einer erwarteten Großoffensive der Ukrainer im südlichen Gebiet Cherson hat es entlang der Front nur vereinzelt Gefechte gegeben. Das ging am Montag aus den Lageberichten der russischen und ukrainischen Streitkräfte hervor. Das Verteidigungsministerium in Moskau berichtete von der Abwehr ukrainischer Angriffe im östlichen Raum Kupjansk und Lyman sowie nördlich des besetzten Schwarzmeerhafens Cherson. Kiew wiederum vermeldete, russische Attacken auf die Städte Bachmut und Soledar zurückgeschlagen zu haben. Sie sind im Donbass Teil eines Verteidigungswalls vor dem Ballungsraum Slowjansk und Kramatorsk.
Im Norden verlaufen die Gefechte demnach an der Gebietsgrenze zwischen Charkiw und Luhansk und teilweise in Donezk. Der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, sprach von Gefechten auf Bataillons- und Kompanieebene. Er berichtete auch von angeblich erfolglosen Angriffen ukrainischer Truppen auf mehrere Dörfer im Gebiet Cherson. Auf der Gegenseite meldete der ukrainische Generalstab Gefechte im Donbass um die Städte Soledar und Bachmut sowie weiter südlich um Awdijiwka und Marjinka. Unabhängig ließen sich die Angaben der Kriegsparteien nicht überprüfen.
Vermutet wird indes, dass eine ukrainische Großoffensive bevorsteht. Als wahrscheinlichstes Angriffsgebiet gilt der russische Brückenkopf nordwestlich des Dnipro im Gebiet Cherson einschließlich der Gebietshauptstadt selbst. Hier sind die Nachschubwege der Russen weitgehend blockiert. Allerdings werden auch ukrainische Vorstöße im Gebiet Saporischschja Richtung Asowsches Meer nicht ausgeschlossen. Berichte über Truppenkonzentrationen auf beiden Seiten häuften sich.