Politik

WM: Katar hörte jahrelang Funktionäre und Kritiker ab

Heute findet das Eröffnungsspiel der Fußball-WM 2022 statt. Um die Berichterstattung zu kontrollieren, überwachte Katar über Jahre Funktionäre und Kritiker.
20.11.2022 09:00
Lesezeit: 6 min

Als am 2. Dezember 2010 Katar bei der Wahl für die Vergabe für die Fußball-WM 2022 siegte, war der Schock groß. Die Hintergründe um die Wahl und die Verbindung zwischen Frankreich und Katar im Vorfeld der Abstimmung sind nicht der einzige Skandal, der nun ans Licht kommt. Anfang November veröffentlichte das Team SRF-Investigativ des Schweizer Rundfunk und Fernsehens (SRF), wie Katar jahrelang über ein Spionagenetzwerk Fußballfunktionäre und Journalisten überwachte.

Katar beauftragte Geheimdienstagenten

Hinter dem Spionagenetzwerk standen geheimdienstliche Agenten, die im Hintergrund das mediale Geschehen beeinflussten, Hacker die geheime Informationen von Computern gestohlen haben und ein geheimer Auftraggeber, der für die gesamte Operation hunderte Millionen Dollar ausgab. Involviert waren führende katarische Politiker, unter anderem der heutige Emir von Katar, Sheikh Tamim bin Hamad al Thani.

Ziel der Operation war von Beginn an über jede Kleinigkeit beim Weltfußballverband FIFA genau in Kenntnis zu sein. Dazu gehörten Positionsveränderungen, neue Freundschaften und potenziell gefährliche Allianzen. Jede Gefahr, dass die Entscheidung für Katar als Austragungsort nochmal kippen könnte, musste minimiert werden.

Den Auftrag für die Überwachungsoperation gab Katar an die amerikanische Firma Global Risk Advisors. Global Risk Advisors ist ein Unternehmen welches hauptsächlich aus Ex-Mitarbeitern amerikanischer Geheimdienste besteht. An der Spitze steht Kevin Chalker, ein führender CIA-Spion. Ziel der ganzen Operation war die absolute weltweite Kontrolle zu erhalten. Im Dokument der Spionageoperation wird es „worldwide penetration“ genannt.

Global Risk Advisors entwarf einen Plan, um Katar wieder in eine mächtige und einflussreiche Position zu befördern und potenzielle Angriffe auf die Ausrichtung der Fußball-WM im Vorhinein proaktiv abzuschrecken. Über die „worldwide penetration“ sollte die Kenntnis über alle Informationen sichergestellt werden, um zu verhindern, dass es mögliche Angriffe gibt.

Das Zentrum der ganzen Spionageoperation war die Schweiz. In Zürich kamen Chef-Spion Chalker und die katarischen Auftraggeber jeweils zusammen und spionierten verdächtige und interessante Funktionäre und Journalisten aus. So beging Katar auf Schweizer Boden heimlich Straftaten. Der katarische Staat reagierte im Oktober 2022 auf keine Fragen vom SRF zur Operation und Kevin Chalker bestritt jede Verwicklung in die Operation. Kurz nach der SRF-Anfrage hielt der Emir von Katar eine öffentliche Rede und beklagte eine Kampagne gegen sein Land.

Ermittlungen führten nach Indien

Die Recherchen von SRF-Investigativ verdeutlichen: Die jeweiligen Opfer waren den Spionen ausgeliefert. E-Mail-Accounts, Computer, Telefone, bis in den Freundeskreis und enge Familienmitglieder hinein. Die Verantwortlichen überwachten im Sinne Katars alles. Das Ziel war nicht nur Informationen zu erhalten. Die Recherchen des Schweizer Fernsehens kommen noch zu einer weiteren Schlussfolgerung: In den letzten Jahren gab es bei politischen Entscheidungen der FIFA eine nicht sichtbare Hand, die wie ein Marionettenspieler die Fäden zu ziehen versuchte. Die Verantwortlichen gehen sogar so weit und geben an, Einfluss auf das höchste FIFA-Gremium, das 24-köpfige FIFA-Exekutivkomitee ausgeübt zu haben.

Der erste Cyber-Angriff wurde am 5. Januar 2012 auf den Schweizer Peter Hargitay, seines Zeichens FIFA-Insider und Ex-Berater des damaligen FIFA-Präsidenten Sepp Blatter, ausgeübt. Hargitay erhielt mehrere E-Mails mit Anhängen. Wenn er auf die Dateien drückte, installierte sich unbemerkt eine Software. Sie kopierte alle Daten seiner Festplatte. Die Informationen wurden an den jeweiligen Spion geschickt.

Hargitay hatte innerhalb der FIFA die Funktion eines Spin Doctors. Nach seiner Beraterfunktion für Blatter unterstützte Hargitay den australischen Fußballverband mit dem Präsidenten und Milliardär Frank Lowy. Mit seinen Kenntnissen als Spin Doctor hatte Hargitay die Aufgabe, die WM 2022 nach Australien zu holen. Auf Hargitays Computer lagen wichtige Informationen rund um den Weg innerhalb der FIFA an Einfluss zu gewinnen. Der Computer von Hargitay lieferte detaillierte Informationen über das Umfeld der FIFA und was im Hintergrund des Weltfußballverbandes passiert. Hargitay erstattete Strafanzeige und auf einmal waren die Schweizer Behörden involviert und ermittelten im Spionagefall.

Die Ermittlungen der Behörden führen nach Indien. Der E-Mail-Angriff auf Hargitays Computer erfolgte durch die IT-Firma Appin Security. Offiziell bietet das Unternehmen legale Dienstleistungen, wie den Schutz vor Attacken durch Hacker an. Wie Katar und Chalker bestreitet auch das indische IT-Unternehmen irgendwas mit dem Spionagefall zu tun zu haben. Zum damaligen Zeitpunkt kommt das sogenannte „Hacking-for-hire“ in Mode. Die Hacker-Firma greift Ziele gegen Honorar an und schickt die Informationen an die Auftraggeber. Auftraggeber von Appin Security war niemand geringeres als Kevin Chalker. Mit den Inhalten der Informationen auf Hargitays PC wollte Global Risk Advisors laut Unterlagen die SRF vorliegen einem anderen Plan nachgehen: Einer Rufmordkampagne.

Rufmordkampagne gegen Lowy und Hargitay

Ziel der Rufmordkampagne war vor der WM belastende Informationen über Hargitay und vor allem Frank Lowy zu sammeln, um diese an die amerikanische Bundespolizei FBI weiterzuleiten. Das dazugehörige Papier, welches das Vorgehen festhält, heißt: „Projekt Uhrwerk Operationskonzept“. Warum die Angreifer stark an Informationen über Lowy interessiert sind, wird klar, wenn man sich die Reaktion des Australiers auf die Entscheidung am 2. Dezember 2010 verinnerlicht. Lowy sagte offen, dass Katar die WM-Vergabe wieder aberkannt bekommen könnte.

Kompliziert für die Spione: Lowy ist Milliardär und hatte die finanziellen Mittel, um eine Gegen-Spionage-Aktion durchzuführen. Entsprechend vorsichtig gingen Global Risk Advisors vor, um das Risiko für einen solchen Fall zu minimieren. Man plante einen sogenannten „Brute-Force-Angriff“. Die Spione gaben an Beweise für die Beziehung zwischen Hargitay, Lowy und der russischen WM-Bewerbung für 2018 zu haben. Diese Informationen wollte man an das FBI weiterleiten, um den Ruf Hargitays zu zerstören und Hargitay und Lowy zu beschädigen.

Nicht nur Lowy selbst sollte Teil der Kampagne sein. Ein anderer wichtiger Funktionär, den die Spione auf dem Schirm hatten, war der ehemalige DFB-Präsident Theo Zwanziger. In einem 9 Monat-Plan hat Global Risk Advisors das Ziel den Einfluss von Lowy und Zwanziger zu minimieren. Was sowohl Lowy als auch Zwanziger gemeinsam hatten? Sie waren Kritiker der WM-Vergabe an Katar.

Einfluss auf DFB-Präsident Zwanziger

Um Theo Zwanziger zu beeinflussen und auszuspionieren gab Katar laut dem SRF 10 Millionen US-Dollar aus. Das Projekt hatte den Namen „Riverbed“ auf Deutsch „Flussbett“ Ziel von Katar war die kritische Stimme Zwanzigers zu unterbinden. Rund um Zwanziger baute man ein Netzwerk auf. Das Netzwerk bestand aus Leuten, die das Ziel hatten Zwanziger im Sinne Katars auf Linie zu bringen und zu beeinflussen.

Die Spione um Kevin Chalker bauten gezielt eine Beziehung zu Personen auf. Die Personen waren Teil der sogenannten „Riverbed-Family“. Diese Personen waren auf fünf Kontinenten aktiv, um Theo Zwanziger zu beeinflussen. Ziel dabei: Dem deutschen Fußballfunktionär sollte verinnerlicht werden, dass die WM in Katar gut für die Welt wäre. Auf diesem Weg versuchte Katar Zwanziger zu einem stummen Kritiker zu machen, um ein Scheitern der Ausrichtung der Fußballweltmeisterschaft 2022 zu verhindern. So leitete Zwanziger laut eigenen Angaben eine Arbeitsgruppe die mehr Menschenrechte, dafür weniger Kritik an Katar durch erreichen wollte. Gegenüber SRF verdeutlicht Zwanziger die Situation: „Diese ganze Aktion lag natürlich im Interesse Katars. Da gab es einige, die mich in die Richtung gebracht haben, sprich genau diese Denkveränderung zu erreichen.“

Global Risk Advisors hatte noch einen anderen Katar Kritiker im Visier: Sunil Gulati. Der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler und Fußballfunktionär war von 2006-2018 Präsident des amerikanischen Fußballverbandes. Die USA waren der größte Konkurrent Katars im Kampf um die WM 2022. Durch den politischen Einfluss des Landes sahen die Kataris die USA als ein Land an, welches trotz der bestehenden Vergabe Katar noch einen Strich durch die Rechnung machen könnte. Auf dem Höhepunkt von Gulatis Macht im Jahr 2010 wurde sein gesamter Computer mit 800 Dateien gehackt. Inhalt: Die Familiengeschichte des Funktionärs, der Vertrag mit dem damaligen US-Nationaltrainer Bob Bradley und das komplette Budget für die Präsentation der USA als möglicher Gastgeber der WM 2022. Für die Präsentation kamen der damalige US-Präsident Barack Obama und Ex-US-Präsident Bill Clinton extra nach Zürich. 2012 enden die Spionagearbeiten über Gulati.

Staatsanwaltschaft wusste vom Spionagenetzwerk

Ein anderes Ziel von Global Risc Advisors war der Internationale Gewerkschaftsbund (ITUC). Der Gewerkschaftsbund hat 200 Millionen Mitglieder weltweit und kritisierte immer wieder die Situation der Bauarbeiter an den WM-Stadien. Die Organisation kritisierte auch die Vergabe der WM in den Golfstaat. Ende 2015 folgte eine Cyberattacke. Ein Hacker kopierte das E-Mail-Konto der damaligen Pressesprecherin der Generalsekretärin. Die Mails fanden sich kurz darauf laut Gewerkschaft mit einigen Abänderungen in der Presse wieder.

Die Schweizer Staatsanwaltschaft wusste laut SRF bereits 2012 zum Zeitpunkt der Spionagefälle gegen Peter Hargitay von den Aktionen des Netzwerks. Man wusste vom indischen IT-Unternehmen und seinen Hacker-Tätigkeiten, schickte dem Unternehmen aber nie Fragen dazu. Die Anwältin von Peter Hargitay war entsprechend enttäuscht: „Mit Befremden stelle ich fest, dass die Staatsanwaltschaft zwei in der nun seit fünf Jahren laufenden Strafuntersuchung offenbar nichts weiter unternommen hat.“ Nach acht Jahren schloss die Schweizer Staatsanwaltschaft den Fall ab, wegen angeblich ungenügender Ermittlungsansätze. Auf Nachfrage des SRF antwortete ein Sprecher: „Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass umfassende aktenkundige Ermittlungshandlungen im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten geführt wurden. Eine Einflussnahme auf Mitarbeitende der Staatsanwaltschaft fand nicht statt.“

So endete eine jahrelange Spionageoperation ohne wirkliche Folgen für die jeweils Beteiligten. Zwar musste Chalker vor Gericht in den USA einige Fragen beantworten, richtige Konsequenzen für ihn und Gobal Risc Advisors gab es nicht. Die WM 2022 in Katar findet statt und das Ziel der katarischen Regierung, die Ausrichtung des Events zu retten wurde leider erfolgreich erreicht.

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