US-Präsident Joe Biden wird die verbliebenen zwei Jahre seiner Amtszeit ohne Mehrheit im Kongress regieren müssen. Mehr als eine Woche nach den Zwischenwahlen erklärte das Meinungsforschungsinstitut Edison Research am Mittwoch, die Republikaner hätten die Kontrolle im Repräsentantenhaus übernommen. Das Ergebnis hatte sich bei den noch laufenden Auszählungen abgezeichnet.
Der mächtige Posten des Präsidenten der Kongresskammer - traditionell der Gegenspieler des Präsidenten - dürfte an den bisherigen Minderheitsführer Kevin McCarthy gehen. "Die Amerikaner sind bereit für eine neue Richtung", erklärte er auf Twitter. "Und die Republikaner im Repräsentantenhaus sind bereit zu liefern." Biden gratulierte McCarthy. "Das amerikanische Volk will, dass wir die Dinge angehen", erklärte er.
Edison zufolge trug der Sieg in einem Wahlbezirk in Kalifornien die Republikaner über die Schwelle von 218 der 435 Stimmen im Repräsentantenhaus. Weitere Ergebnisse standen noch aus. Bereits in der Nacht auf Sonntag hatte sich abgezeichnet, dass Bidens Demokraten die Mehrheit im Senat behalten werden. Dort hängt das endgültige Ergebnis von dem Ausgang einer Stichwahl Anfang Dezember ab. Der neue Kongress tritt am 03. Januar zusammen.
Republikaner am Hebel
Das Repräsentantenhaus hat in den USA bei Haushaltsfragen die Vorhand. Damit könnten die Republikaner etwa die Gelder für die Ukraine im Krieg gegen Russland kürzen. Zudem können sie Gesetzentwürfe der Demokraten blockieren, die in den USA von beiden Kammern in identischer Form verabschiedet werden müssen. Sie könnten weiter Untersuchungsausschüsse einsetzen und so Druck auf Demokraten ausüben. Auch ein Amtsenthebungsverfahren gegen Biden wäre denkbar, obwohl es im Senat zum Scheitern verurteilt sein dürfte. Einer Erhebung der University of Massachusetts vom Mai zufolge unterstützen mehr als zwei Drittel der Republikaner einen derartigen Schritt.
Unklar bliebt zunächst, wie groß der Spielraum der Republikaner tatsächlich sein wird. Ihre Mehrheit dürfte am Ende knapp ausfallen, in der Partei gibt es mehrere konkurrierende Strömungen und in den USA gibt es keinen Fraktionszwang. Insbesondere die etwa vier Dutzend konservativen Abgeordneten des House Freedom Caucus haben damit gedroht, eine Erhöhung der Schuldengrenze zu blockieren, wenn damit nicht erhebliche Ausgabenkürzungen verbunden sein sollten. Im Gespräch sind auch Einsparungen bei den Sozialsystemen des Bundes wie Social Security. "Es ist wichtig, dass wir bereit sind, den uns zur Verfügung stehenden Hebel zu nutzen", sagte der Chef der Abgeordnetengruppe, Scott Perry, im vergangenen Monat der Nachrichtenagentur Reuters.
Das vergleichsweise knappe Ergebnis der Kongresswahl ist für die Republikaner eher enttäuschend. Angesichts der schwachen Zustimmungswerte für Biden und der hohen Inflation hatten sie darauf gesetzt, dass die Demokraten regelrecht abgestraft würden. Umfragen vor den Wahlen hatten den Republikanern zumindest im Repräsentantenhaus einen erdrutschartigen Sieg vorhergesagt - eine "rote Welle", wie Wahlforscher es nach der Parteifarbe nannten. Auch im Rennen um den Senat galten sie zeitweise als Favoriten.
Viele Republikaner haben Ex-Präsident Donald Trump zumindest eine Mitschuld daran gegeben, dass die Welle ausblieb. Trump hatte sich massiv in den Wahlkampf eingeschaltet und zahlreiche, zum Teil prominente Kandidaten protegiert, von denen viele jedoch am Ende auf der Verliererseite standen. Trotz der Kritik erklärte der 76-Jährige am Dienstagabend seine Absicht, bei der Präsidentschaftswahl 2024 erneut als Kandidat antreten zu wollen. Ob es soweit kommt, steht aber noch nicht fest. Es wird angesichts Trumps schwindenden Rückhalts damit gerechnet, dass sich auch noch andere Parteigrößen um die Nominierung bewerben. Ob Biden für die Demokraten in zwei Jahren um eine zweite und letzte Amtszeit antritt, blieb zunächst auch unklar.