Deutschland

Klatsche für die Grünen: Palmer mit absoluter Mehrheit wiedergewählt

Der Versuch der Parteiführung, den Tübinger Bürgermeister zu marginalisieren, ist gescheitert.
24.10.2022 17:32
Aktualisiert: 24.10.2022 17:32
Lesezeit: 2 min

Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer wurde mit absoluter Mehrheit wiedergewählt - obwohl er als unabhängiger Kandidat antrat und die Grünen eine eigene Kandidatin aufstellten.

Palmer, der wohl bekannteste Kommunalpolitiker in Deutschland, gab sich nach seinem klaren Sieg mit 52,4 Prozent im ersten Wahlgang schon wieder streitlustig. "Eine Demokratie, in der nicht gestritten wird, ist keine", sagte er der Deutschen Presse-Agentur und zitierte damit einen Spruch des verstorbenen Altkanzlers Helmut Schmidt (SPD). "Die negative Bewertung des Wortes Streit halte ich für einen schweren Fehler", sagte Palmer. "Ich finde, diese Partei sollte streiten." Zugleich schlug er auch versöhnliche Töne an. Seine Absicht und sein Angebot sei es, für seine Partei mitzuwerben, miteinzutreten und die Werte, die ihm wichtig seien, hochzuhalten. Ökologie sei das einigende Band der Grünen, das werde er künftig wieder stärker hervorheben.

Am Sonntag war der 50 Jahre alte Palmer für weitere acht Jahre als OB in der Universitätsstadt gewählt worden. Er ist seit 16 Jahren Rathauschef in Tübingen. Palmer war wegen innerparteilichen Zoffs nicht für die Grünen, sondern als unabhängiger Kandidat angetreten. Seine Parteimitgliedschaft ruht noch bis Ende 2023. Der Landesverband in Stuttgart gratulierte Palmer zur Wiederwahl. Auf die Frage, ob die Wahl Einfluss auf die ruhende Parteimitgliedschaft habe, sagte eine Sprecherin, es seien schon Gespräche für das nächste Jahr vereinbart.

Vor allem für den linken Flügel bei den Grünen ist Palmers Erfolg eine Klatsche. Für viele Linke ist der OB ein rotes Tuch. Ein kurzer Rückblick: Knapp fünf Monate vor der Bundestagswahl hatte Palmer eine Debatte über Rassismus ausgelöst - auf Facebook, mit Aussagen über den früheren Fußball-Nationalspieler Dennis Aogo. Palmer geriet in einen heftigen Shitstorm. Er fühlte sich missverstanden - mal wieder. Es sei immer das gleiche Muster, sagten seine Gegner. Für die damalige Kanzlerkandidatin war das Maß voll. Annalena Baerbock nannte Palmers Äußerung "rassistisch und abstoßend" und kündigte Konsequenzen an. Der Landesvorstand mit dem damaligen linken Vorsitzenden Oliver Hildenbrand stieß daraufhin ein Parteiordnungsverfahren an.

Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann (74), einst Palmers politischer Ziehvater, zweifelte früh am Sinn des Ausschlussverfahrens. Die Oberrealos in der Südwestpartei waren schon bald überzeugt, dass Palmer die Grünen mit einem Sieg blamieren werde. Kretschmann fragte einmal öffentlich: "Wer soll am Ende was dabei gewinnen?" Noch kurz vor der Wahl verkniff er sich eine Antwort auf die Frage, wem er denn die Daumen drücke.

Die Niederlage in Tübingen wirft ein Schlaglicht auf die kommunale Schwäche der Grünen in ihrem Stammland. Derzeit hat die Ökopartei nur noch zwei OB, in Böblingen und in Göppingen. Die Zeiten, in denen die Grünen auch in der Landeshauptstadt Stuttgart, Freiburg oder Konstanz regierten, sind längst passé. Dabei hat sich die Landespartei erst jüngst wieder auf die Fahnen geschrieben, sich stärker der kommunalen Basis zu widmen. Denn der Abgang des auch bei konservativen Wählern beliebten Ministerpräsidenten Kretschmann ist mit dem Jahr 2026 absehbar. Deswegen wollen die Grünen Voraussetzungen dafür schaffen, nach dem Abschied des Erfolgsgaranten an der Macht bleiben zu können.

Auch nach Palmers Wahlsieg gilt: An ihm scheiden sich die Geister. Sein alter Weggefährte Cem Özdemir, Bundesagrarminister, twitterte: "Man kann’s ja so sehen: Über 70 Prozent wählen auf die ein oder andere Art in Tübingen grün." Und schickt einen "herzlichen Glückwunsch" an Palmer hinterher. Wie erbittert manche Grüne auf Palmer schauen, zeigt der Tweet des Berliner Grünen-Abgeordneten Vasili Franco: "Mit Boris Palmer hat Deutschland jetzt den ersten AfD Oberbürgermeister. Traurig!", schrieb er. Kurz darauf löschte Franco den Tweet und schrieb stattdessen: "Es ist 2022 und Rassismus ist immer noch kein Ausschlusskriterium."

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Das Zeitalter des intelligenten passiven Einkommens: Bitcoin-Mining mit BlackchainMining

In der heutigen, sich rasant entwickelnden digitalen Wirtschaft sind Kryptowährungen wie Bitcoin nicht nur Vermögenswerte, sondern auch...

DWN
Technologie
Technologie Stromexport: Frankreich produziert klimafreundlichen Überschuss
10.12.2025

Frankreich produziert in den kommenden Jahren deutlich mehr Strom, als das Land verbraucht. Diese Überkapazität eröffnet neue...

DWN
Politik
Politik Wird Brüssel das Verbot konventioneller Motoren lockern und E-Auto-Quoten für Unternehmen einführen?
10.12.2025

Die EU stellt die Weichen für die Zukunft der europäischen Autoindustrie. Brüssel erwägt eine Abschwächung des Verbots klassischer...

DWN
Finanzen
Finanzen Optimismus für europäische Banken und der Auftakt zu 2026
09.12.2025

Die Wall Street steht vor Rekorden. Analysten sehen starke Impulse für 2026, doch warnen vor Risiken. Banken glänzen, Bitcoin sorgt für...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Voith: Maschinenbauer streicht 2.500 Stellen
09.12.2025

Der Maschinenbauer Voith plant in Deutschland den Abbau von bis zu 2.500 Stellen. Grund sind strukturelle Probleme wie hohe Energie- und...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Feiertage killen fürs BIP: Ist das wirklich eine gute Idee?
09.12.2025

Mehr Arbeitstage, mehr Wachstum – so lautet das einfache Versprechen für 2026. Doch die Debatte über einen möglichen Wegfall eines...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Exporte: USA- und China-Geschäft bricht im Oktober ein
09.12.2025

Die deutschen Exporte geraten in ihren wichtigsten Absatzmärkten ins Rutschen, und die Zahlen aus den USA und China zeichnen ein klares...

DWN
Finanzen
Finanzen Neues Silberpreis-Rekordhoch: Engpässe treiben Aufwärtsrallye – warum Anleger jetzt wachsam sein müssen
09.12.2025

Der Silberpreis jagt von Rekord zu Rekord und übertrifft selbst den Hype um Gold, folgerichtig gibt es am Dienstag ein neues...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Arbeitsmarkt: Sieben Wege wie Unternehmen Fachkräfte finden und halten
09.12.2025

Qualifizierte Fachkräfte werden knapp – das spüren Unternehmen bei der Personalsuche immer deutlicher. Die Folgen: Engpässe,...