Politik

Wirtschaftssanktionen: Ein wirksames Instrument?

Lesezeit: 4 min
20.11.2022 09:00
Eine zunehmende Zahl von Experten zweifelt am Sinn der Russlandsanktionen. Denn Wirtschaftssanktionen haben bisher selten die gewünschten Ergebnisse erzielt.
Wirtschaftssanktionen: Ein wirksames Instrument?
Russlands Präsident Putin mit Venezuelas Präsident Maduro. Sanktionen haben in der Geschichte kaum die beabsichtigte Wirkung gezeigt. (Foto: dpa)
Foto: Yuri Kochetkov / Pool

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Politik  

Eine zunehmende Zahl von Experten zweifelt am Sinn der Russlandsanktionen. Denn Wirtschaftssanktionen haben bisher selten die gewünschten Ergebnisse erzielt.

Sanktionen gegen Venezuela und den Iran

2017 und 2019 wurden gegen Venezuela Sanktionen der EU und der USA wegen der Unterdrückung der Opposition erlassen. So wurde unter anderem der Export von Erdöl erschwert, das über 90% der Exporteinnahmen des Landes ausmacht. Ohne Erfolg: Staatschef Nicolas Maduro ist weiter an der Macht. Auch seine harte Haltung gegenüber der Opposition hat er nicht gelockert. Trotzdem verhandeln die USA seit Frühjahr 2022 wieder mit Maduro. Venezuela soll Öl liefern, auch an die EU. Das ist ein klares Indiz dafür, dass die Sanktionen gescheitert sind.

Auch beim Iran haben die sehr umfangreichen Sanktionen keine Verhaltensänderung bewirkt. Die großen Demonstrationen, die derzeit im Iran stattfinden, sind durch den Tod einer jungen Frau ausgelöst worden, die auf einer Polizeiwache in Teheran unter ungeklärten Umständen starb. Dieser Vorfall hat mehr Widerstand im Land ausgelöst, als es die seit 2006 verhängten Sanktionen der USA und der EU vermochten.

Seit 2012 wurde der Zahlungsverkehr über das SWIFT Abkommen für iranische Banken blockiert. Unter dem amerikanischen Präsidenten Trump wurden die Sanktionen gegen den Iran 2018 sogar noch verschärft, nachdem sie unter Präsident Obama zeitweise ausgesetzt waren. Doch der Widerstand gegen den Westen und die Fortsetzung des iranischen Atomprogramms wurden dadurch nicht wesentlich geschwächt. 2021 wurde sogar der islamisch fundamentalistische und stramm antiwestliche Ebrahim Raisi ins Präsidentenamt gewählt. Das Atomprogramm wird seitdem verstärkt fortgesetzt.

Kuba und Nordkorea

Gabriel Felbermayer, Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung und bis 2021 Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, bezweifelt generell den Nutzen von Sanktionen: „Wirtschaftssanktionen können ein Fehlverhalten nicht beenden. Dazu sind sie nicht gemacht.“

Auch in Kuba und Nordkorea haben die schon vor Jahrzehnten verhängten Sanktionen nicht zum Sturz der Machthaber geführt. Vielmehr konnten die autoritären Regierungen ihr eigenes wirtschaftspolitisches Versagen mit dem Hinweis auf die Sanktionen des Westens rechtfertigen. Kuba ist nicht zu einer Demokratie geworden, und Nordkorea wird weiter diktatorisch regiert und entwickelt zudem seine Atomwaffen weiter. Auch in diesen beiden Fällen sind die Wirtschaftssanktionen vollkommen ins Leere gelaufen.

Letztendlich haben die genannten Länder, die alle kleiner und wirtschaftlich schwächer sind als Russland, den Sanktionen widerstanden. Der Iran sogar trotz eines in einer Studie des DIW bilanzierten Einbruchs der Exporte von 40%. Nur die ärmeren Schichten und die Mittelschicht litten unter den Sanktionen, während die Eliten in Wirtschaft und Politik ihre Machtpositionen verteidigen konnten.

Sanktionen gegen Russland

Auch die gegen Russland im Jahr 2014 wegen der Annexion der Krim vom Westen verhängten Sanktionen blieben wirkungslos. Russland war bisher nicht zu einer Aufgabe der Krim bereit. Moskau reagierte sogar mit einem Gegenembargo im Lebensmittelsektor, das vor allem den europäischen Landwirten erhebliche Umsatzeinbußen bescherte.

Und welche Erfolgsaussichten haben die aktuellen Sanktionen gegen Russland? Die Sanktionen gegen Putin, die Vertreter der Regierung und des Parlamentes bestrafen zumindest die wirklich Verantwortlichen für den Angriff auf die Ukraine. Das ist sinnvoller, als die gesamte russische Bevölkerung für die fatalen Entscheidungen des Kremls in Geiselhaft zu nehmen.

Teilweise erfolgreich scheinen auch die Sanktionen gegen den russischen Finanzsektor. Russische Banken haben sich aus der EU zurückgezogen. Zudem ist das russische Auslandsvermögen im Westen eingefroren. Allein die eingefrorenen Reserven der russischen Zentralbank liegen bei über 300 Milliarden Dollar.

Der Ausschluss aus dem Zahlsystem Swift hat russische Banken allerdings weniger getroffen, als dies vom Westen beabsichtigt wurde. Denn mit dem chinesischen Zahlungssystem CNAPS steht längst eine Alternative bereit, die insbesondere in Asien von immer mehr Banken genutzt wird. Dadurch, dass nun auch verschiedene russischen Banken wie die VTB Bank CNAPS nutzen, ist dieses weiter gestärkt worden.

Bei den Sanktionen gegen politisch Verantwortliche für den russischen Angriff als auch bei den Sanktionen im Finanzsektor hält sich der Schaden für die westlichen Volkswirtschaften bisher im Rahmen.

Rohstoffsanktionen

Komplett anders ist allerdings das Bild bei den Sanktionen im Rohstoffsektor. Hier ist der ökonomische Schaden für Europa und besonders Deutschland katastrophal.

Selbst in den USA, die von ihren europäischen Verbündeten massive Sanktionen gegen Russland gefordert haben, gibt es erhebliche Zweifel an der Sinnhaftigkeit der eigenen Beschlüsse. So kritisierte die Brookings Institution, ein politisch unabhängiger, liberaler Thinktank, dass die Sanktionen nicht zuletzt den USA selbst schaden – sowohl aktuell wie auf lange Sicht. Denn Putin würde dadurch seine Ausrichtung auf Asien noch schneller vorantreiben und zugleich seine eigenen Einnahmen dauerhaft sichern.

Und Gertrud Traud, die Chefvolkswirtin der Landesbank Hessen-Thüringen kritisierte bereits im Juli in einem Newsletter: „Der Westen hat die Verletzlichkeit Russlands über- und die Bedeutung seiner Rohstoffe für die Welt unterschätzt.“ So sei das Land wirtschaftlich auf den Krieg gut vorbereitet gewesen und außerhalb des Westens weniger isoliert als erhofft.

In der Zeit seit dem Kriegsbeginn im Februar bis Anfang Oktober reduzierten sich die Importe russischen Öls durch die EU nur um 17%. Offensichtlich ist es weit schwieriger als gedacht, russisches Öl zu ersetzen. Durch die gestiegenen Weltmarktpreise für das „schwarze Gold“ hat Russland seit Beginn des Krieges mehr als 50 Milliarden Euro von der EU erhalten.

Der von der EU im Oktober beschlossene Ölpreisdeckel, der im Rahmen der G-7 durchgesetzt werden soll, dürfte seine Wirkung auf Russland verfehlen.

So erklärte ein Mitarbeiter des US-Finanzministeriums gegenüber Reuters: „Zwischen 80 und 90 Prozent des russischen Öls wird wahrscheinlich fließen, ohne von dem Preisdeckel beeinflusst zu werden.“ Auch bei der Bank J.P. Morgan bezweifelt man den Sinn des Ölpreisdeckels. Seine Auswirkungen seien begrenzt, denn Russland könne das Verbot umgehen.

Der Hamburger Ölmarktexperte Steffen Bukold erwartet, dass Raffinerien außerhalb der EU Öl aus Russland aufgrund der niedrigen Preise aufkaufen und mit hohem Profit weiterverarbeiten. Bukold: „Die finanziellen Anreize wären so hoch, dass der Graumarktpreis für russisches Öl bald über den Preisdeckel steigen wird“.

Wenn es schon beim Öl so schwer ist, die Verbindung nach Russland ganz zu kappen, so gilt dies erst recht für das Gas. Russisches Pipelinegas ist schon aufgrund seines großen Preisvorteils gegenüber Flüssiggas nur schwer ersetzbar und war eine wesentliche Grundlage für den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands in den vergangenen Jahren.

Fazit

Welchen Sinn machen Sanktionen, die den Ländern, die die Sanktionen verhängt haben, mindestens genauso stark schaden wie dem Sanktionierten? Offen gesagt: überhaupt keinen. Das gilt vor allem für die Öl- und Gassanktionen. Es ist höchste Zeit für eine Kurskorrektur der deutschen Politik!


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Halbzeit Urlaub bei ROBINSON

Wie wäre es mit einem grandiosen Urlaub im Juni? Zur Halbzeit des Jahres einfach mal durchatmen und an einem Ort sein, wo dich ein...

DWN
Finanzen
Finanzen Teurer Anlegerfehler: Wie der Blick in den Rückspiegel fehlgeht
25.04.2024

Anleger orientieren sich an den Renditen der vergangenen drei bis zehn Jahre, um Aktien oder Fonds auszuwählen. Doch laut Finanzexperten...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Kommunikation im Wandel – Was es für Unternehmen in Zukunft bedeutet
25.04.2024

In einer Ära schneller Veränderungen wird die Analyse von Trends in der Unternehmenskommunikation immer entscheidender. Die Akademische...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Lieferdienste in Deutschland: Bei Flink, Wolt und anderen Lieferando-Konkurrenten geht es um alles oder nichts
25.04.2024

Getir, Lieferando, Wolt, UberEats - es fällt schwer, in deutschen Großstädten beim Angebot der Essenskuriere den Überblick zu...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Familienunternehmer in Sorge: Land verliert an Wettbewerbsfähigkeit
25.04.2024

In einer Umfrage kritisieren zahlreiche Familienunternehmer die Politik aufgrund von übermäßiger Bürokratie und Regulierung. Besonders...

DWN
Finanzen
Finanzen So wählt Warren Buffett seine Investments aus
25.04.2024

Warren Buffett, auch als „Orakel von Omaha“ bekannt, ist eine Ikone der Investment-Welt. Doch worauf basiert seine Investmentstrategie,...

DWN
Technologie
Technologie KI-Chips trotz Exportbeschränkungen: China sichert sich US-Technologie durch die Hintertür
25.04.2024

Trotz der US-Exportbeschränkungen für Hochleistungsprozessoren scheint China einen Weg gefunden zu haben, sich dennoch mit den neuesten...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Russlands Kriegswirtschaft: Putin geht das Geld nicht aus
25.04.2024

Russlands Wirtschaft wächst weiterhin, ist aber stark von der der Kriegsproduktion abhängig. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius...

DWN
Technologie
Technologie Petrochemie: Rettungsleine der Ölindustrie - und Dorn im Auge von Umweltschützern
24.04.2024

Auf den ersten Blick sieht die Zukunft des Erdölmarktes nicht rosig aus, angesichts der Abkehr von fossilen Treibstoffen wie Benzin und...