Die von US-Präsident Joe Biden Anfang Oktober erlassenen Exportbeschränkungen sollen nicht nur Chinas Tech-Industrie von fortgeschrittenen Halbleiter-Chips abschneiden, sondern auch fachkundige US-Bürger daran hindern, ihr Knowhow in chinesischen Halbleiter-Werken einzubringen.
Laut einem zuletzt vielzitierten Tweet eines chinesischen Tech-Influencer sollen die Sanktionen für Chinas Halbleiterindustrie eine „Auslöschung“ bedeuten.
US-Sanktionen werden sich in der Praxis beweisen müssen
Ist dem so? Gegenüber den Deutschen Wirtschaftsnachrichten betont Uwe Cantner, Wirtschaftswissenschaftler und Vorsitz der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI), dass die Sanktionen jedenfalls das Potenzial hätten, die chinesische Technologiebranche schwer zu schädigen und die Entwicklung neuer Schlüsseltechnologien massiv zu behindern. Chinas starke Position im Bereich der KI und des autonomen Fahrens könne deutlich geschwächt werden.
„Allerdings wird sich in der Praxis zeigen müssen, ob die amerikanische Regierung ihre Sanktionen streng auslegt oder im größeren Stil Ausnahmen zulässt.“ Das hinge letztlich auch vom vom Verhalten der chinesischen Regierung ab, erklärt Cantner.
Europa steht wirtschaftlich zwischen den USA und China
Nicht wenige Kommentatoren sehen in den Sanktionen derweil die folgenreichste politische Entscheidung der USA seit dem Kalten Krieg, die Financial Times kündet sogar schon vom „Kalten Tech-Krieg“. Doch im Gegensatz zur Zeit des Kalten Krieges sind die Fronten im 21. Jahrhundert weniger deutlich abgesteckt. Das vereinte Europa steht zumindest wirtschaftlich zwischen den USA und China.
Eine Zuspitzung des Konflikts zwischen den beiden Weltmächten kann für Europa demnach nicht folgenlos bleiben. Umso mehr, nachdem Deutschland unter seiner ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel in eine gefährliche Abhängigkeit vom heute kriegführenden Russland manövriert wurde, deren Folgen sich derzeit innenpolitisch in der Energie- und Wirtschaftskrise manifestieren.
Europa von den US-Sanktionen betroffen
Auch der EFI-Vorsitzende Cantner unterstreicht: „Deutschland und Europa sind von den US-Sanktionen gegen China ebenfalls betroffen. Der Druck auf deutsche Unternehmen, sich nach neuen Lieferanten und Märkten umzusehen, steigt.“ Um nicht zum Spielball innerhalb der amerikanisch-chinesischen Auseinandersetzung zu werden, sei es essentiell, dass Deutschland gemeinsam mit seinen europäischen Partnern eigene Kompetenzen im Bereich der Schlüsseltechnologien auf- und ausbaue, so Cantner.
„Insbesondere im Bereich der digitalen Schlüsseltechnologien haben sich Deutschland und Europa in eine problematische Abhängigkeit gebracht. Wenn Deutschland seine technologische Souveränität erhalten will, müssen Politik und Wirtschaft jetzt gemeinsam gegensteuern.“ Dabei, stellt Cantner fest, gelte es sich nichts vorzumachen: Die Überwindung unserer Abhängigkeit von China könne nicht über Nacht gelingen und sei auch nicht zum Nulltarif zu haben.
VDA fordert raschen Ausbau europäischer Halbleiterproduktion
Als besonders abhängig von China gilt die deutsche Automobilindustrie. Wie stark trifft sie die jüngste Eskalation des amerikanisch-chinesischen Chipkriegs? Auf Anfrage der Deutschen Wirtschaftsnachrichten erklärt ein Sprecher des Verbands der Automobilindustrie (VDA), dass zunehmende geopolitische Konflikte und damit einhergehende Exportbeschränkungen sich auch negativ auf die Automobilindustrie auswirken.
Aus der Sicht des VDA sei es darum entscheidend, dass Deutschland und Europa über weitere Optionen der Versorgungssicherheit in der Zukunft nachdenken, auch im Halbleitersektor. „Um unabhängiger von Asien zu werden und die weiter steigende Nachfrage nach Halbleitern befriedigen zu können, brauchen wir einen raschen Ausbau der europäischen Halbleiterproduktion, insbesondere bei den für die europäische Industrie notwendigen Technologien.“
Neue Kapazitäten könnten Chipknappheit teilweise entspannen
Gleichsam ließe sich, so der VDA-Sprecher, die Fertigung in Deutschland oder Europa aufgrund der Komplexität der Produktionsprozess nicht kurzfristig hochfahren. „Es werden jedoch weltweit und auch hierzulande – z.B. in Dresden und Villach – bereits neue Kapazitäten aufgebaut. Dadurch dürfte sich die Chipknappheit in einzelnen Anwendungen etwas entspannen.“
Die Unternehmen der Automobilindustrie seien dazu im engen Austausch mit ihren Lieferanten sowie den Herstellern von Halbleitern und Chips und arbeiteten kontinuierlich an Lösungen, um der aktuellen Situation bestmöglich zu begegnen. Darüber hinaus führe auch der VDA fortlaufend Gesprächen mit den Unternehmen und der Politik. Doch nicht nur Wirtschaft und Politik sind nun gefragt: Den Kampf um ihre technologische Souveränität und ihren Platz in der Lieferkette müssen die EU-Länder gemeinsam ausfechten.