Die Kontrolle über den US-Senat und damit auch die Mehrheitsverhältnisse im Kongress entscheiden sich womöglich erst am 6. Dezember. Dann könnte eine Stichwahl um einen umkämpften Senatsposten im US-Bundesstaat Georgia die Entscheidung bringen. Denn nach Auszählung von 99 Prozent der Stimmen erreichte dort weder der demokratische Amtsinhaber Raphael Warnock noch sein republikanischer Herausforderer Herschel Walker mehr als die erforderlichen 50 Prozent. Die vor den Wahlen zum Senat und US-Repräsentantenhaus erwartete "rote Welle", also ein Durchmarsch der oppositionellen Republikaner, blieb jedoch aus. Vom Ausgang der Kongresswahl hängt ab, wie effektiv US-Präsident Joe Biden mit seinen Demokraten in den kommenden zwei Jahren bis zur nächsten Präsidentschaftswahl regieren kann.
Erste Ergebnisse signalisierten am Mittwoch, dass die Republikaner bei den Zwischenwahlen in den USA leichte Zugewinne verbuchten, während die Demokraten besser abschnitten als erwartet. Viele der am stärksten umkämpften Entscheidungen waren aber noch offen. Die Republikaner räumten ein, dass die Wahl nicht den angepeilten klaren Sieg brachte. Die bisher vorliegenden Ergebnisse legten nahe, dass die Wähler Biden für die hohe Inflation abstraften, während die Republikaner wegen Vorstöße für ein Abtreibungsverbot Einbußen hinnehmen mussten.
Derzeit verfügen Bidens Demokraten über ein knappes Übergewicht sowohl im Senat als auch im Repräsentantenhaus. Erobern die Republikaner jedoch nur eine der beiden Parlamentskammern, können sie insbesondere wichtige innenpolitische Vorhaben des Präsidenten blockieren oder zumindest ausbremsen. Gleichzeitig könnte ein erfolgreiches Abschneiden der Republikaner die Entscheidung von Bidens Vorgänger Donald Trump befeuern, 2024 erneut zu kandidieren. Am Montag versprach er bei einer Wahlkampfabschlussveranstaltung für Dienstag kommender Woche eine "große Ankündigung".
Vor allem im Abgeordnetenhaus hatten Meinungsforscher einen Kantersieg der Republikaner nicht ausgeschlossen. Danach sah es jedoch vorerst nicht aus. "Definitiv keine republikanische Welle, das ist verdammt klar", gestand der republikanische Senator Lindsey Graham beim Sender NBC ein. Seiner Partei gelang es Wahlforschern zufolge nach ersten Berechnungen, unter dem Strich etwa eine Handvoll Abgeordnetenmandate zu erobern. Theoretisch würde das für eine Mehrheit im Repräsentantenhaus reichen, denn dafür wären fünf zusätzliche Sitze nötig. Da der Ausgang Dutzender Rennen aber nach wie vor offen war, könnte sich das Blatt noch zugunsten der Demokraten wenden.
Noch enger verlief das Rennen um den Senat. Hier lagen beide Parteien Kopf an Kopf. Die Republikaner müssen in der Kammer zwar sogar nur einen Sitz hinzugewinnen, um die Kontrolle zu übernehmen. Doch gerade in besonders hart umkämpften Bundesstaaten wie Nevada, Georgia und Arizona war noch kein klarer Trend erkennbar. Sollte es am Ende auf Georgia ankommen, könnte es bis Dezember dauern, bis die Mehrheitsverhältnisse im Senat geklärt sind. Denn in dem Bundesstaat sieht das Wahlrecht eine Stichwahl vor, wenn kein Kandidat mehr als 50 Prozent der Stimmen erhält.
Eine empfindliche Niederlage mussten die Republikaner in Pennsylvania einstecken. Das Rennen dort um einen bislang von den Republikanern gehaltenen Senatssitz galt als potenziell wahlentscheidend. John Fetterman vom linken Flügel der Demokraten besiegte den von Trump unterstützten TV-Arzt Mehmet Oz.
TRUMP-RIVALE IN FLORIDA WIEDERGEWÄHLT
Neben allen 435 Sitzen im Repräsentantenhaus und 35 der 100 Senat-Sitze ging es bei den Wahlen auch um 36 Gouverneursposten und Tausende weitere politische Ämter auf Bundesstaats- und Kommunalebene. Der Fokus lag auch auf Florida. Dort wurde der Republikaner Ron DeSantis als Gouverneur wiedergewählt. Er gilt als potenzieller Rivale Trumps, wenn es um die Kandidatur der Republikaner für die Präsidentschaftswahl 2024 geht.
Trump stand wie Biden am Dienstag nicht zur Wahl. Dennoch war er im Wahlkampf allgegenwärtig. Er protegierte viele Kandidaten und Kandidatinnen, die wie er den Ausgang der Wahl 2020 leugnen. Sie behaupten bis heute ohne Belege, dass Trump nur wegen Manipulationen um seinen Sieg gebracht worden sei. Dieses Jahr bewarben sich Dutzende Trump treu ergebene Politiker auf zahlreiche Ämter. Je erfolgreicher sie abschneiden, umso mehr Rückenwind dürfte das Trump für seine Ambitionen geben, in zwei Jahren einen erneuten Anlauf auf das Weiße Haus zu wagen.
Die deutsche Wirtschaft muss sich Ökonomen und Verbänden zufolge nach den US-Wahlen auf schwierigere Geschäfte mit ihrem wichtigsten Exportkunden einstellen. "Der Gegenwind wird stärker - und kälter", sagte der Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Holger Görg, der Nachrichtenagentur Reuters. "Handelserleichterungen zwischen den USA und der EU werden mit einem republikanisch dominierten Kongress nicht zu machen sein", sagte Görg. Die deutsche Industrie warnt vor einer Verschlechterung der Wirtschaftsbeziehungen. "Die Fortschritte und Annäherungen der vergangenen zwei Jahre müssen bewahrt und ausgebaut werden", forderte der BDI-Präsident Siegfried Russwurm. Keinesfalls dürfe sich der Trend zu Protektionismus und unfairer Priorisierung der heimischen Industrie verstärken.