Xi Jinping wurde in der vergangenen Woche endgültig zum unbestrittenen Alleinherrscher Chinas, nachdem er in einem Endspurt die letzten Gegner aus dem Weg geräumt hat. Jetzt steht allerdings nicht der Genuss der Macht auf dem Programm, sondern die Eroberung von Taiwan, der Insel vor China, auf der sich seit 1949 die „Republik China auf Taiwan“ behauptet. Der kleine Staat wird allerdings von den USA unterstützt und kann im Ernstfall auch mit Hilfe aus Japan und den anderen Ländern des südchinesischen Meeres wie den Philippinen rechnen. In diesem Umfeld ist letztlich auch die NATO gefordert. Australien, Indien und Thailand sind ebenfalls nicht an einer Ausweitung der Macht der kommunistischen Volksrepublik China interessiert und werden nicht untätig bleiben. Wieso hat der mächtige Herrscher über das Großreich China nichts anderes im Sinn, als eine kleine Insel mit einer Fläche von 36.000 Quadratkilometern zu annektieren?
Die letzte Schlacht der Kommunisten gegen Chiang Kai-shek
Es gibt eine Reihe von Gründen, an erster Stelle sei auf die Geschichte verwiesen. Die regierende Kommunistische Partei Chinas kam 1949 unter der Führung von Mao Tse Dong an die Macht. Die Darstellung in allen Geschichtsbüchern, in China wie im Westen, spricht von einem siegreichen Feldzug der tüchtigen Volksarmee, die von Norden kommend eine Stadt nach der anderen einnahm. In dieser Auseinandersetzung unterlag die Armee des damaligen Präsidenten und Generalissimus Chiang Kai-shek. Chiang dankte ab und zog sich mit zwei Millionen Gefolgsleuten aus seiner Kuomintang-Partei auf die Insel Taiwan zurück, wo er den Anspruch auf Festlandchina bis zu seinem Tod 1975 aufrechterhielt. Nach einer autoritären Phase unter Chiang und seinem Sohn und Nachfolger Chiang Ching-kuo wurde Taiwan ab den achtziger Jahren zu einer demokratischen, wirtschaftlich extrem erfolgreichen Republik.
Tatsächlich konnte Maos Volksarmee Chiang nur besiegen, weil die Sowjetunion unter Stalin die Armee der chinesischen Kommunisten umfassend unterstützte. Für Xi ist also gleichsam die letzte Schlacht gegen Chiang Kai-shek noch zu schlagen, und zwar von einem eigenständigen, militärisch starken China, das keine Hilfe von Russlands Roter Armee braucht. Die mit Milliarden seit Jahren betriebene Aufrüstung hat offenkundig bei Xi den Eindruck entstehen lassen, dass China heute die Welt herausfordern könne und unbesiegbar sei. Somit verkennt er auch die Gefahren, die sich für China aus der internationalen Unterstützung für Taiwan ergeben.
Damit nicht genug. Xi akzeptiert nicht den nach 1945 dominierenden Konsens, wonach man die Länder in der nach dem Weltkrieg entstandenen Ordnung respektieren sollte. Wie Putin bei der Ukraine spricht Xi bei Taiwan von einer Wiedervereinigung und strapaziert die deutsche Wiedervereinigung als Beispiel. Dass weder die Ukraine noch Taiwan ihre Unabhängigkeit aufgeben wollen, stört die beiden Aggressoren nicht, für den einen ist die Ukraine ein Teil Russlands, für den anderen Taiwan ein Teil Rotchinas.
Xi will die erlittenen Demütigungen korrigieren
Auch in anderen Bereichen will Xi die Vergangenheit nicht ruhen lassen. So ist immer wieder der Hinweis auf die Opium-Kriege zu hören. Britische Händler hatten im neunzehnten Jahrhundert China mit Opium überschwemmt. Als der Kaiser die englische Königin ersuchte, diesen Handel zu stoppen, weil er katastrophale Gesundheitsschäden in der Bevölkerung auslöste, reagierte Großbritannien mit zwei Eroberungskriegen.
China wurde vernichtend geschlagen und musste den Händlern enorme Konzessionen machen. Hongkong wurde an die britische Krone abgetreten. Es folgte Chinas so genanntes „Jahrhundert der Demütigung“ durch die Kolonialmacht Großbritannien, aber auch durch andere Mächte wie etwa Frankreich.
Ebenfalls nicht vergessen kann Xi die unglaubliche Brutalität, mit der die japanischen Soldaten in den Jahren 1937 bis 1945 im chinesisch-japanischen Krieg Massenmorde und Massenvergewaltigungen verübt haben. Es waren Millionen Opfer zu beklagen. Man muss davon ausgehen, dass Xi eines Tages auch die Rechnung für diese Schäden präsentieren wird, obwohl seine Vorgänger sogar schon auf Reparationen verzichtet haben.
Ein Krieg gegen Taiwan kann nur in einer Katastrophe für China enden
Die Welt muss sich darauf einstellen, dass China Taiwan überfallen wird. Absehbar ist, dass Taiwan, wie die Ukraine, nicht kampflos zu besiegen ist. Das Raketenabwehrsystem, das seit Jahren und nunmehr beschleunigt ausgebaut wird, dürfte nicht so leicht zu neutralisieren sein. Die Verbündeten werden das Land mit modernsten Waffen ausstatten, sodass die chinesische Aktion kein Spaziergang wird, wie auch Putins vollmundige Aussage, er werde in zwei Stunden in Kiew einmarschieren, sich als Illusion erwiesen hat. Selbst wenn Xi letztlich gewinnen sollte, ein Überfall auf Taiwan wird ihm politisch nur schaden, zumal in diesem Krieg Chinesen gegen Chinesen und nicht selten gegen die eigenen Verwandten antreten müssten.
Die wirtschaftlichen Konsequenzen für China wären eine Katastrophe, da sich die schon jetzt abzeichnende Abwanderung westlicher Unternehmen aus dem Land enorm beschleunigen würde. Durch den starken Anstieg der Löhne schwindet das Hauptargument für den Betrieb einer Produktion in China, die ständigen Behinderungen durch die Politik und die Bürokratie sind auch kein Anlass zur Freude. Die Unternehmen aus den USA und Europa bilden ein wesentliches Element des chinesischen Wohlstands und der Sicherung attraktiver Arbeitsplätze. Auch die Staatskasse wäre ohne die ausländischen Betriebe nicht so prall gefüllt. Nicht nur die Verlagerung von Produktionen in die USA und Europa findet bereits statt, auch hat bereits der Aufbau von Wirtschaftssanktionen durch die USA begonnen. Wie das aktuelle Beispiel der Auseinandersetzungen rund um den Hamburger Hafen zeigt, wird auch nicht mehr einfach jedes Unternehmen verkauft, wenn nur ein chinesischer Interessent mit Millionen winkt.
Gefahr für den Weltfrieden
Ein Krieg Chinesen gegen Chinesen und der Verlust der ausländischen Investoren gekoppelt mit Wirtschaftssanktionen würde die ohnehin bestehenden sozialen Spannungen verschärfen und Xi die Freude über die Verlängerung seiner Amtszeit als Herrscher von China verleiden.
Allerdings gehört Xi nicht zu den Persönlichkeiten, die eine Niederlage akzeptieren. Somit ist er in seiner aktuellen Aggressivität bereits eine Gefahr für den Weltfrieden, im Falle einer Niederlage in Taiwan würde er vermutlich den Konflikt ausweiten und in einen Weltkrieg eskalieren lassen. Nichts anderes betreibt derzeit Putin, der die Niederlage in der Ukraine nicht zur Kenntnis nimmt, mit dem Einsatz von Atomwaffen kokettiert, das norwegische Gaszentrum mit Drohnen bedroht und den Abschuss von westlichen Satelliten ankündigt, alles Schritte, die der Westen nicht hinnehmen kann.
Und der Verbündete der beiden, Irans Herrscher Chamenei kommt bei seinen Aggressionen im Nahen Osten nicht voran, muss aber erstmals eine spürbare Revolution gegen die Diktatur der islamischen Ayatollahs zur Kenntnis nehmen. Auch ihm ist zuzutrauen, dass er die Welt in Flammen versetzt, um von seinen innenpolitischen Problemen abzulenken.
Ein Treiber der Taiwan-Politik ist die wirtschaftliche und soziale Lage Chinas
Um Innenpolitik geht es letztlich auch in China, wo die Bevölkerung die kommunistische Herrschaft keineswegs uneingeschränkt als beglückenden Segen erlebt, wie die Parteipropaganda behauptet. Und die demokratische Republik China auf Taiwan demonstriert täglich, dass es eine Alternative zur Diktatur der in Peking allein regierenden Kommunistischen Partei gibt.
Dieser Faktor wurde besonders in den vergangenen Jahren relevant, seitdem die vielen in Rotchina tätigen westlichen Unternehmen ihren zahlreichen Mitarbeitern zeigen, wie das Leben in der freien Welt funktioniert. Selbst wenn man ständig das Internet sabotiert, die sozialen Medien dringen auch zu Chinas Jugend durch. Sogar in dem von einem umfassenden Überwachungssystem kontrollierten Land lässt sich der Wunsch nach Freiheit nicht ausschalten.
Die KP Chinas hat ständig alle Hände voll zu tun, um den so genannten „westlichen, kapitalistischen Ungeist“ zu bekämpfen. Die Entwicklung wird als bedrohlich empfunden, da jede politische Meinungsvielfalt den Anspruch der Kommunisten in Frage stellt, die allein gültige Wahrheit zu besitzen. Die Partei entscheidet immer und auch wenn die Partei von einem strikten staatswirtschaftlichen Kurs zu einer liberaleren Politik wechselt, mehr oder weniger autoritär agiert, es muss immer die Partei sein, die entscheidet und selbstverständlich der Parteiführer.
Aus diesen Gründen brach Xi auch den Vertrag, der Hongkong eine Sonderstellung als westliches Finanzzentrum unter der Devise „Ein Land, zwei Systeme“ sichern sollte. Die Ausrichtung der Politik ist nicht nur nationalistisch, sondern auch rassistisch und religiös. In diesem Sinne wird das kleine, abseits im Nordwesten des Landes lebende Volk der muslimischen Uiguren verfolgt, in Lagern umerzogen, sterilisiert, mit Gewalt zu Chinesen gemacht.
Die Lebensgeschichte seines Vaters hat Xi geprägt
Ein entscheidendes Merkmal von Xis Politik ist die systematische Beseitigung aller tatsächlichen und potenziellen Gegner. Eine Erklärung für Xis Verhalten findet sich in der Lebensgeschichte von Xis Vater, Xi Zhongxun, die ein authentisches Bild der Entwicklung Chinas seit den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts zeigt.
Bereits als zweiundzwanzigjähriger machte Xi Zhongxun von sich reden, als er 1935 in der Stadt Yan’an eine kommunistische Führung installierte. Eine steile Parteikarriere folgte und 1959 wurde Vater Xi stellvertretender Ministerpräsident der Volksrepublik. Plötzlich, 1962, fiel Xi in Ungnade, man warf ihm vor, er sei nicht loyal zu Mao. Der jetzige Präsident musste sich jahrelang verstecken, seine Schwester beging Selbstmord.
Bis Maos Tod, 1976, lebte die Familie im Elend, 1978 wurde Xi Zhongxun rehabilitiert und zum Gouverneur der Provinz Guangdong ernannt. In der Folge engagierte er sich bei der Modernisierung und Öffnung Chinas unter Deng Xiaoping, der China von 1979 bis 1997 regierte. Die Liberalisierung Chinas brachte in den achtziger Jahren den Universitäten mehr Freiheit und den Wirtschaftstreibenden Entfaltungsmöglichkeiten abseits der Staatswirtschaft.
An dieser Stelle sei an ein persönliches Gespräch mit Mitgliedern des Zentralkomitees in dieser Phase erinnert: „Werden Sie tatsächlich die schon erreichten Freiräume belassen und weitere öffnen? Die Antwort: Wir beobachten die Entwicklung genau und wenn sich eine Gefahr für die Partei abzeichnet, werden wir Grenzen setzen.“ 1989 fand die Niederschlagung der Studentenrevolte auf dem Tiananmen-Platz in Peking statt.
Doch schon vor 1989 wurden die Zügel fester angezogen. Xis Vater war eng verbunden mit dem liberalen Generalsekretär der KP Chinas, Hú Yàobāng, der ab 1980 die Modernisierung des Landes gesteuert hatte, aber 1987 abgesetzt wurde. Deng hatte verfügt, dass die Liberalisierung zu weit gehe und man wieder zum autoritären Kurs zurückkehren müsse. Vollends bremste Deng die Liberalisierung nach dem Tiananmen-Aufstand. Und damit waren auch die guten Tage für Xis Vater vorbei, der erneut in Ungnade fiel und ab 1988 bis zu seinem Tod 2002 nicht mehr aktiv werden konnte. Dies, obwohl Deng ab 1992 den liberalen Kurs wieder aufnahm. Und dies obwohl Xis Vater Mentor und Freund von Hu Jintao war.
Jenes Hu Jintao, dem Führer Chinas von 2002 bis 2012, den Xi vergangene Woche vor dem versammelten Parteitag und der anwesenden Weltpresse abführen ließ. Hu tritt für ein modernes, offenes China sowie für einen kollegialen Führungsstil ein, den er in den zehn Jahren seiner Amtsführung auch konsequent gepflegt hat. Xis Autoritarismus und Aggressivität in der Weltpolitik lehnt er ab und so hatte der amtierende Präsident keine Scheu, den Freund seines Vaters öffentlich zu demütigen.
Die Erfahrungen seines Vaters haben Xi gelehrt, niemandem zu trauen. Dass sein Vater mit 49 Jahren grundlos ruiniert wurde, mit 65 wieder zu höchsten Ehren aufstieg, um mit 75 wieder verfolgt zu werden, war prägend. Konsequent vernichtet Xi seit nunmehr zehn Jahren jeden auch nur möglichen Gegner, der ihm gefährlich werden könnte.
Nachdem ihm diese umfassende Säuberung gelungen ist, glaubt er, auch auf dem Globus alle tatsächlichen und möglichen Feinde beseitigen zu können. Das wird ihm nicht gelingen, doch bis dieser Diktator zum Schweigen gebracht sein wird, müssen voraussichtlich, wie bei Hitler, bei Stalin, bei Mao, bei Franco, Millionen ihr Leben verlieren. In einer ersten Runde werden es unweigerlich Chinesen sein, denn in Taiwan werden Chinesen auf Chinesen schießen, weil es der chinesische Herrscher so will. Dabei wiederholt Xi stets, er möchte die Welt verbessern.